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Fluchtpunkt Fußball

Die dänische Nationalspielerin Nadia Nadim im Porträt

Nadia Nadim, die Angreiferin der dänischen Frauen-Nationalmannschaft, kam als Zwölfjährige aus Afghanistan nach Skandinavien .  

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Nadia Nadim spielt Fußball und studiert nebenbei  Medizin.   | Foto: afp
Nadia Nadim spielt Fußball und studiert nebenbei Medizin. Foto: afp
Am Trainingsplatz an der Sportlaan von Heelsum hängen Banner mit dänischen Slogans, auf denen sinngemäß der Satz steht, "Teil von etwas Größerem" zu sein. Teil einer lustigen Truppe zu sein hätte am Morgen auf der Sportanlage in dem verträumten niederländischen Örtchen in der Nähe von Arnheim fast besser gepasst. Nadia Nadim scherzt vor dem Warmlaufen nicht nur mit ihren Teamkolleginnen, sondern nimmt auch den kräftig gebauten Assistenztrainer Sören Rand-Boldt auf die Schippe. "Oh, da ist ja unser Diego Maradona", ruft die 29-Jährige, als ein auf sie gerichteter Schuss weit das eigentliche Ziel verfehlt.

Die Stimmung bei der dänischen Frauen-Nationalmannschaft ist vor dem prestigeträchtigen EM-Viertelfinale gegen Deutschland in Rotterdam am Samstag prächtig. Und so hält die bislang in allen drei Gruppenspielen zum Einsatz gekommene Partnerin von Topstürmerin Pernille Harder mit der Vorfreude beim lockeren Pressetalk am Platzrand nicht hinter dem Berg. "Die Atmosphäre ist fantastisch. Wir hatten zwei, drei Tage zu relaxen. Deutschland ist sechsmal hintereinander Europameister. Wir hoffen, Deutschland als Erstes zu schlagen", sagt Nadim.

Warum soll das nicht gelingen? Die Skandinavier kennen sich mit dem Favoritensturz in dieser Runde ja aus: Vor vier Jahren kegelten die zuvor erst per Losentscheid unter die letzten acht vorgerückten Däninnen nach Elfmeterschießen den Topfavoriten Frankreich aus dem Turnier. Zu denjenigen, die damals – und dann auch im verlorenen Halbfinale gegen Norwegen – aus elf Meter verwandelten, zählte auch Nadim.

Eigentlich stammt Dänemarks Nummer neun aus Afghanistan. Dort wuchs die Frohnatur unter einfachsten Bedingungen auf. Vater Rabani brachte eines Tages einen Fußball mit nach Hause, ein Relikt aus den 70er-Jahren mit schwarzen Fünfecken. "Meine Schwestern und ich wussten gar nichts über Fußball, deshalb haben wir damit Volleyball und andere Sachen gespielt", erzählte sie einmal bei Fifa.com. Der Vater sei aber völlig verrückt nach Fußball gewesen, "er hat versucht diese Liebe an seine fünf Töchter weiterzugeben".

Im Jahr 2000 verschwand er plötzlich. Verschleppt von den Taliban. Als Zwölfjährige wusste die Tochter damals schon, dass er vermutlich nicht zurückkehren würde. Ihre Mutter Hamida lebte in großer Angst um den Rest der Familie, dann entwickelte die Familie einen Fluchtplan. Nachts weckte die Mutter ihre Kinder, sie alle wurden zu Flüchtlingen. Sie durchquerten Afghanistan und Pakistan, gelangten mit gefälschten Pässen bis nach Italien und hofften, es irgendwie nach England zu schaffen.

Schließlich landeten sie in Dänemark in einer Flüchtlingsunterkunft. Besser dort zu sein, als daheim keine Hoffnung zu haben. "Ich war dort eigentlich ziemlich glücklich, aber natürlich habe ich meinen Vater vermisst." Die Nadim-Mädchen begannen, Fußball zu spielen, wenn sie nach der Schule freihatten, immer und überall. Am Anfang war es chaotisch, aber es dauerte nicht lange, bis ein Trainer Nadia Nadims Talent erkannte. Der Fußball sollte zu ihrem Fluchtpunkt werden, und doch war es nicht leicht, die kulturellen Fesseln zu sprengen: "Selbst in Dänemark, wo Frauen alles tun können, hatte ich noch das Gefühl, dass ich etwas Verbotenes tue."

Heute sagt die 73-fache Nationalspielerin: "Es ist eine Ehre für mich, Teil des dänischen Nationalteams zu sein." Die Staatsbürgerschaft des Landes, das heutzutage der Aufnahme von Flüchtlingen deutlich skeptischer gegenübersteht als früher, bekam sie 2009 – und debütierte bald darauf beim Algarve Cup gegen die USA. Das ist übrigens das Land, in dem sie im Verein spielt, bei den Portland Thorns, wo die Deutsche Nadine Angerer als Torwarttrainerin arbeitet.

Fußball ist aber nicht das Einzige, was Nadim erfüllt. Erst wollte sie zusätzlich Jura studieren, dann träumte sie von der Wall Street, doch die Realität der Finanzwelt war auch nichts für sie. Derzeit studiert sie in den Wintermonaten, wenn der Spielbetrieb in der amerikanischen Profiliga ruht, in Dänemark Medizin. "Einmal viel Geld zu verdienen und anderen Menschen zu helfen, ist eine Win-win-Situation für beide Seiten", hat sie kürzlich verraten – ausgesprochen gut gelaunt übrigens.

Ressort: Ausland

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