Wahlrechtsreform
Endspurt für das neue Wahlrecht in Baden-Württemberg
Die grün-schwarze Landesegierung will SPD und FDP bei der Wahlrechtsnovelle in Baden-Württemberg einbinden. Und das nicht nur bei der Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre.
Sa, 23. Okt 2021, 13:56 Uhr
Südwest
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Wie sieht das Landtagswahlrecht bisher aus?
Es gilt ein Einstimmenwahlrecht. Der Landtag besteht aus den Gewinnern der 70 Wahlkreise. 50 weitere Mandate werden durch die Zweitauszählung der Stimmen auf Regierungsbezirksebene verteilt. Letztere Zahl kann sich durch den mathematisch notwendigen Ausgleich zwischen Wahlkreissiegern und den Stimmverhältnissen der Parteien stark erhöhen. Dabei spielt eine zentrale Rolle, wie viele Parteien die Fünfprozenthürde überspringen. Aktuell hat der Landtag 154 Abgeordnete bei fünf Fraktionen. Bei vier Fraktionen, wie etwa zwischen 1980 und 1984, waren es 124. Als 1992 die Republikaner als damals fünfte Fraktion einzogen, stieg die Zahl der Mandate auf 146.
Was sind Vorteile, was Nachteile des bisherigen Wahlrechts?
Das bisherige Wahlrecht ist ausgesprochen basisdemokratisch, da es den Einfluss der Parteiführungen stark begrenzt. Kandidaten und Kandidatinnen werden ausschließlich vor Ort aufgestellt. Für die Parteiführungen war nie genau zu kalkulieren, wer in der Zweitauszählung zum Zug kommt. Nachteil ist, dass übergeordnete Gesichtspunkte wie ein bestimmter Frauenanteil nur im Wahlkreis zu klären sind, nicht aber auf Fraktionsebene.
Was sind die Kernpunkte der geplanten Reform?
Das Zweistimmenwahlrecht soll kommen. Die Zweitstimme bestimmt von nun an die Stärke einer Partei im Landtag. Die ihr nach dem Stimmenanteil zustehenden Mandate werden zunächst mit den Wahlkreissiegern besetzt, dann werden weitere Mandate über die neuen Landeslisten verteilt. Wie bisher entsteht dabei der Mechanismus von Überhang- und Ausgleichsmandaten. Es gibt keine Zweitauszählung auf Regierungsbezirksebene mehr, damit auch keinen im Einzelfall die Mandatszahl nach oben treibenden regionalen Ausgleich. Mit den Landeslisten will man den Anteil von Frauen, aber auch von jungen Leuten steigern, allerdings ist dies nicht rechtlich festzuschreiben. Der Anteil von Frauen im aktuellen Landtag liegt bei 29 Prozent.
Braucht die Regierung die Zustimmung der Opposition?
Nur für die geplante Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Grüne und CDU verfehlen die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit im Landtag knapp, es braucht mindestens eine weitere Oppositionspartei dazu. Die Regierungsparteien haben erklärt, dass die ganze Reform auf einem breiten Fundament stehen soll.
Die Vorstellung eines zu großen Landtags treibt die Parteien um. Wie sehen die Rechenmodelle aus?
In der Tat gibt es die Sorge, aber es wird auch betont, dass ein größerer Landtag ein Resultat veränderten Wählerverhaltens ist. Es gibt Berechnungen, etwa des Innenministeriums, die auf der Basis des Wahlergebnisses vom März keine Veränderungen sehen. Ein Gutachten der CDU-Fraktion und eines für die Grünen kommen zu ähnlichen Ergebnissen.
Die FDP will die Wahlkreise reduzieren. Warum?
Auch die FDP hat gerechnet und dabei "extreme Annahmen getroffen". Auf der Basis eines Landtags mit sieben Parteien (aktuell: fünf) und nah beieinanderliegenden Ergebnissen kommt sie auf 267 Mandate. Eine Reduzierung der Wahlkreise von 70 auf 60 ergibt bei gleicher Rechnung laut FDP eine Einsparung von 41 Mandaten. Es gibt aber auch Signale der FDP, die Wahlkreisfrage am Ende nicht zum Knackpunkt zu machen, um der Reform möglicherweise zuzustimmen.
Was halten die anderen Parteien von der Idee der FDP?
Grüne, CDU und SPD sehen einen Schnellschuss. So fürchtet Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz, dass die Debatte die Reform kompliziere und verzögere. Die Größe des Landtags habe im Kern nichts mit dem Wahlrecht zu tun, sondern mit der Frage, wie viele Parteien im Landtag sind, und mit welchen Ergebnissen Wahlkreise gewonnen werden.
Warum ist es gar nicht so einfach, weniger Wahlkreise zu haben?
Tatsächlich wäre die effektivste Weise einer Mandatsbegrenzung, die Zahl der Wahlkreise zu senken. Doch dann müssten es noch schärfere Einschnitte sein, etwa nur 40 Wahlkreise. Jenseits einer Debatte um Besitzstandswahrung von Parteien mit vielen Wahlkreissiegern stellt sich die Frage, ob das einem großen Flächenland angemessen ist. Die Abgeordneten sehen sich als Kümmerer vor Ort. Zu große Wahlkreise erschweren das. Veteranen der Landespolitik verweisen auch auf die hitzigen Debatten der Gebietsreform der 70er. Sie warnen: Nach den Wahlkreisen könnten manche Kreise oder Gemeinden auf den Prüfstand stellen – was zu neuem Streit führen würde.
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