Interview

"Die Nazikeule bringt nichts", sagt ein Aussteiger aus der Szene

Deckname "Pistole": Manuel Bauer war zwölf Jahre seines Lebens Neonazi. Heute ist er bei der Aussteigerorganisation "Exit Deutschland" aktiv – und will über den Umgang mit Rechtsradikalen informieren.  

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Manuel Bauer Foto: Jenny Kallenbrunnen
Mit elf Jahren bekam er Kontakt zur rechtsextremen Szene, radikalisierte sich immer mehr. Während eines Gefängnisaufenthalts kamen ihm Zweifel. 2006 schaffte er dann den Ausstieg. Über seine Vergangenheit hat er ein Buch geschrieben und gibt in Talkshows und Vorträgen Einblicke in die Szene – so auch am 27. Januar 2020. Dann spricht er vor Schülern des Städtischen Gymnasiums Ettenheim.

BZ: Wie rutscht man mit elf Jahren in die rechtsextreme Szene ab?
Bauer: In dem Alter kam ich zum ersten Mal mit rechter Musik in Kontakt, die ich von älteren Freunden bekommen hatte. Später kaufte ich mir dann auch selber welche. Daraus entwickelte sich ein schleichender Prozess. Ich war erstmal Mitläufer, später, als Jugendlicher, habe ich dann voll mitgemacht.

BZ: Was bedeutet das?
Bauer: Los ging es mit Kleinigkeiten, zum Beispiel Rangeleien und Beleidigungen in der Disco. Dann wurde es immer mehr.

BZ: Was ist das Schlimmste, das Sie gemacht haben?
Bauer: Eine der schlimmsten Taten ist, dass ich einer schwangeren Frau in den Bauch getreten habe. Ihr Mann war Türke, sie Deutsche. Die beiden sind mir und meinen damaligen Freunden eines Nachts zufällig über den Weg gelaufen. Dann ist es ausgeartet. Das Kind, das habe ich später durch Gespräche und Zeitungsberichte erfahren, wurde noch in der Nacht in einer Not-OP auf die Welt geholt. Zum Glück trugen weder das Kind noch die Mutter bleibende Schäden davon. Darüber bin ich extrem froh, vor allem, wenn ich heute meine Tochter so anschaue.

BZ: Wenn Sie in Ihren Vorträgen von solchen Taten berichten, schockiert das sicherlich manchen im Publikum. Gibt es auch Menschen, die Ihnen – nach dem, was sie alles getan haben – nicht abnehmen, sich geändert haben zu wollen?
Bauer: Ja, das gibt es tatsächlich immer wieder. Ich finde es schade, dass ich diese Menschen nicht überzeugen kann. Aber natürlich kann ich auch niemanden zwingen. Es gab auch schon Leute, die mir vorgeworfen haben, Werbung für die Szene zu machen. Mir konnte aber noch niemand erklären, welchen Sinn es haben sollte, dies über solche Vorträge zu machen, in denen ich ja gegen diese Szene schieße und auspacke.

BZ: Ist es für Sie nicht seltsam, mit Ihren Erlebnissen und Gräueltaten Geld zu verdienen?
Bauer: Für mich war es Ehrensache, dass ich meine Erfahrungen und all das, was ich gemacht habe, teile. Mit dem, was ich mit solchen Vorträgen verdiene, unterstütze ich wiederum Organisationen wie Exit Deutschland.

BZ: Wie haben Sie denn den Absprung geschafft?
Bauer: Das war auch ein schleichender Prozess. Während eines Gefängnisaufenthalts wurde mir die Nummer von Exit Deutschland vorgelegt. Zuerst habe ich mich dort nur aus taktischen Gründen gemeldet, weil ich dachte, ich komme dann vielleicht schneller wieder raus. Nach und nach habe ich dann erkannt, dass das, was meinen Kameraden und mir zuvor vorgegaukelt worden war, unlogisch und falsch war. Eine wichtige Rolle spielten dabei auch Begegnungen mit Ausländern und positive Erlebnisse. Wie zum Beispiel, als mich bei einer Schlägerei im Knast Ausländer vor meinen rechten Gesinnungsgenossen beschützten. 2006 kamen meine Kameraden dahinter, dass ich mit Exit Kontakt hatte. Da bin ich dann offiziell ausgestiegen und musste aus Sicherheitsgründen auch innerhalb weniger Tage umziehen.
Exit Deutschland

Seit dem Jahr 2000 unterstützt die Initiative Menschen, die mit der rechtsextremen Szene brechen und sich ein neues Leben aufbauen möchten. Die Initiative arbeitet politisch und fachlich überparteilich und unabhängig von staatlichen Stellen und Polizei, Verfassungsschutz und Justiz. Nach eigenen Angaben hat Exit seit der Gründung mehr als 750 Menschen beim Ausstieg aus der Szene begleitet.

BZ: Wie steht es jetzt um Ihre Sicherheit?
Bauer: Es gibt gewisse Verhaltensregeln, die ich beachten muss. Eine hundertprozentige Sicherheit wird es nie geben.

BZ: Wie schätzen Sie die aktuelle Gefahr von rechts ein?
Bauer: Sehr hoch. Gerade im Netz, das wir von Exit regelmäßig durchforsten, wird viel gehetzt. Es gibt viele Menschen, die sich über die politische Lage in Deutschland und der Welt aufregen. Auch ich heiße nicht jede politische Entscheidung in unserem Land gut. Wichtig ist, dass wir zulassen, dass sich Menschen auch kritisch äußern. Das muss eine Demokratie aushalten. So wie jeder aber aushalten muss, dass auf seine Meinungsäußerung eine Reaktion folgt. Wir müssen die Menschen und ihre Sorgen ernst nehmen und in einen objektiven, kritischen und ehrlichen Dialog kommen. Gleich die Nazikeule rauszuholen, bringt nichts. Das bewirkt sogar eher Trotzreaktionen. Besser ist es, zu diskutieren.
"Wichtig ist, dass wir zulassen, dass sich Menschen auch kritisch äußern."

BZ: Wie merken denn Eltern, dass ihr Kind in die rechte Szene abzurutschen droht?
Bauer: Häufig merkt man das daran, dass sich das Kind immer mehr verschließt, sich abwendet und Verhaltensweisen ändert oder plötzlich ganz neue Interessen entwickelt. Daher ist es wichtig, niemals den Kontakt zum Kind zu verlieren, sondern immer für es da zu sein, egal, wie viel Ärger es macht.

BZ: Wie ist es mit Ihren Eltern, konnten die Ihnen verzeihen?
Bauer: Sie können natürlich nicht vergessen, was alles war. Ich habe einfach zu viel kaputt gemacht. Aber wir haben Kontakt und ich kann ihnen wieder in die Augen schauen.
Manuel Bauer (40) wuchs in einem Ort in der Nähe von Torgau (Sachsen) auf. Heute lebt er an einem unbekannten Ort, arbeitet bei einer Securityfirma und ist selbst externer Berater bei Exit Deutschland. Mit Hilfe dieser Organisation schaffte er damals den Ausstieg aus der Szene.
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