Verfahren
Der Täter-Opfer-Ausgleich ist ein unterschätztes Instrument der Justiz
Vergebung steht beim Täter-Opfer-Ausgleich nicht im Zentrum. Aber die Anerkennung der Schuld durch den Täter. Warum wird dieser Weg nicht öfter gegangen?
Anika von Greve-Dierfeld
Di, 26. Nov 2024, 20:00 Uhr
Südwest
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Daran erinnert sich Jasmina Wiehe noch gut: Das Opfer war zwölf und wurde von einem 14-Jährigen mit einem Messer in den Oberschenkel gestochen. Große Fleischwunde, viel Blut – und für das Opfer auch zweieinhalb Jahre nach der Tat ein unverarbeitetes Trauma. Die ausgebildete Mediatorin Wiehe und ein Kollege organisierten mit den beiden Schülern und deren Eltern einen Täter-Opfer-Ausgleich (TOA). Am Ende konnten jeweils beide Eltern und die beiden Jungs den Schock des Gegenübers nachvollziehen. Die Scham der Täterfamilie und des Täters. Die Panik der Opferfamilie und des Opfers. "Es endete mit einer Entschuldigung seitens des jungen Täters", erzählt Wiehe. "Und der Magie der Empathie."
Anerkennung und Würdigung des Opfers wichtig
Täter-Opfer-Ausgleiche haben große Vorteile. So könne damit etwa eine Hauptverhandlung in vielen Fällen vermieden werden – das führe zu einer Entlastung der Justiz, sagt das Justizministerium. Und auch wenn bei weitem nicht immer Schmerzensgeld fließt: "Das Opfer erhält seinen Schaden schnell und unbürokratisch ausgeglichen", sagt ein Ministeriumssprecher. So flossen im Jahr 2021 bei Verfahren von Jugendlichen und Heranwachsenden rund 131.300 Euro, im Jahr darauf knapp 128.000 Euro und im vergangenen Jahr knapp 100.000 Euro an Schmerzensgeld an die jeweiligen Opfer. Zahlen zur Höhe der Wiedergutmachung bei Erwachsenen gebe es nicht.
Viel wichtiger aber sei, die Tat nicht kleinzureden und das Opfer in seinem Leid zu würdigen, sagt Wiehe, die auch Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Täter-Opfer-Ausgleich (LAG TOA) ist. Der Grundgedanke sei der der "restorative justice" (etwa: wiederhergestellte Gerechtigkeit oder Wiedergutmachung). Denn bei Straftaten werde nicht einfach nur das Gesetz gebrochen. "Sondern Menschen werden verletzt", sagt sie. "Es entsteht nicht nur Schuld, sondern auch die Pflicht zur Wiedergutmachung." Opfer bekommen – bestenfalls durch eine Begegnung mit dem Täter – die Kontrolle zurück, sie bekommen ein Gespür dafür, wer der Täter ist und warum sie ausgesucht wurden, erläutert sie.
Viel Luft nach oben
Im Südwesten stagnieren indes die Zahlen der seitens Gerichten oder Staatsanwaltschaften angestoßenen TOA-Verfahren bei Erwachsenen – und auch bei den Jugendlichen sieht es nicht viel anders aus. Im Jahr 2021 waren es bei den Erwachsenen 1544, im Jahr darauf 1631 und im vergangenen Jahr 1575 solcher Verfahren. Zu Ende gebracht wurden nach Angaben des Justizministeriums aber nur knapp die Hälfte (48,1 Prozent). Bei den Jugendlichen und Heranwachsenden wurden in den vergangenen drei Jahren zwischen etwas mehr als 800 und gut 970 Verfahren zum Ende gebracht. Das seien schätzungsweise 65 Prozent der insgesamt angestoßenen Verfahren.
Die Zahlen der Verfahren insgesamt bewegen sich im internationalen Vergleich laut BGBW auf niedrigem Niveau. Das Potenzial an Fällen, in denen ein TOA sinnvoll wäre, sei bei weitem nicht ausgeschöpft, heißt es von dort. "Es gibt sehr viel Luft nach oben", sagt auch Yvonne Morick, Mediatorin bei der BGBW und dort für Strafsachen bei Erwachsenen zuständig. Woran das liegt?
Justiz hat manchmal Vorbehalte
Laut Justizministerium möglicherweise auch daran, dass Gerichten und Staatsanwaltschaften der Täter-Opfer-Ausgleich nicht immer als geläufiges Mittel bekannt ist. Sie aber sind es in der Regel, die einen TOA veranlassen. Laut Wiehe hat die Justiz zudem mitunter Vorbehalte dagegen, nach dem Motto: "Wirkt das Instrument, erreichen wir das, was wir wollen, ist das nicht nur eine sehr milde Reaktion, können wir dem Opfer das zumuten." Laut Morick spielt auch fehlendes Geld eine Rolle. Wenn die Länder mehr Mittel zur Verfügung stellen würden, könnte man etwa mehr Mediatoren ausbilden und das Konzept von TOA erweitern, meint sie.
Oft wird ein Rückzieher gemacht
Bedauerlich auch, dass recht viele Täter-Opfer-Ausgleiche nicht erfolgreich enden. Das liegt daran, dass nicht selten einer der Beteiligten einen Rückzieher macht oder gar nicht erst zum Erstgespräch erscheinen möchte. Es liegt aber laut Morick auch daran, dass Staatsanwaltschaften oder Gerichte vielfach von vorneherein ungeeignete Fälle schicken. "Wenn schon in der Akte steht, dass ein Täter nicht einsichtig ist, gibt es wenig Aussicht auf Erfolg", sagt die Mediatorin.
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