Andreas Hollstein
Attackierter Politiker beklagt die Polarisierung im Land - und bekommt weiterhin Hassmails
Attackierter Bürgermeister beklagt polarisierte Debatte im Land.
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So weit, so irre. Jetzt, am Tag danach, sieht Hollsteins Gesicht müde aus, die Haut der Wangen ist gerötet, wie einen Schutzwall hat er die Arme vor sich verschränkt. Er sollte sich ausruhen. Aber er muss etwas loswerden. Deshalb hat er ins Rathaus geladen. Er will der Republik etwas sagen: darüber, wie er fast gestorben wäre. Aber auch über den Hass, der seit einiger Zeit Lokalpolitikern auf Marktplätzen und im Internet entgegenschlägt, über eine politische Debatte, die so radikal geführt wird, dass sie gefährlich ist. Über ein Land, das zwar gut funktioniert, aber immer öfter nicht so wahrgenommen wird.
"Das ganze Land ist polarisiert", sagt Hollstein. Der Amtschef ist ein erfahrener Kommunalpolitiker, er arbeitet seit 18 Jahren als Bürgermeister. Er kennt seine Stadt in- und auswendig. 2014 wurde der CDU-Mann mit 70 Prozent wiedergewählt. Altena ist eine kleine Stadt im Sauerland, 18 000 Einwohner, ein Ort, an dem man ein "unspektakuläres Leben" führt. Seit zwei Jahren aber, seit dem Flüchtlingssommer 2015 kennt die ganze Republik den Ort: Denn Andreas Hollstein wagt zu sagen, dass seine Stadt mehr Flüchtlinge aufnehmen könne, als ihr per Schlüssel zugewiesen wurden. Hollstein begründet seinen Schritt damals mit dem Bevölkerungsschwund in seiner Gemeinde – ein Sachargument.
Kurz danach, im Oktober, brennt in Altena ein Haus, in dem eine Familie aus Syrien wohnte, die Frau ist schwanger. Brandstiftung, Benzin im Dachgeschoss, eine geplante Tat, wie die Ermittler herausfinden. Die Täter: ein 23-Jähriger und ein 25-Jähriger, der ältere Feuerwehrmann. Ihr Motiv: "Verärgerung über den Einzug von Flüchtlingen."
Die Tat schlägt hohe Wellen – auch weil die Staatsanwaltschaft kein fremdenfeindliches Motiv gefunden haben will, trotz der Aussage der Täter. Deren Handeln erinnert an den Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Tröglitz ein halbes Jahr zuvor, reiht sich ein in eine rapide wachsende Zahl von fremdenfeindlichen Attacken, Feuern, Zerstörungen. Schmierereien. Das Land verändert sich in jenen Monaten, eine politische Klimaverschärfung setzt sich fest. Es sind nicht nur die montäglichen "Volksverräter"-Sprechchöre bei Pegida in Dresden. Innerhalb der politischen Rechten beginnt ganz offensiv die Strategie, einzelne Personen anzuprangern: Politiker, Kirchenleute, Staatsanwälte, Journalisten. Die sozialen Medien wie Twitter oder Facebook eignen sich hervorragend dafür, Gegner an den Pranger zu stellen. Es gibt dafür bald einen eigenen Hashtag, der im Internet benutzt wird: #merktEuchdieNamen.
Auch in der Wirklichkeit, auf der Straße, ist der Hass angekommen: Politiker auf Bundesebene berichten von Beschimpfungen und Drohungen. Noch frisch ist die Erinnerung an die Bilder aus dem Bundestagswahlkampf, bei dem die Kanzlerin übel beschimpft wird. Bad in der Menge? Lieber Abstand halten. Eine Politikergruppe aber kann sich Distanz nicht erlauben: Es sind Leute wie Andreas Hollstein. Kommunalpolitiker. Die stehen vorne. Und sie bekommen alles ab.
"Der Diskurs wird in Deutschland immer härter und rücksichtsloser geführt", sagt Hollstein am Dienstag bei seiner Pressekonferenz. Er ist ein ruhiger, sachlicher Typ, bisher war er immer sicher, dass die Drohungen ihn nicht einschüchtern. Hassmails bekommt er seit langem viele. "Auch jeder Ratsherr, der sich für Mitmenschen einsetzt, erlebt mittlerweile Hass", berichtet er.
Wo kommt das her? Wer trägt Verantwortung? Noch weiß Hollstein wenig über den Täter – außer dem Neid, den dieser selbst in seiner Aussage artikuliert hat. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 56-Jährigen versuchten Mord vor. Er habe in Tötungsabsicht und aus niedrigen Beweggründen gehandelt. Allerdings habe der mit 1,1 bis 1,2 Promille alkoholisierte Mann vermutlich nicht geplant gehandelt. Hintergrund könne neben einer politischen Motivation auch der Umstand sein, dass man ihm das Wasser abgestellt habe, da das Haus, in dem er wohne, zwangsversteigert werden solle, sagte der zuständige Oberstaatsanwalt. Weil der geschiedene Mann psychische Probleme habe, soll ein Gutachten über seine Schuldfähigkeit erstellt werden. Der Beschuldigte habe sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert.
Der Bürgermeister mutmaßt: "Für mich ist er das Werkzeug anderer." Er glaubt, dass das Internet wie ein Schubkraftverstärker wirkt: "Ich glaube, dass das Gift, das Menschen säen, über soziale Medien Eingang in simple Gemüter findet." Es sei die polarisierte Debatte, sagt der Bürgermeister – "in Altena, wie im Rest der Republik auch."
Wie soll es nun weitergehen? Er jedenfalls will sich weiter einsetzen, "für Flüchtlinge, aber auch für andere sozial Schwache". Und weiter: "Es bringt uns nicht weiter, wenn wir unterschiedliche politische Meinungen mit Hass rüberbringen." Ob das hilft? In seinem Mailfach fand Hollstein am Morgen nach der Tat Post von Fremden. Sie erklärten ihm, wie richtig sie den Messerangriff finden.
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