Den Blick schärfen

Ein Besuch im Zisch-Deutschunterricht.  

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Montagmorgen nach den Herbstferien. Die Kinder aus der Klasse 4a der Michael-Friedrich-Wild-Grundschule in Müllheim haben ihre Köpfe über die Seite 13 der aktuellen Badischen Zeitung gebeugt. Das ist an diesem Tag die erste Sportseite. Aufmacherthema ist der erste Saisonsieg des SC Freiburg. Doch darum geht es Klassenlehrerin Yvonne Spindler heute gar nicht. "Was seht ihr denn da ganz oben auf der Seite?" "Da sind vier Kästchen", sagt Hannah. "Und warum sind die da?" Hm. Kurzes Überlegen. Dann Jonas: "Dort steht, was auf den anderen Seiten noch kommt." Perfekt.

Acht Wochen lang erhalten die Zisch-Klassen die Badische Zeitung im Klassensatz in die Schule. Das hat sich inzwischen herumgesprochen. Aber was genau passiert eigentlich mit der Zeitung im Unterricht? Wie muss man sich eine Schulstunde während des Zisch-Projekts vorstellen? Dieser Besuch bei zwei Zisch-Klassen in Müllheim soll einen Eindruck verschaffen.

Die 4a schaut sich mittlerweile die vier Anreißerkästchen auf der Sportseite genauer an. In einem steht die Überschrift: Bajuwarisches Selbstverständnis. "Versteht ihr das?", fragt Yvonne Spindler. Allgemeines Kopfschütteln. "Sucht mal den Artikel, auf den die Überschrift hinweist." "Ah", meint Lukas nach einer Weile. "Das Bundesland Bayern ist damit gemeint, oder? Unter dem Bild zum Artikel steht was von den Bayern-Stürmern, den Fußballern vom FC Bayern München." Super kombiniert! Und was bedeutet Selbstverständnis? "Boa, ist das eine schwierige Überschrift!", stöhnt einer. Aber Timotheus ist auf einer heißen Spur: "Das steht da, weil es für die Bayern selbstverständlich ist, zu gewinnen." Na, das passt doch. Weiter geht’s mit der nächsten Überschrift: Handballer starten optimal. Optimal?

"Den Blick schärfen, Begrifflichkeiten klären, sich in der Zeitung zurecht finden – darauf kommt es mir bei dieser Übung heute an", erklärt Yvonne Spindler. "An anderen Tagen lesen wir dann wieder mehr."

Kleine Pause. Wechsel in die Parallelklasse. Die 4d, eine Inklusionsklasse mit vier Förderschülern, sitzt mit Lehrerin Angelika Liolios um einen großen Couchtisch herum. Die Schüler wiederholen Zeitungsbegriffe, die sie bereits im Unterricht besprochen haben. Wo ist der Aufmacher? Wo der Vorspann? Wer es weiß darf einen Papierpfeil mit der entsprechenden Beschriftung an das jeweilige Element legen.

Es wird geschnippelt, gelesen,

diskutiert und geklebt

Anschließend bekommen die Kinder ihre Aufgabe für die kommende Schulstunde. Thema sind die Seitenköpfe der Ressorts. Dazu gibt es mehrere Arbeitsblätter. Die Fragen darauf bearbeiten die Kinder – zurück an ihren Pulten – jedes für sich.

Geschäftigkeit macht sich im Klassenzimmer breit. Zeitungsseiten rascheln, hier und da wird getuschelt, immer wieder fliegen Zeitungsteile auf den Boden, ein Kind sucht seinen Klebestift – denn es müssen unter anderem Bilder ausgeschnitten und aufgeklebt werden. Zudem gilt es, Schlagzeilen und Fotos zu finden und sie Seitenköpfen zuzuordnen, beziehungsweise Stichworte zu einem Bild zu notieren. Aber aufgepasst: "Nicht zu jeder Schlagzeile gehört ein Bild und nicht jedes Bild in der Nähe einer Schlagzeile gehört zu dem Text dazu", erklärt Liolios. Genau hinschauen ist angesagt. Wer Probleme hat, dem helfen die Lehrerin und ihre Kollegin, Sonderpädagogin Gabriele Hotz. Auf einem Bild geht es um die Wahl in der Ostukraine. Das schwierige Wort Separatistenführer steht da in der Unterzeile der Überschrift. Wer oder was das ist? Für die Bearbeitung der Aufgabe ist das erstmal nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass die Kinder verstehen: Es geht um eine Wahl. Da klingelt es.

Zurück in der 4a. Dort sind die Schüler unterdessen in Zweiergruppen dabei, ein Herbstgedicht aus Zeitungswörtern und -buchstaben zu verfassen. "Bunte Blätter, Wolkenwetter" steht schon in einem Heft. "Jetzt müssen wir ein T finden", ruft ein Mädchen. Eifrig schnippeln die Kinder an der Zeitung herum. Eine ganz schön filigrane Arbeit, die kleinen Buchstaben einzeln auszuschneiden. Andere sitzen noch vor einem leeren Blatt Papier und überlegen sich, was genau sie dichten wollen.

"Mit dieser Aufgabe wird quasi ein Rundumpaket unterschiedlicher Kompetenzen angesprochen: Kreativität, Rhythmik, Sprachgefühl ", sagt Yvonne Spindler begeistert. "Der Zugang über die Zeitung, und das Haptische machen das Ganze attraktiv – das ist etwas anderes, als mit einem Schulbuch zu lernen. Und so merken die Kinder gar nicht, dass sie gerade intensiven Deutschunterricht haben."

Dessen bewusst oder nicht – die Klasse ist eifrig bei der Sache. Dichten macht Spaß, Basteln auch. Und auch wenn es oft Arbeit macht, sorgt die Zeitung acht Wochen lang für willkommene Abwechslung.

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