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Langzeitarchiv

Grundgesetz auf Mikrofilm im Oberrieder Barbarastollen eingelagert

Der Barbarastollen im Schauinsland ist das größte Langzeitarchiv Europas. Am Tag der deutschen Einheit wurde dort die milliardste Mikrofilmaufnahme eingelagert: das Grundgesetz der Bundesrepublik.  

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Christoph Unger, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, betrachtet einen Mikrofilm. Foto: dpa
Der Eingang über der Straße von Oberried hinauf zum Notschrei sieht aus wie viele Stollenmundlöcher im Schwarzwald. Wären da nicht drei weißblaue Rauten am Boden. Sie signalisieren: besonders schützenswertes Kulturgut. Das verweist auf die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten, 1954 vereinbart mitten im Kalten Krieg, der heiß zu laufen drohte.

Auch hier in diesem engen Seitental des Schwarzwalds? Ja, auch hier, zumindest in der Theorie. Als der Bund sich Anfang der Siebziger Jahre entschloss, im Barbarastollen den "zentralen Bergungsort" für Kulturgut in Deutschland anzulegen, hat man bedacht, welche Folgen eine Atombombenexplosion vor dem Eingang hätte. Ein gewaltiger Luftdruck würde durch die Röhre schießen und alles zerstören, was in ihr gelagert ist. Also legte man parallel zum Hauptgang einen weiteren Stollen an, durch zwei Querschläge erschlossen: Darin sollte das Kulturgut, das es hier allerdings nur in Gestalt von unzähligen Mikrofilmbildern gibt, die Explosion unbeschadet überstehen – und irgendwann von den überlebenden Menschen geborgen werden. Quasi als Erinnerung, was deutsche Geschichte war.



Es ist deshalb nicht allein die feuchte Lufttemperatur von zehn Grad, die die Besucher schaudern lässt. Der Barbarastollen, das bombensichere Einlagern von Dingen – ist das nicht irgendwie aus der Zeit gefallen? Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, das sich um dies alles kümmert, denkt freilich nicht so. Deshalb hat es ein eigenes Ereignis geschaffen, um die Medien ins Bergwerk im Schauinsland zu locken.

Der Anlass ist ein Dreifacher: Man deponiert – angeblich, denn wer wollte das nachprüfen – das einmilliardste Bild hier gut 400 Meter unter der Oberfläche; und dies ist eines von 30 000, die Dokumente zum Grundgesetz und dessen Vorgeschichte festhalten. Zudem ist es der Nationalfeiertag, der 3. Oktober.

Rund eine Milliarde Dokumente gut 400 Meter unter der Oberfläche

Aber es gibt, wie am Rande zu erfahren ist, einen handfesten Grund, warum Damen und Herren des in Bonn ansässigen Bundesamtes einschließlich ihres Präsidenten Christoph Unger und in Begleitung von Landesarchivaren angereist sind – die Finanzen. 3,5 Millionen Euro lässt sich der Bund Sicherungsverfilmung und Einlagerung jährlich kosten – und das unverändert seit rund zehn Jahren. Die Personalkosten sind dagegen gestiegen, also der Spielraum des Amtes geschrumpft.

Ob man in Berlin nicht mehr so recht an das Projekt glaubt? Die Mikrofilmrollen, zusammen eine Länge von 34 000 Kilometern, füllen bisher 1500 Edelstahlfässer. Platz ist für mindestens weitere 700. Aber voll oder nicht: Man könnte einfach im Stollen das Licht ausmachen, die Türen fest verschließen – und dann hätte Deutschland 500 Jahre Zeit, um sich diese Mikrofilme wieder anzuschauen. Denn so lange, sagt Lothar Porwich vom Bundesamt, überleben die Folien. Weil es Bilder sind, die man einfach anschauen kann, ist es egal, mit welcher Technik die Menschen in 500 Jahren anrücken: Lesen kann man immer, notfalls mit Lupe.

Was im Barbarastollen aufbewahrt wird, darüber entscheiden die Archivare der Länder. Es geht um Urkunden, Akten, amtliche Schreiben, selten nur um Bücher – und stets um Unikate. Kulturgut meint dabei nicht nur das Gute und Schöne, sondern auch Gestapo-Papiere und KZ-Unterlagen. Eine Milliarde Bilder klingt viel, ist aber aus Sicht der Archivare wenig – gerade mal drei Prozent des Bestands aus den staatlichen Archiven.

Konserviert für die Ewigkeit

Aber von all den fotografierten Dokumenten sieht man nichts im Barbarastollen, der 1907 angelegt wurde, aber nie fürs Schauinsland-Bergwerk in Betrieb ging. Man sieht nur die Reihen silbern glänzender Rundzylindern – beste Qualität, wie Porwich versichert, das Stück für 1500 Euro. Übers Jahr, die zwei, drei Mal ausgenommen, wenn neue Fässer angeliefert werden, ist hier das Licht aus. Meldesystem und Sensoren überwachen den Gang, gelegentlich lösen Mäuse Fehlalarm aus, der die Polizei anrücken lässt.

Selbstverständlich wird über den Inhalt eines jeden Fasses genau Buch geführt: Es soll auch ein direkter Zugriff auf Einzelzeugnisse möglich sein. Eine Ausnahme bilden 50 Fässer im hinteren Ende des Lagerstollen. Martin Luchterhandt vom Landesarchiv Berlin scheint von ihnen fasziniert zu sein. Es handele sich um eine Kunstaktion zum 50. Jahrestag der Haager Konvention, erzählt er. Doch im Gegensatz zu allen anderen Fässer wisse man nicht, was drin ist. Nur so viel sei bekannt: In jedem stecke das Kunstwerk eines Künstlers – lauter Originale. "Eine Art Kunst am Bau", meint Luchterhandt. Ob damit unsere Nachkommen etwas anfangen können, wenn sie in 500 Jahren vorbeischauen?


Der Barbarastollen

Der Barbarastollen im Schwarzwaldberg Schauinsland in Oberried bei Freiburg ist das größte Langzeitarchiv Europas. Früher war er Teil eines Bergwerks. Die seit 1975 "unter Tage" gelagerten Aufnahmen zeigen Dokumente, die im Original in deutschen Archiven verwahrt werden. Das Ziel: Sollten Unikate zerstört werden, bleiben zumindest die Kopien der Nachwelt erhalten. Die Temperatur im Stollen ist mit 10 Grad Celsius stets gleichbleibend. Das Archiv steht unter dem Schutz der "Haager Konvention", es gilt höchste Sicherheitsstufe. Nur der Vatikan und das Reichsmuseum in Amsterdam genießen einen ähnlichen Schutz.

Militärflugzeuge dürfen den Stollen nicht überfliegen, Militärtransporte sind in einem Umkreis von drei Kilometern tabu. Zugang zum Stollen haben nur wenige. Besuchern bleibt die Tür zum unterirdischen Archiv verschlossen. (dpa)

Ressort: Südwest

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