Wunderheilung oder Humbug?
Eine Schamanin am Kaiserstuhl holt Geister zu Hilfe
Eva Schöne aus Eichstetten bezeichnet sich als Schamanin, Medium und Geistheilerin. Menschen mit meist psychischen Leiden suchen bei ihr Hilfe. Wie läuft so eine Behandlung ab? Ein Besuch.
So, 12. Jan 2020, 19:39 Uhr
Südwest
Thema: Die besten Lesestücke aus dem Januar 2020, BZ-Langstrecke
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Seit Tagen hat Schöne nur noch Brühe gegessen, war viel im Wald. Das Ritual sei anstrengend, sagt sie, das Energielevel viel höher als an normalen Tagen. Sie habe sich auch schonmal übergeben müssen. Doch für die Gemeinschaft gibt sie fünf bis sechs Mal im Jahr ihren Körper her. Denn Maria komme, um Menschen zu heilen.
Eva Schöne aus Eichstetten am Kaiserstuhl bezeichnet sich als Schamanin, Medium und Geistheilerin. Sie will böse Geister vertreiben und behandelt Menschen mit Kopfschmerzen, Burnout und Alpträumen. Aber nicht mit Schmerzmitteln oder Psychopharmaka, sondern mit ihren Händen und ihrem Ahnengeist Maria.
Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise für die Existenz von Geistern, keine Forschung, die belegt, dass Geistheilung möglich ist. Den staatlich geprüften Geistheiler gibt es schon gar nicht. Und doch haben solche Heilsversprecher Zulauf – wie alternative Heilmethoden überhaupt. Fast jeder zweite Deutsche soll laut dem Meinungsforschungsinstitut YouGov schon dergleichen ausprobiert haben. Auch deshalb, hört man zur Begründung, weil Hausärzte sich immer weniger Zeit für ihre Patienten nähmen. Acht Minuten dauert eine durchschnittliche Sprechstunde. Alternativmediziner hingegen haben unendlich viel Zeit und immer eine Lösung zur Hand.
Helfen die Methoden von Schamanen und anderen Geistheilern? Oder sollte man sich, wenn es einem schlecht geht, nicht lieber der wissenschaftlich fundierten, der sogenannten Schulmedizin anvertrauen?
Der Weg in die "Praxis für spirituelle Heilkunst" führt im 3600-Seelen-Dorf Eichstetten vorbei an der evangelischen Kirche in eine Gasse nahe der Hauptstraße. Dort praktiziert die 46-jährige Eva Schöne seit dem Spätsommer. Zuvor ist sie von Bahlingen nach Teningen, dann nach Herbolzheim und jetzt wieder an den Kaiserstuhl gezogen. Früher war dort die Werkstatt ihres Schwiegervaters, er war Elektriker. Jetzt sollen hier statt Gleich- und Wechselströmen andere Energien fließen.
In der Praxis stehen eine Liege, ein Holztisch, zwei Stühle, rechts von der Tür ein kniehoher Amethyst. An der Wand hängen ein Traumfänger, zwei Trommeln und ein Heilergewand aus Hirschleder. In der Ecke steht eine Flasche Wodka, Marke Chinggis Gold. "Der ist nur für meinen Ahnengeist", warnt Eva Schöne.
Sie trägt ihre langen, braunen Haare offen, eine Brille, die Bluse kann ein Bären-Tattoo im Dekolleté nicht ganz verstecken. Sie ist verheiratet, zweifache Mutter. In ihrem Portfolio steht: hellfühlig, hellhörig, hellsichtig. Gelernt hat Eva Schöne: Fleischereifachverkäuferin.
Aus einem Regal kramt sie einen Schnellhefter. Darin stecken ein Zertifikat für Reiki-Behandlungen, für Geistheilung und eines, das sie als "Diplom-Schamanin" auszeichnet. Zur Zeit lässt sie sich zur Heilpraktikerin und Pflanzentherapeutin ausbilden. In ihrer Praxis bietet sie Energieübertragung an, Ahnenarbeit, mediale Lebensberatung, Tierkommunikation, Ablösung von "Besetzungen" und energetische Hausreinigungen.
Oft soll dabei Maria, ihr Ahnengeist, durch ihren Körper arbeiten. Maria soll im 12. Jahrhundert bei der Michaelskapelle in Riegel gelebt haben. Sie sei eine weise Hexe gewesen, sagt Schöne. Das habe ihr Marias Stimme in ihrem Kopf erzählt. Der Geist kündige sich ein paar Tage vorher an. Wenn seine Ankunft unmittelbar bevorstehe, sehe sie Buchstaben verschwommen und Energiefelder um die Menschen. "Das macht mich manchmal echt kirre", bekennt Eva Schöne.
Ihre Augen sind glasig, als sie am Samstagabend auf Marias Ankunft wartet. Vier Gäste sind gekommen und haben jeweils 100 Euro gezahlt, um mit Maria sprechen zu dürfen. Frank, Schönes Ehemann, hilft ihr dabei, das Heilergewand aus Hirschleder anzuziehen. Er legt ihr eine Augenbinde an, begleitet sie auf ein gepolstertes Podest. Dann wird es still. Eva Schöne atmet schwer, japst fast, versteckt sich hinter einer Trommel. Nun holt sie aus: boonnngg, ze boonnngg, ze boonnngg. Erst trommelt sie langsam, wird nach ein paar Sekunden immer schneller, bong bong bong bong, und noch schneller, bo-bo-bo-bo-bo-bo. Dann verkrampft sie.
Schamanen sollen in einem bewusst herbeigeführten Zustand der Trance mit Geistern kommunizieren können. In der schamanischen Lehre geht man davon aus, dass Krankheiten von Geistern hervorgerufen werden. Schamanisch Praktizierende sehen sich als Mittler zwischen den Welten, zwischen der Menschen- und der Geisterwelt. Dabei helfen manchmal halluzinogene Mittel, aber auch, wie bei Schöne, die rhythmischen Schläge einer Trommel. Seriöse Zahlen, wie viele Menschen in Deutschland schamanisch praktizieren, gibt es nicht. Eine geschützte Berufsbezeichnung auch nicht, jeder kann sich Schamane nennen. Die "Foundation for Shamanic Studies Europe" teilt mit, dass in ihrem Datensatz 15 000 Schamanen in ganz Europa erfasst seien.
Eva Schönes Weg in den Schamanismus begann mit einem Meerschweinchen. Das sei einer Freundin ihrer Tochter vom Arm gefallen, habe sich dabei die Hinterbeine ausgekugelt, der Tierarzt habe es einschläfern wollen. Sie, damals in erster Linie Mutter, habe ihre Hände auf die Stelle gelegt – so, wie sie es auch schon seit Jahren bei ihrer Tochter gemacht hatte, wenn diese Kopfschmerzen hatte. Nach zweimal zehn Minuten Behandlung sei das Meerschweinchen wieder quicklebendig herumgesprungen – und Eva Schöne verdutzt gewesen. So erzählt sie es heute. Nachweisen lässt sich alles das nicht mehr.
Nach einer Nahtoderfahrung und dem Meerschweinchenerlebnis besuchte sie Reiki-Kurse, stellte eine Liege in ein leerstehendes Zimmer, 2007 eröffnete sie eine Praxis. "Ich hatte viele Kunden", sagt sie heute. Nebenher absolvierte sie eine Ausbildung zum "Geistigen Heilen" und zur "Spirituellen Lebensberatung" an der "Camelot-Akademie", heute "Deutsche Heilerschule" in München. Studienfächer: Händeauflegen, Chakrenheilung, Edelsteintherapie, Schamanismus. Die Ausbildung dauert laut der Schule zehn Wochenenden und kostet 285 Euro. Der Schulleiter sagt, 2500 Schüler seien bisher ausgebildet worden.
2010 begann Eva Schöne eine schamanistische Ausbildung bei einem Lehrer in Österreich. Sie wurde erst "Practitioner", dann "Master", später "Leader". Eines der Diplome hängt an der Wand ihrer Praxis.
Auf ihre Arbeit reagieren nicht alle Menschen mit Geduld und Verständnis. Auf ihrem Privatgrundstück in den Herbolzheimer Weinbergen hatte sie eine Jurte gebaut und dort regelmäßig Meditationen und spirituelle Abende abgehalten. Weil das Landratsamt das Baurecht verletzt sah, musste sie die Motorsäge ansetzen und die Hütte aus Holz und Lehm abreißen. Eva Schöne wandte sich an die Zeitung – und wurde nach einer Veröffentlichung von Lesern übel beschimpft.
die menschliche Psyche
auf Rituale reagiert."
Gerhard Mayer, Psychologe
Als Frank Schöne Maria darauf hinweist, dass sie niemand versteht, wechselt sie ins Hochdeutsche. Dann klatscht unvermittelt eine Ladung Wodka an die Wand; Maria schüttet mehrere Holzschälchen mit dem Schnaps in den Raum. Wodka ist so etwas wie das schamanische Sagrotan. Damit werde der Raum rituell gereinigt, sagt sie. Doch erstmal wolle sie sich vorstellen.
Gestützt auf einem knorrigen Rebstock läuft sie eine Runde. Sie wirkt gebrechlich, Eva Schöne verglich sie vorher mit einem Kräutermütterle. "Janawana, guten Abend, ich bin Maria." Sie greift jedem der Gäste ans Handgelenk, fühlt den Puls und die Nervenbahnen. Vier der sieben Anwesenden haben eine Heilung gebucht. Sie kommen fast alle mit psychischen Leiden – Ängste, Zwänge, Trauer und Neurosen.
Eva Schönes Karteikasten ist meterlang. Die Kunden sollen aus Österreich, der Schweiz, aus den USA, der Dominikanischen Republik und aus Portugal kommen. Fast täglich sei ein Termin in der Praxis angesetzt, sagt sie. "Die Leute kommen mit Halsschmerzen, offenen Füßen oder mit Burnout." Sie verlangt einen Euro pro Minute, zuzüglich Mehrwertsteuer. Eine Frau erzählt, dass Schöne ihr die Höhenangst genommen habe und sie jetzt ruhig schlafen könne. Eine andere, dass im Wohnhaus einer Bekannten Ruhe herrsche, seitdem Schöne böse Geister vertrieben habe.
Ist diese Frau eine Wunderheilerin? Eine clevere Geschichtenerzählerin? Oder nutzt sie einfach nur den Placeboeffekt? Für eine Wunderheilerin halten sie ihre Kunden. Für eine Neigung zum Fabulieren spricht, dass Schönes Schilderungen in zwei Fällen nicht so stattgefunden haben, wie sie behauptet hat. Eine Bäuerin, deren Kuh Schöne behandelt haben will, kann sich daran nicht erinnern. Auch ein Sprecher der Freiburger Uniklinik, wo Schöne mit Krebspatienten gearbeitet haben will, weiß davon: nichts.
Die Placebothese hält Gerhard Mayer für wahrscheinlich. Der 61-Jährige ist Psychologe und arbeitet seit 1996 am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg, die nach eigenen Angaben weltgrößte Einrichtung, die sich wissenschaftlich mit "außergewöhnlichen Erfahrungen" beschäftigt. Mayer hat eine Feldstudie zu Schamanen in Deutschland gemacht und ein Buch dazu geschrieben.
Am Nachmittag sitzt er in seinem Büro im zweiten Stock eines Wohn- und Bürogebäudes im Freiburger Sedanviertel. Regalwände und Teppichboden stehen voller Bücher, er trägt Kragenhemd und Birkenstocksandalen. Auf einer Vitrine neben seinem Schreibtisch steht eine Tüte Tomatensuppe mit "Geisternudeln". Damit Geistheilung funktioniere, sagt er, brauche es drei Elemente: den Patienten mit seinem Wunderglauben, den Schamanen mit seinen Fähigkeiten und eine Gemeinschaft, die an solche Fähigkeiten glaubt.
"Es spielt keine Rolle, was der Schamane macht", sagt Mayer. Der Geistheiler könne Selbstheilungskräfte auslösen – "triggern", wie er sagt, der rituelle Rahmen unterstütze das. Doch es könne nur funktionieren, wenn der Patient offen dafür sei. "Man weiß, dass die menschliche Psyche auf Rituale reagiert", sagt er. Der Heileffekt komme über die Bedeutung, die man einer Handlung zuschreibt. Das sei der Placeboeffekt, dessen Erfolge sich messen ließen. Aber ob der Patient einfach die Aussagen des Heilers übernommen habe, oder ob wirklich ein energetischer Einfluss von Außen kam, das könne man nicht herausfinden.
Auch Eva Schöne sagt, sie aktiviere lediglich Selbstheilungskräfte. "Ich lege die Hände auf, und das, was geschehen soll, soll geschehen. Alles andere muss man mit dem Arzt abklären." Würde sie etwas anderes sagen, würde sie sich ohnehin strafbar machen. Ein Mitarbeiter der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg erklärt: "Das Heilmittelwerbegesetz verbietet eine Werbung für Heilmittel, deren Wirksamkeit nicht wissenschaftlich belegt ist." Auf der Suche nach einer wissenschaftlichen Einordnung stoßen wir auf eine – es gibt sie wirklich – "Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften". Ihr Sprecher Martin Mahner, sagt: "Geistheilung ist Humbug." Ahnengeister seien eine primitive Vorstellung, die in einem wissenschaftlichen Weltbild nicht mehr vorkommt. Handauflegen übertrage allenfalls Wärme, habe aber keine geistigen Wirkungen. "Was es allerdings symbolisiert, ist Zuwendung, und Zuwendung kann Placeboeffekte auslösen."
Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, warnt: "Diese Heilmethoden ersetzen nicht den Gang zum Hausarzt. Da muss schon sehr viel Glaube vorhanden sein, um die sprichwörtlichen Berge zu versetzen."
So nennt man ein psychologisches Phänomen der Heilkunde: Schon der feste Glaube daran, dass ein Medikament hilft, kann Besserung bringen – auch wenn das Medikament keinen nachweisbaren Wirkstoff enthält. Das lässt sich auf umstrittene Heilmethoden wie Pendeln oder Handauflegen übertragen. Das gegenteilige Phänomen heißt Nocebo-Effekt. Experimente haben ihn bestätigt: Probanden, die sich vor Elektrosmog fürchteten, sahen eine Antenne, und schon ging es ihnen schlecht – obwohl der Strom zuvor heimlich abgeschaltet worden war.
Drei Stunden nachdem sich Maria vorgestellt hat, liegt ein Mann mit nacktem Oberkörper auf dem Boden und schreit. Er war eben noch auf einer Gedankenreise in einen moosigen Wald, dann sagte Maria, er solle alles rauslassen. "Arrrrggggh." Er hatte zuvor ein Engegefühl in der Brust beklagt, fühlte sich nicht verwurzelt im Leben. Maria sagt, sie wolle ihn zurückholen ins Leben. Sie hat ihn mit Wodka bespuckt, ihm auf den Bauch geklatscht und dann mit den Händen den Brustkorb massiert. Sie schlägt ihm mehrfach auf den Körper, dann schreit er nochmal: "Arrrrggggh." Der Schrei geht ins Mark. Es ist inzwischen 22 Uhr in Eichstetten, draußen läutet die Kirchenglocke.
"Bist du bereit, in dein neues Leben zu gehen?", fragt Maria. "Ja", sagt der Mann und lächelt. Er soll jetzt an drei Tagen im Wald spazieren gehen. Und anschließend eine Lehre bei Eva Schöne beginnen. Laut ihrer Website sind dafür zehn Module à drei Tage notwendig. Kosten: 2500 Euro. Ohne Mehrwertsteuer.
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