Reality-TV
"Es gibt im Fernsehen keine unverstellte Realität"
Angela Keppler ist Professorin für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Mannheim forscht über Reality-TV zwischen Fiktion und Dokumentation. Ein Interview.
Sa, 10. Mär 2012, 0:01 Uhr
Computer & Medien
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Angela Keppler: Ich glaube, das ist einfach: Die Zuschauer interessieren sich für die Schicksale von Leuten, mit denen sie nichts zu tun haben. Dabei ist es eine entlastete Form der Anteilnahme: Man sieht Probleme, die den eigenen unter Umständen ähneln, kann sie aber aus der Distanz betrachten und muss nicht selber handeln.
BZ: Fast wie im richtigen Leben – aber nur fast. Denn längst ist ja bekannt, dass viele Reality-Serien die Wirklichkeit nur fingieren. Ist echtes Leben im Fernsehen schon wieder zu langweilig?
Keppler: Um Missverständnisse auszuschließen, es gibt im Fernsehen keine unverstellte Realität, jede Fernsehsendung, egal ob fiktional oder dokumentarisch, arbeitet mit fernsehspezifischen Formen der Darstellung: Das heißt, es werden bestimmte Elemente hervorgehoben, andere werden vernachlässigt. Beim Reality-TV gibt es in der Tat einen klaren Trend hin zu immer dominanter werdenden Formen der Inszenierung. Die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion werden systematisch verwischt, es wird eine scheinbare Authentizität des Gezeigten produziert. Allerdings sehe ich darin auch wieder einen Reiz für die Zuschauer.
BZ: Und welcher ist das?
Keppler: Was ist real? Was inszeniert? Was gescripted? Was den Protagonisten in den Mund gelegt? Das sind die Fragen, über die mit anderen diskutiert werden kann. Denn dass die Anschlusskommunikation, das Darüberreden, für das Zuschauervergnügen an diesen Formaten genauso konstitutiv ist wie der häufig beschworene Voyeurismus, ist unbestritten. Das hat auch eine Befragung des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen ergeben. 75 Prozent der Zuschauer von Germany’s Next Top Model und 82 Prozent der DSDS-Zuschauer gaben an, dass sie sich am Tag nach den Sendungen mit anderen darüber unterhalten.
BZ: Die Serie "Fang des Lebens" dagegen gibt vor, ganz ohne Drehbuch auszukommen. Sie hat sogar schon den Tod eines Crewmitglieds thematisiert. Was sagen Sie dazu?
Keppler: Provokationen sind ja ein Stilmittel von Reality-TV. Aber wenn der Tod eines Menschen gezeigt wird, finde ich, ist die Grenze eindeutig überschritten. Hier liegt der Unterschied zum Internet; dort ist jeder Benutzer selbst verantwortlich dafür, was er sich zumuten will oder nicht. Das Fernsehen dagegen ist ein Medium, in dem Journalisten oder Produzenten Verantwortung tragen für das, was gesendet wird. Ein anonymes Publikum kann hier die Inhalte nur in den eng definierten Grenzen des An- oder Abschaltens selbst bestimmen; wer eine Sendung im Fernsehen anschaut, handelt unter anderen Voraussetzungen als jemand, der im Internet gezielt oder zufällig Clips oder Videos anwählt.
BZ: Gibt es eigentlich Erkenntnisse darüber, wer Reality-TV anschaut?
Keppler: Aber ja, alle! Reality-TV ist kein Unterschichtfernsehen, wie oft vermutet wird, jedenfalls nicht, was die Zuschauer betrifft! Natürlich gibt es Vorlieben. Castingshows werden zum Beispiel überproportional von weiblichen Jugendlichen gesehen. Und je älter die Zuschauerinnen sind, desto weniger interessieren sie sich für die Sendungen.
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