Erinnern in den Vogesen

Ein deutsch-französisches Workcamp des Volksbundes deutscher Kriegsgräberfürsorge an der Frontlinie des Ersten Weltkriegs.  

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Arbeiten, wo einst gekämpft wurde. Foto: Bärbel Nückles
WATTWILLER. Frühsommerlicher Nebel legt eine entspannte Ruhe über den Vogesen-Dschungel am knapp 1000 Meter hohen Hartmannsweilerkopf. Mittendrin zwei Dutzend junge Leute, die mit Schaufeln und Baumscheren schuften. Sie lichten Gestrüpp, säubern Waldwege und legen Granattrichter wieder frei. Zwischen der Arbeit entspinnt sich ein Gespräch. "Das Leben hier oben muss für sie ziemlich hart gewesen sein", stellt Sarah Peixotto fest.

"Sie waren doch einfach viel zu jung, um zu sterben", führt Cynthia Luiz den Gedanken weiter. Dann denken sie laut darüber nach, wie beschwerlich der Weg auf den Berg gewesen sein muss. "Allerdings hatten die Soldaten mehr Gepäck als wir", vermutet Clara Hittinger. "Sie blieben hier oben und schliefen in den Unterständen". "Ich weiß nicht, ob sie so viel Zeit zum Schlafen hatten", stellt Rémy Maffeis fest.

Sie alle sind 16 Jahre alt. Schülerinnen und Schüler eines beruflichen Gymnasiums aus dem französischen Landres, nicht weit von Verdun, einem anderen Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs. Zusammen mit deutschen Berufsschülern aus Überlingen am Bodensee besuchen sie eine knappe Woche lang ein Workcamp des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge, unterstützt vom Deutsch-Französischen Jugendwerk und dem Stuttgarter Staatsministerium. "Der Leitgedanke des Volksbundes von der Versöhnung über den Gräbern", sagt Bildungsreferent Sebastian Steinebach, der die deutsch-französische Gruppe im Elsass betreut, "hat seine Gültigkeit keineswegs verloren."

Man kann sich dem Weltkrieg, der vor fast 100 Jahren zu Ende ging, nähern, wie es die jungen Deutschen und Franzosen tun. Zerfallene Mauern wieder aufrichten; Stacheldraht, der hier allgegenwärtig ist, aus dem Gebüsch ziehen, damit sich niemand versehentlich verletzt; aus dem "Bremer Ratskeller", einem erstaunlich gut erhaltenen deutschen Bunker, vielleicht 300 Meter vom Gipfelkreuz entfernt, den Schlamm entfernen, der sich über den Winter angesammelt hat.

Tags zuvor hat die Gruppe einen deutschen Soldatenfriedhof im Elsass besucht. "Sonst bleibt das so abstrakt", findet Leander Schlüter aus Überlingen. Ein Kreuz habe dort oft für zwei Gräber gestanden, erzählt der 20-Jährige sichtlich beeindruckt. "Viele waren gerade 18 oder 19 Jahre alt."

Die Landschaft, in der er und die anderen sich am Hartmannsweilerkopf bewegen, trägt bis heute die Kriegsspuren. Immer wieder finden sie bei ihrer Arbeit Patronenhülsen. Unterdessen schaufelt Schlüter Schlamm aus dem Ratskeller. Kaum 25 Meter weiter am Hang verlief zu Kriegszeiten die Frontlinie. Die gegnerischen Soldaten waren sich so nah, dass sie sich per Zuruf verständigen konnten.

Wenn man hier zusammen mit französischen Jugendlichen arbeite, begreife man das alles jedenfalls sehr viel besser, findet Jonathan Gruber, auch er aus Überlingen. "Es war Zeit, dass in Deutschland der Erste Weltkrieg stärker ins Bewusstsein gerückt ist." Eimer für Eimer voll Schlamm trägt er aus dem Bunker hinaus, als wollten er und die anderen etwas Ordnung in die Müllhalde der Geschichte bringen.

An den Ruhestätten deutscher Kriegstoter sind seit der Gründung des Volksbundes nach dem Ersten Weltkrieg Zehntausende junger Menschen zu solchen Begegnungen zusammengekommen. Allein im Jahr 2017 hat die gemeinnützige Organisation zehn Seminare und etwa 40 solcher Workcamps – insbesondere im Ausland – für junge Erwachsene organisiert. "Die Teilnehmenden kommen aus Russland, der Ukraine, Türkei, Italien, aus eigentlich allen osteuropäischen Ländern", sagt Heike Baumgärtner, Bildungsreferentin in der Geschäftsstelle des Landesverbandes Baden-Württemberg in Konstanz. Angesichts der zunehmenden Nationalismen seien solche Projekte heute mehr denn je zur Verständigung wichtig, sagt sie. Sie leisteten einen Beitrag, dass sich Jugendliche nicht den pauschalisierenden Hass bestimmter Gruppen aufdrängen ließen. "Junge Menschen tragen nicht die Schuld für die Vergangenheit, aber Verantwortung für das Hier und Heute", sagt Baumgärtner.

Am Nachmittag ihres letzten Tages auf dem Hartmannsweilerkopf legen die jungen Deutschen und Franzosen gemeinsam einen Kranz am Ehrenmal des Hartmannsweilerkopfes nieder. Ob sie wichtig sei, diese Zeremonie zum Abschluss? "Ja, unbedingt", erwidert Jonathan Gruber – und erntet um sich zustimmendes Nicken.
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