Biden gibt schon den Wahlkämpfer
Er reicht den Republikanern die Hand – und versucht, sie vorzuführen: Das war die Taktik von US-Präsident Joe Biden bei seiner Rede zur Lage der Nation. Der Demokrat wirkt dabei so, als wolle er es noch mal wissen.
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Der Präsident konzentrierte sich in der Rede vor allem auf Themen, die vielen Amerikanern unter den Nägeln brennen dürften: Wirtschaft, Inflation, Arbeitsmarkt. Er machte deutlich, trotz einer von Deutschland und anderen EU-Staaten befürchteten Abschirmung der US-Wirtschaft weiter auf das Prinzip "Made in America" setzen zu wollen. Außenpolitik spielte in der Rede fast keine Rolle. Allerdings richtete Biden nach dem Abschuss eines mutmaßlich zu Spionagezwecken genutzten chinesischen Überwachungsballons eine Warnung an Peking: "Wenn China unsere Souveränität bedroht, werden wir handeln, um unser Land zu schützen, und das haben wir getan."
Es war Bidens erste Rede zur Lage der Nation vor einem Kongress, in dem seine Demokraten nicht mehr in beiden Kammern eine Mehrheit haben. Bei den Zwischenwahlen im November hatten die Republikaner eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus errungen. Im vergangenen Jahr wurde Bidens Ansprache am 1. März vom Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine überschattet. Auch dieses Mal versprach der Demokrat Kiew langfristige Unterstützung. Das Thema nahm aber weniger Raum ein als noch im Vorjahr.
Die neuen Mehrheitsverhältnisse machen es für Bidens Regierung noch schwieriger, Gesetzesvorhaben umzusetzen. Teile beider Parteien stehen sich hasserfüllt gegenüber, Hardliner bei den Republikanern setzen auf Blockade und schließen eine Zusammenarbeit mit den Demokraten aus. Biden begann seine Ansprache mit einem Seitenhieb auf den neuen republikanischen Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy: "Ich möchte Ihren Ruf nicht ruinieren, aber ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen."
Biden habe sich als Elder Statesman präsentiert, der in der Lage sei, über die Parteigrenzen hinweg zu arbeiten, urteilte die Washington Post am Mittwoch. Gleichzeitig sei er als "gewiefter Politiker mit festen Überzeugungen" aufgetreten. Nach einem "wackligen Start" habe Bidens Rede an Schwung gewonnen, schrieb die New York Times. "Tatsächlich nutzte er die größte Bühne seiner Präsidentschaft als Gelegenheit, um seine Vision, seine Bilanz und seine Agenda für die Wahlen 2024 zu verkaufen."
Biden gelang es in seiner Rede, den politischen Gegner zu provozieren – besonders beim Thema Sozial- und Krankenversicherung. Seine Behauptung, einige Republikaner wollten die gerade bei vielen älteren Amerikanern beliebten Leistungen auslaufen lassen, erntete wütende Zwischenrufe. Die rechte Republikanerin Marjorie Taylor Greene schrie und nannte Biden einen "Lügner". Der Präsident schien den Moment zu genießen und erklärte: "Wir scheinen uns alle einig zu sein, dann lassen Sie uns alle für Senioren aufstehen und ihnen zeigen, dass wir die Sozial- und Krankenversicherung nicht kürzen wollen."
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