Baden-Württemberg
Bestrafen oder nicht? Warum die Altersgrenze kritisiert wird
Wenn Kinder in Deutschland Straftaten begehen, müssen sie sich erst ab 14 Jahren verantworten. Das ist seit über 100 Jahre so. Aus Sicht von Baden-Württembergs Justizministerin geht das Gesetz aber nicht mit der Zeit.
Di, 4. Feb 2025, 12:22 Uhr
Südwest
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Auch sie können schlagen und stehlen, sie können erpressen und stechen: Aber wenn Kinder eine Straftat verüben, dann werden sie anders behandelt als Erwachsene. Gegen sie wird nicht strafrechtlich ermittelt, sie werden auch nicht angeklagt und erst recht nicht verurteilt. Warum ist das so? Und was will Justizministerin Marion Gentges daran ändern?
Welche Stufen der Strafmündigkeit gibt es?
In Deutschland wird das nach dem Strafgesetzbuch geregelt. Dort heißt es in Paragraf 19, schuldunfähig ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht 14 Jahre alt ist. Diese Altersgrenze gilt seit 1923.
Mit dem 14. Geburtstag fallen Jugendliche unter das Jugendstrafrecht, das stark vom Erziehungsgedanken geprägt ist. Voll strafmündig ist man ab dem 18. Lebensjahr. Und auch hier gibt es Ausnahmen, denn auch bei einem Volljährigen kann nach Einschätzung eines Richters das Jugendstrafrecht noch bis zum Alter von 21 Jahren angewandt werden. Ab dem 21. Geburtstag gilt das Erwachsenenstrafrecht uneingeschränkt.
Warum kommen Kinder, die ein Verbrechen begangen haben, nicht vor ein Gericht?
Weil Kinder nach dem Gesetz als schuldunfähig gelten, werden sie auch als strafunmündig angesehen, sie dürfen also nicht vor ein Gericht gestellt und verurteilt werden, ganz unabhängig von der Schwere der Tat.
Folgenlos muss ein Verbrechen in diesem Alter aber nicht sein: Oft wird das Jugendamt eingeschaltet, damit es die Hintergründe prüfen und beispielsweise feststellen kann, ob die Familienverhältnisse intakt sind. Es kann auch Kurse oder andere erzieherische Maßnahmen anordnen. In extremen Fällen kann den Eltern das Sorgerecht entzogen werden. Straffällige Kinder könnten dann in einem Heim oder bei einer Pflegefamilie untergebracht werden.
Warum liegt die Grenze bei 14 Jahren?
Wer bestraft wird, soll auch verstehen können, dass er verantwortlich ist und Fehler begangen hat. Dazu heißt es in Paragraf 3 des Jugendgerichtsgesetzes: "Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln."
Angenommen wird, dass diese Einsichtsfähigkeit bei Kindern unter 14 Jahren noch nicht vorhanden ist und sie nicht ausreichend begreifen, welche Folgen ihre Taten haben können.
Was schlägt die Justizministerin jetzt vor?
Landesjustizministerin Marion Gentges hat sich nicht für eine neue Altersgrenze ausgesprochen. Sie appelliert lediglich an Bund und Länder, die Strafmündigkeit von Jungen und Mädchen unter 14 Jahren wissenschaftlich in den Blick zu nehmen.
"Wir müssen auf wissenschaftlicher Grundlage einschätzen können, ob das Strafmündigkeitsalter grundsätzlich korrigiert werden muss", sagt die CDU-Ministerin. Nur mit fundierter Datenlage könne die Frage beantwortet werden, ab wann mit Strafen reagiert werden könne. Nach Ansicht der Ministerin muss zudem überlegt werden, ob schon für jüngere Menschen eine qualifizierte staatliche Ansprache auch gegen den Willen der Eltern möglich sein kann.
Was spricht denn aus ihrer Sicht für eine Debatte über die Altersgrenze?
Aus Sicht von Gentges könnten Kinder und Jugendliche heute anders dastehen als vor 100 Jahren. Beim Wahlrecht forderten Parteien oft eine Herabsetzung des Wahlalters, weil Minderjährige heute viel früher die notwendige Reife und Vernunft hätten als früher. Wenn dem so sei, müsse auch die Frage der Strafmündigkeit gestellt werden.
Die Justiz habe aber auf alle unter 14-Jährigen keine Einflussmöglichkeit. Die Staatsanwaltschaft darf gegen Strafunmündige nicht ermitteln. Angesichts der Entwicklung müsse der Staat stärker eingreifen, sagt Gentges. Begehe ein Kind im Alter von zehn oder zwölf Jahren Gewaltstraftaten, sei es naiv, zu glauben, dass es dieses Verhalten zum 14. Geburtstag ablege. Es könne sich vielmehr verfestigen - und dann drohten perspektivisch weitere Straftaten. "Diese jungen Menschen müssen auch für sich selbst wieder einen Weg finden können, ohne Straftaten leben zu können", sagte Gentges.
Bringt sie da eine neue Idee ins Spiel?
Die Strafmündigkeit wird immer mal wieder diskutiert. Die Ministerin hat auch bereits die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung herausgestellt. Mit einem entsprechenden Antrag war sie aber vor einem Jahr bei den Justizministerinnen und Justizministern der Länder gescheitert.
"Ich gebe da nicht auf", sagt Gentges der Deutschen Presse-Agentur. "Manchmal muss man mehr als einen Anlauf nehmen. Die Mehrheitsverhältnisse in der Justizministerkonferenz sind ja auch einem ständigen Wandel unterworfen."
Wie haben sich die Straftaten von Kindern entwickelt?
Nach der polizeilichen Kriminalstatistik waren im Jahr 2019 insgesamt 7.642 Kinder in Baden-Württemberg tatverdächtig. Diese Zahl ist über die Jahre konstant gestiegen bis zu einem Höchststand im Jahr 2023 mit 10.610 Kindern unter Verdacht.
Einen hohen Anstieg gab es laut Gentges vor allem bei der Gewaltkriminalität in dieser Altersgruppe. Zwischen 2019 und dem vergangenen Jahr sei die Zahl in diesem Bereich um 63,4 Prozent oder von 604 auf 987 Tatverdächtige gestiegen. Bei den Zahlen müssten "die Alarmglocken laut schrillen", hatte sie bereits im vergangenen September bei der Vorlage gewarnt. Zahlen für das Jahr 2024 sollen im März vorgelegt werden.
Am vergangenen Freitag hatte ein Vorfall an einer Stuttgarter Straßenbahnhaltestelle für Aufsehen gesorgt: Ein 13-Jähriger soll einen 12-Jährigen nach einem Streit gegen eine einfahrende Tram gestoßen haben - das Kind kam dabei ums Leben. Der 13-Jährige sei an das Jugendamt überstellt worden, hatten Staatsanwaltschaft und Polizei Stuttgart mitgeteilt. Zum Motiv gibt es keine offiziellen Angaben.
- Tödlicher Angriff unter Kindern: Jugendamt ergreift erste Maßnahmen in Freudenberg
- Kriminalstatistik: Warum Kinder und Jugendliche oft unwissentlich Straftaten begehen