BZ-Umfrage
Briten im Breisgau blicken auf Unterhauswahl
Vor einem Jahr hat die BZ Briten aus dem Breisgau zur Brexit-Entscheidung befragt. Jetzt berichten sie, wie es ihnen seither ergangen ist und was sie von der Unterhauswahl am Donnerstag erwarten.
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"Das wird knapp, aber die Vernunft wird letztlich siegen", da war sich Julia Thornton vor einem Jahr ganz sicher: Einen Brexit wird es nicht geben. "Über das Ergebnis war ich dann total überrascht", sagt die Sopranistin, die mit ihren Kindern in Bollschweil lebt. Offenbar sei sie ebenso wie ihr Bekanntenkreis nicht repräsentativ. "Es gibt eine große Zahl an Menschen in Großbritannien, die nichts von der EU halten." Das sähen Briten, die in anderen europäischen Staaten leben, ganz anders, "sie sind offener und europäischer".
Dennoch versucht Julia Thornton nachzuvollziehen, was ihre Landsleute mehrheitlich zur Brexit-Entscheidung bewogen hat. Und dabei kommt sie immer wieder auf die Mentalität der Briten zu sprechen. Sie seien ein Volk, das sich an Regeln hält, wenn sie einmal beschlossen sind. Das sei bei einigen EU-Ländern nicht der Fall, dort würden Beschlüsse – vom Olivenöl bis zu den Flüchtlingen – nicht so ernst genommen, und das verärgere die Briten.
Auch der Bürokratismus und die langen Verhandlungen, bis eine politische Entscheidung gefallen ist, seien vielen ein Dorn im Auge. Thornton führt das auch auf das parlamentarische System in Großbritannien zurück. Koalitionen, in denen Kompromisse gesucht und geschlossen werden, gibt es – mit wenigen Ausnahmen – nicht. Das relative Mehrheitswahlrecht kennt nur einen Sieger, die anderen Stimmen fallen weg. Das fördere klare Regierungsverhältnisse, wenn überhaupt kurze Verhandlungen, klare Entscheidungen, mehr Flexibilität. "Es geht schneller vorwärts und das schätzen die Briten." Julia Thornton geht nicht davon aus, dass Theresa May bei den Unterhauswahlen einbricht.
Was also erhofft und erwartet sie von den Brexit-Verhandlungen? Da hat sie eine klare Priorität: "Europäer müssen in Großbritannien weiter leben und arbeiten können, genauso wie Briten dies in Ländern auf dem Kontinent tun." Alles andere wäre ein großer Rückschritt. Um sich und ihre Kinder macht sie sich wenig Sorgen. Sie haben alle drei den deutschen und den britischen Pass und können hier wie dort leben, studieren und arbeiten.
Er bezeichnet sich selber als "Deutscher mit Migrationshintergrund". Duncan Cummins stammt aus Birmingham, hat in England als Lehrer gearbeitet und dann 30 Jahre lang die Bibliothek im Karl-Schurz-Haus in Freiburg betreut. Seinen englischen Pass hat er schon lange gegen einen deutschen eingetauscht. Jetzt ist er seit drei Jahren Rentner, lebt in Sölden und ist ziemlich verärgert über das, was sich in seiner Heimat in den vergangenen zwölf Monaten getan hat.
Ganz konkret spürt er die Veränderungen bereits persönlich – in seinem Geldbeutel: Cummins hat aus seiner Lehrertätigkeit Anspruch auf Rente aus Großbritannien und hat zudem weiter freiwillig Beiträge gezahlt. Die sind jetzt bereits weniger wert: Das britische Pfund ist gesunken, rund 15 Prozent, schätzt er, ist seine englische Rente nun weniger wert.
Wie sich seine Heimat für den Brexit entscheiden konnte, ist ihm auch heute noch schwer begreiflich. Die Angst vor Flüchtlingen, der Ärger über ausländische, vor allem polnische, Arbeitskräfte in England, der Wunsch, sich das Handeln nicht von Europa vorschreiben zu lassen – all das seien Themen, die durch Verhandlungen und Kompromisse hätten geregelt werden können, nicht aber durch einen Brexit.
Duncan Cummins macht kein Hehl daraus, dass er und seine englischen Freunde in Deutschland darauf hoffen, dass Theresa May nun bei den Unterhauswahlen zumindest einen deutlichen Denkzettel bekommt. Dass sie, die er "Heuchlerin" nennt, weil sie von der pro -europäischen auf die andere Seite gewechselt ist, scheitern könnte, glaubt Cummins nicht.
Aber die Menschen in Großbritannien seien nicht alle uninformiert, "sie haben gemerkt, dass sich die Situation für ihr Land nach den Wahlen in den USA und in Frankreich verändert hat". Mit Hillary Clinton wäre eine andere Wirtschaftspolitik möglich gewesen, meint Cummins, die Wahl von Marine Le Pen hätte Europa geschwächt. So aber sei in Washington ein unberechenbarer Donald Trump am Ruder und auf der anderen Seite die EU durch den europafreundlichen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris gestärkt.
Bei den Austrittsverhandlungen sei Großbritannien der "kleinere Partner", der bald merken werde, dass nicht so verhandelt wird "wie sie es sich vorstellen". Das Land werde Kröten schlucken müssen und, das hält Cummins nicht für ausgeschlossen, noch kalte Füße bekommen. Niemand könne heute sagen, wie die Welt in zwei Jahren aussieht, "aber vielleicht kommt Großbritannien noch zur Vernunft und will dann zurück in die EU".
"So, wie wir die Welt derzeit erleben – das war nicht meine Vorstellung von Ruhestand." Das sagt Peter Simpson, englischer Staatsbürger, verheiratet mit einer Deutschen, der in seinem Berufsleben in mehreren Ländern gelebt und gearbeitet hat und sich für den Ruhestand seit 2011 Ehrenkirchen als Wohnort ausgesucht hat. Über Internet und die Lektüre zahlreicher internationaler Zeitungen informiert sich Peter Simpson – über seine Heimat und die Weltpolitik insgesamt.
Die Möglichkeit eines Brexit hat er beim Gespräch vor einem Jahr als "historischen Fehler" bezeichnet – und das sieht er heute genauso. Ganz persönlich betroffen ist Peter Simpson weder vom Ergebnis der Unterhauswahlen noch vom bevorstehenden Brexit. Allerdings haben seine in Frankreich lebenden Söhne jetzt deutsche Pässe beantragt, neben dem britischen, den sie bereits haben.
Beim Referendum habe es viele Falschinformationen gegeben, aber viel zu wenig Debatten über die Konsequenzen der Entscheidung. Auch jetzt gehe es eigentlich um die Regierungspolitik der kommenden Jahre, aber der Brexit stehe im Mittelpunkt, verdränge Diskussionen über soziale Gerechtigkeit, Bildungs- oder Gesundheitspolitik und vor allem die drohende Weltfinanzkrise, meint Simpson.
May führe den Wahlkampf mit den gleichen Argumenten wie beim Referendum, etwa der Frucht vor der Unterwanderung der britischen Kultur durch Einwanderer aus der EU. "Unehrlich" und "verantwortungslos" nennt Simpson die Politik der "Karrieristin" mit wenig wirtschaftlicher Kompetenz, die nicht viel auf den Rat anderer gebe. Die erhoffte große Mehrheit werde May nicht erreichen. Die Größe ihres Vorsprungs hänge ab von der Wahlbeteiligung und von den jungen Menschen, die beim Brexit nicht abgestimmt haben – und dies vielleicht nun nachholen. An ein Scheitern Mays glaubt Peter Simpson aber nicht.
Was der Brexit bedeutet, werde erst klar, wenn das Verhandlungsergebnis auf dem Tisch liegt – für Großbritannien wie für die EU-Länder, die dem ja auch zustimmen müssen. Sicher sei: Es wird eine "lose-lose-Situation" geben. Sicher sei auch: Europa werde angesichts der Lage in den USA stärker werden, China und Indien immer mehr an Bedeutung gewinnen. Und Großbritannien, die ehemalige Großmacht, stehe ohne die EU isoliert da.
Eigentlich aber, meint Simpson, sei die Situation Großbritanniens nebensächlich angesichts von Klimawandel und drohendem Konflikt zwischen den USA auf der einen und China und Russland auf der anderen Seite.
Ende März hat May ihren "Scheidungsbrief" bei der EU in Brüssel abgegeben – neun Monate nach der Abstimmung über den Brexit. So lange hat Barry Groundwater nicht gewartet. Der Brite beantragte schon Anfang des Jahres die deutsche Staatsbürgerschaft.
"Zwei Tage habe ich gebraucht, um die Dokumente auszufüllen", erzählt der 46-jährige Ingenieur, der mit seiner deutschen Frau und zwei Kindern in Gottenheim lebt. Dabei ging es nicht nur um standesamtlich wichtige Unterlagen, besonders interessiert sich die zuständige Behörde im Landratsamt für die finanziellen Verhältnisse der Neubürger in spe. "Sie wollten Auskünfte über Konten und Kredite und Einkommensnachweise", sagt Groundwater.
Ein Sprachtest blieb ihm erspart, konnte er doch ein altes Zertifikat einer vor Jahren abgelegten Sprachprüfung vorlegen. Doch musste der Familienvater noch einmal kurz die Schulbank bei der Volkshochschule drücken. "Ich musste dort einen Einbürgerungstest machen", berichtet Groundwater. Aus rund 300 Fragen zu gesellschaftlichen und politischen Themen bekam jeder eine Auswahl von 33 Fragen, von denen bei mindestens 17 die richtige Lösung angekreuzt werden musste. "Ich habe 30 von 33 Fragen richtig", freut sich Groundwater.
Jetzt rechnet er damit, in wenigen Wochen den deutschen Pass zu bekommen. "Als Brite war ich bisher EU-Bürger, das will ich auch bleiben, darum möchte ich Deutscher werden", sagt er. Abwarten, bis irgendwann die Regeln für den Brexit ausgehandelt sein werden, wollte er nicht. Seine Freunde und Verwandten in England hätten für seinen Schritt Verständnis. Die britische Staatsbürgerschaft wird Groundwater behalten können.
Für die Unterhauswahlen, an denen er nicht teilnehmen kann – er lebt schon über die erlaubte Maximalfrist von 15 Jahren im Ausland – wagt er keine Prognose. "Ich habe mich ja schon beim Brexit vertippt." Für sich selbst nimmt er die unsichere Lage mit Humor: "Wenn ich diesen Sommer nach England fahre, genieße ich das tief gesunkene Pfund!"
Aus Bolton bei Manchester kommt Bernard Halford. Seit 1980 arbeitet der 63-Jährige in Freiburg. Er wohnt in Stegen. Abstimmen durfte er vor einem Jahr, als es um den Brexit ging, nicht. "Meine Meinung hat sich natürlich nicht geändert", sagt Halford. Er sieht sich als Befürworter der Europäischen Union, auch wenn sie reformbedürftig sei. Der Frieden auf dem Kontinent sei die große Errungenschaft der EU. "Es ist utopisch, wenn sie glauben, dass sie Vorteile vom Brexit haben", sagt Halford in Richtung der EU-Gegner auf der Insel.
Wie die Brexit-Verhandlungen ausgehen werden, wisse er nicht. "Es ist keine Weltkrise", sagt Halford. Viel schlimmer findet er beispielsweise die jüngsten Terroranschläge in London und Manchester.
Vor allem Deutschland und Großbritannien müssten ein Interesse daran haben, die Kooperation aufrechtzuerhalten. Es gehe dabei nicht nur um wirtschaftliche Verflechtungen. Halford nennt US-Präsident Donald Trump. Die europäischen Staaten sollten zusammenarbeiten "als vernünftige Stimme auf der Welt".
Für Halford habe das vergangene Jahr gezeigt, dass die britischen Politiker nicht die Trümpfe in der Hand hielten. Sie müssten gut nachdenken, bevor sie sich öffentlich äußerten. Das gelte aber auch für die andere Seite. Es habe ihn aber überrascht, dass sich Premierministerin Theresa May so schnell und lautstark geäußert habe. Halford sieht die Regierungschefin in einer schwierigen Lage, schließlich sei sie vor der Abstimmung gegen den Austritt aus der Gemeinschaft gewesen, müsse ihn nun aber vollziehen.
Die Entscheidung der Briten wirkt sich auch persönlich auf Bernard Halford aus. Er erzählt, dass auf seinem Schreibtisch der Antrag auf doppelte Staatsbürgerschaft liege. Ausgefüllt sei er noch nicht, doch das wolle er tun. Bezüglich der Unterhauswahlen am Donnerstag ist sich Halford sicher, dass die Konservativen um May den Sieg erringen werden: "Auch wenn es nicht unbedingt meine Wahl ist."
Ceri Fairclough aus Gundelfingen war geschockt, als vor einem Jahr klar war, dass die Befürworter eines Austritts aus der Europäischen Union das Brexit-Referendum gewonnen hatten. Mit ihrem Ehemann hatte sie in der Nacht zum 24. Juni 2016 die Stimmenauszählung im Internet mitverfolgt. "Ich wusste, dass die Entscheidung knapp ausfallen würde", erinnert sich die 42-Jährige, "doch am Ende war das Ergebnis niederschmetternd."
Wie damals kann die Philologin noch keinen Plan der Brexit-Befürworter erkennen. "Nach wie vor gibt es viele offene Fragen. Es ist unklar, wie etwa die Rentenbezüge geregelt sein werden oder andere Aspekte, die das Finanzwesen betreffen. Wir wissen nicht, wie es sein wird, wenn wir unsere Familienangehörigen in England besuchen möchten." Man könne weder beruflich, noch finanziell, noch persönlich planen.
"Mir tun auch die Europäer leid, die in Großbritannien leben. Für sie ist die Zukunft genauso ungewiss." Noch nie habe sie eine so chaotische Zeit erlebt, sagt die Britin, die aus der Stadt Lewes in der Nähe von Brighton stammt. Vor 13 Jahren waren sie und ihr Ehemann, der als Wissenschaftler an der Universität Freiburg arbeitet, nach Gundelfingen gekommen. Ihre drei Kinder sind in Deutschland aufgewachsen.
Seit dem Referendum sei ihr noch bewusster geworden, wie stark sie ihre Bindung an Deutschland und Europa empfinde. Einige ihrer Freunde in Großbritannien, die sich seit dem Referendum um die wirtschaftliche und politische Zukunft ihres Landes große Sorgen machten, fühlten sich ihrer europäischen Staatsbürgerschaft bestohlen.
Mit der Ungewissheit habe Fairclough zu leben gelernt. Ob sie ihren britischen Pass gegen einen deutschen eintauschen würde? "Wenn es möglich wäre, wäre die doppelte Staatsbürgerschaft ideal", sagt sie. Den britischen Pass abzugeben, kommt für Fairclough eher nicht infrage. "Wenn wir nach Großbritannien zurückkehren möchten, um beispielsweise unsere Eltern zu pflegen, wissen wir nicht, wie lange wir uns dort mit einem deutschen Pass aufhalten dürften."
Noch ist der britische Pass, mit dem Ruth Kirkus gestern in ihre englische Heimat flog, auch ein EU-Pass. Das wird sich mit dem Brexit ändern und darum hat sich die in Bötzingen lebende Engländerin entschlossen, demnächst auch die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. "Aus logistischen Gründen, weil ich mich als EU-Bürgerin dann freier bewegen kann", erklärt sie.
Auch ihre beiden Kinder sollen beide Staatsangehörigkeiten behalten, sagt die mit einem Deutschen verheiratete 47-Jährige. Auf den englischen Pass verzichten will sie nicht, trotz der nicht geringen Gebühren für seine Verlängerung, "das ist ein Stück Heimat, ein Teil von mir", sagt Ruth Kirkus.
Die Entwicklung auf der Insel verfolgt sie mit Interesse. Auch ihre Verwandten und Freunde dort waren keine Befürworter des Brexit und stehen der jetzigen Regierungschefin Theresa May skeptisch gegenüber. Überhaupt habe sich die Stimmung gedreht, "sie kommt nicht so gut rüber".
Die Labour-Party mit Jeremy Corbyn hole auf, "es wird keine so eindeutige Sache, wie May sich das dachte", ist Ruth Kirkus überzeugt. Allerdings unterstützten die Boulevardmedien, die schon für den Brexit trommelten, die Konservativen massiv. Die Verhandlungen zwischen EU und Briten, so hofft Ruth Kirkus, sollten vor allem weitgehende Freizügigkeit für die Menschen anstreben. Denn egal, wie die Wahlen ausgingen, "ein Zurück vom Brexit wird es nicht geben".
Im Leben von Susan Schwantes hat der Brexit noch nicht viel verändert. "Ich habe in Deutschland gearbeitet und beziehe hier auch meine Rente", sagt die 66-jährige einstige Balletttänzerin. Noch könne sich nicht absehen, was sich verändern würde, wenn sie einmal keine EU-Bürgerin mehr sei. Für sie und ihren amerikanischen Mann, mit dem sie in Umkirch lebt, ist das Leben in der EU eben eine Selbstverständlichkeit, die man sich nur schwer wegdenken könne.
Eine Freundin, erzählt sie, habe sich jetzt entschlossen, die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen. Kurioserweise habe sie im Landratsamt so etwas wie einen Sprachtest machen müssen, "es wurde ihr ein Zeitungsartikel vorgelegt, um ihr Sprachverständnis zu testen. Dabei hatte sie schon die ganze Zeit auf deutsch Kontakt mit dem Amt und ist zudem mit einem Deutschen verheiratet", wundert sich Susan Schwantes über diese Bürokratie.
Dass der Brexit doch noch abgewendet werden könnte, daran glaubt Susan Schwantes nicht. Wenn Theresa May aber so tue, als könne sie mit der EU tolle Ergebnisse für die britische Seite aushandeln, sei das arrogant und lächerlich.
Enttäuscht ist Susan Schwantes aber auch von Labour-Chef Jeremy Corbyn. "Der war schon immer für den Brexit – dass ein Labour-Mann das tun kann, leuchtet mir nicht ein!" Für die Briten werde es keine einfache Zeit, zumal jetzt, mit den Terroranschlägen.
Aktuell sei es für sie und ihren Mann schon bedrückend, was sich politisch so in ihren Heimatländern tue, in Großbritannien wie in den USA. "Brexit und Trump – der Blick auf die Welt hat sich geändert, man wundert sich nur, über diese engstirnige Art zu denken".
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