Das Wasser reicht nur noch bis zum Oberschenkel
Durch einen neuen Staudamm in der Türkei fehlt dem Tigris im Irak die Hälfte seiner normalen Wassermenge / Landwirtschaft und ein Naturschutzgebiet sind bedroht.
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400 Kilometer weiter nördlich in Mossul liegen mitten im Flussbett Schlamminseln und Felsen frei. Die derzeit aus der Türkei ankommende Wassermenge sei halb so groß wie sonst, erklärte Izz Al Din, Chef des Mossul-Dammes. Und so trat am Wochenende eilends der Nationale Sicherheitsrat in Bagdad zu einer Krisensitzung zusammen. Denn anders als vereinbart begann die Türkei bereits am 1. Juni und völlig überraschend, das umstrittene Illisu-Staubecken nördlich der irakischen Grenze zu befüllen. Offenbar wollte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mit diesem Großprojekt rechtzeitig zu den Wahlen am 24. Juni bei seinen Bauern punkten.
Einer der drei Tunnel, in denen das Wasser während der Bauzeit um den zwei Kilometer langen Damm herumgeleitet wird, wurde zeitweilig geschlossen. Mindestens ein Jahr soll die Wasserzufuhr gedrosselt bleiben, die dem Tigris nach Schätzungen von Fachleuten bis zu 40 Prozent seiner normalen Menge entzieht. Am Donnerstag jedoch machte die Türkei einen kleinen Rückzieher, ließ den Tunnel wieder öffnen; nun ist der 1. Juli das Datum, von dem an der Stausee gefüllt wird. Der Aufschub geschehe aus Rücksicht auf den heiligen Fastenmonat Ramadan, hieß es dazu aus Ankara. Denn die Bauern im Zweistromland fürchten um ihre Existenz – zumal die heißen Sommermonate erst noch kommen.
Auch dem Ökosystem der mesopotamischen Marschen im Südirak, die die Unesco 2016 zum Welterbe erklärt hat, droht der Kollaps. Weite Sumpfregionen werden wohl austrocknen, zahllose Büffelzüchter müssen aufgeben, befürchtet Jassim Al-Asadi, Direktor von "Nature Iraq". Die Hilfsorganisation kümmert sich um diesen einzigartigen Naturpark, der angeblich einst die Paradieserzählung der Bibel inspiriert hat. "Wir sind völlig ratlos, es gibt keine Lösung", sagt Al-Asadi.
Zusätzlich verschärft wird die irakische Wasserkrise durch den Iran. Deren Behörden kappten dieser Tage kurzerhand den Zab-Fluss, der durch den kurdischen Nordirak führt und zu den fünf wichtigsten Zuflüssen des Tigris gehört. Abertausende Fische verendeten, alle Wasserturbinen auf kurdischer Seite stehen seitdem still.
Das Drama um das Tigris-Wasser ist im Nahen und Mittleren Osten keineswegs ein Einzelfall. Auch um den Zwillingsstrom Euphrat streiten seit Jahrzehnten die Türkei, Syrien und der Irak. Der Nil entzweit Äthiopien und Ägypten, der Jordan Israel und Jordanien, der Karoun Iran und Irak. Im gesamten Orient fehle es an verbindlichen Vereinbarungen zur Nutzung grenzüberschreitender Flüsse, erklärte der Nasa-Wasserspezialist Jay Famiglietti. Stattdessen agieren alle Nationen auf eigene Faust – davon profitieren die Staaten an den Oberläufen, während die an den Unterläufen erpressbar werden.
Mit mehr als 25 Dämmen, von denen sich die meisten in der Türkei befinden, gehören Euphrat und Tigris zu den am häufigsten gestauten Flüssen des Globus. Die Atatürk-Barriere am Euphrat ist mit ihrem Volumen von 48 Kubikkilometern etwa so groß wie der Bodensee. Das jetzt fertiggestellte Illisu-Staubecken am Tigris gehört mit elf Kubikkilometern ebenfalls zu den Giganten der Region. Trotzdem versuchte der irakische Wasserminister, Hassan Al-Janabi, seine aufgewühlten Landsleute zu beruhigen. Die Regierung habe die Krise unter Kontrolle. Es drohe keine Dürre, Wasser gebe es genug, wenn auch für die Landwirtschaft derzeit nur die Hälfte der üblichen Menge. Auch der türkische Botschafter in Bagdad bemühte sich, die Sorgen der Iraker zu besänftigen. Man werde sicherstellen, dass genügend Wasser über die Grenze fließe, schwor Fatih Yildiz.
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