"Miss Abschied"

Interview mit der schönsten Bestatterin Deutschlands

Tatjana Greiner aus Hasel wurde unter mehr als 70 Bewerberinnen zur "Miss Abschied 2016" auserkoren. Im Interview spricht sie über Trauer – und wie ein Schönheitswettbewerb zu ihrem Beruf passt.  

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Bestatterin Tatjana Greiner aus Hasel bei Schopfheim  | Foto: zvg
Bestatterin Tatjana Greiner aus Hasel bei Schopfheim Foto: zvg
Die Straße schlängelt sich durch das verschlafene 1200-Seelen-Dorf Hasel bei Schopfheim, vorbei an Wirtshaus, Friedhof und der imposanten evangelischen Pfarrkirche aus dem 18. Jahrhundert. Ein unscheinbares Haus, hier empfängt, berät und tröstet Tatjana Greiner in ihrer lichtdurchfluteten Wohnküche. Auf dem Tisch brennen vier Kerzen. Die blonde Frau trägt Schwarz, sie ist in dritter Familiengeneration Bestatterin. Gegenüber im Hof der früheren Schreinerei des Großvaters stehen Särge zur Auswahl, vor dem Tor parkt der kleine graue Anhänger, ein Leichenwagen aus den 60er Jahren. Ende September wurde Greiner unter mehr als 70 Bewerberinnen zur "Miss Abschied 2016" auserkoren. Dominik Bloedner sprach mit ihr über Trauer, Tod und das Leben.

BZ: Frau Greiner, der Tod ist doch nicht schön, Trauer ist eine eher schmerzhafte Angelegenheit für die Hinterbliebenen. Jetzt an Allerheiligen und später am Totensonntag gedenken die Menschen derer, die nicht mehr da sind. Wie passt das zu einem Schönheitswettbewerb?
Greiner: Misswahlen gibt es zum einen überall und zu jedem Thema. Zum anderen wollte ich zeigen, dass unser Beruf nicht schrecklich ist. In Filmen wird der Bestatter oft als düsterer, kleiner, bleicher Kerl gezeigt. Doch so ist es nicht. Wir sind normale, freundliche Menschen. Auch ist der Tod etwas ganz Normales, er gehört nun einmal zum Leben. Und die Arbeit hat viele schöne Seiten.

BZ: Die da wären?
Greiner: Der Beruf ist vielfältig. Wir müssen organisieren und uns um die Ämtergänge kümmern. Bei der Ausrichtung von Trauerfeiern ist Kreativität gefragt, angefangen von der Musikauswahl bis hin zum Blumenschmuck. Bei der seelischen Betreuung schließlich steht der Kontakt zu den Menschen im Vordergrund.

BZ: Wer denkt sich solche Wettbewerbe aus? Warum haben Sie daran teilgenommen?
Greiner: Ein Preisvergleichsportal im Internet steckt dahinter. Meine beste Freundin hat das entdeckt, voll witzig gefunden und mich zum Mitmachen überredet. Also habe ich Lebenslauf, Firmenporträt und Fotos geschickt. Öffentlich abgestimmt im Netz wurde aber nicht, eine dreiköpfige Jury hat die Entscheidung getroffen.

BZ: Wo sind Krone oder Schärpe?
Greiner: Die Auszeichnung stand irgendwann online. Eine Show oder gar eine Gala gab es nicht.

BZ: Gestorben wird doch immer. Brauchen Sie da Werbung?
Greiner: Nein, in Hasel ist meine Familie der einzige Anbieter. Wir machen das alle nur nebenberuflich. Meine Mutter arbeitet noch in einem Steuerbüro, mein Bruder als Bauingenieur und ich in einem pharmazeutischen Betrieb. Pro Jahr sterben hier nur 15 bis 20 Menschen.

"Im Alter von zehn Jahren bin ich herangeführt worden, ich wurde nicht gedrängt. Zuerst durfte ich den Verstorbenen die Socken anziehen oder ihre Haare kämmen." Tatjana Greiner
BZ: War der Rummel nach der Bekanntgabe groß? Und wie fanden die Leute im Dorf das alles?
Greiner: Mehrere Zeitungen haben berichtet, auch Radiosender. Die Dorfbewohner haben durchweg positiv reagiert. Auch ältere Menschen, die so etwas vielleicht eher kritisch beäugen, haben mich beglückwünscht. Selbst beim Beratungsgespräch mit Trauernden kam der Glückwunsch. Da dachte ich mir aber: Das passt jetzt gerade nicht.

BZ: Die Folgen für Ihr Privatleben?
Greiner: Ein Heiratsantrag kam zum Glück nicht (lacht), dafür war der Hype wohl nicht groß genug. Außerdem habe ich ja einen Partner.

BZ: Wann haben Sie dem Bestattungswesen angefangen?
Greiner: Im Alter von zehn Jahren bin ich herangeführt worden, ich wurde nicht gedrängt. Zuerst durfte ich den Verstorbenen die Socken anziehen oder ihre Haare kämmen.

BZ: Und da hat es Sie nie gegruselt?
Greiner: Nein, das Interesse hat überwogen. Der Tod war immer Thema am Mittagstisch, er war alltäglich.

BZ: Wie fanden es Ihre Mitschüler und Freunde, dass Sie im Leichenhaus auf dem Friedhof Leichen waschen, anziehen und schminken?
Greiner: Anfangs waren einige entsetzt. Das hat sich durch aufklärende Gespräche aber schnell gegeben. Inzwischen wird im Freundeskreis mein Job akzeptiert – wie der einer Zahnarzthelferin.

BZ: Belastet Sie der Tod nicht?
Greiner: Nein, er ist ja etwas Normales. Die Verstorbenen sind in der Regel zwischen 70 und 90 Jahre alt. Bei Kinderleichen hingegen bin ich auch sehr betroffen.

BZ: Wie reagieren Sie, wenn Trauernde bei Ihnen vor Schmerz zusammenbrechen? Eine psychologische Ausbildung haben Sie ja nicht.
Greiner: Da wir uns kennen, sind wir uns meist sehr nah. Wir helfen, wir fühlen mit.

"Gruftie-Musik? Nein. Ich bevorzuge Charts, Partyhits und Schlager." Tatjana Greiner
BZ: Andere Berufswünsche?
Greiner: Damals im Gymnasium träumte ich immer davon, Pathologin zu werden.

BZ: Hier in dieser Wohnung ist es gar nicht so dunkel, wie man es sich bei einem Bestattungsunternehmen vorstellt.
Greiner: Mein Opa, der zuerst Särge geschreinert und 1973 das Geschäft gründet hat, wollte kein tristes, unpersönliches Ambiente. Wir kennen uns alle im Dorf, auch wir Bestatter haben in der Regel eine persönliche Bindung zu den Verstorbenen. Die Leute schätzen den gemütlichen Rahmen.

BZ: Hören Sie Gruftie-Musik?
Greiner: Nein, das macht nur der junge Bestatterlehrling in dieser Schweizer Fernsehserie. Ich bevorzuge Charts, Partyhits und Schlager. Bei Trauerfeiern hören die Menschen gerne das religiöse Lied "Näher, mein Gott zu Dir!", "Einmal sehen wir uns wieder" von Andreas Gabalier oder die Lieblingslieder der Verstorbenen.

BZ: Halloween, dieses durchkommerzialisierte, ehemals heidnische Totenfest steht vor der Türe.
Greiner: Das ist nicht meine Welt.
Tatjana Greiner, 31, hat in Lörrach das Gymnasium besucht und danach in Basel Molekulare Bioanalytik studiert. Sie arbeitet in der Entwicklungsabteilung einer Pharmafirma in Schopfheim und tanzt gern in ihrer Freizeit. Greiner ist im fünften Monat schwanger und hat wegen der Infektionsgefahr von ihrer Mutter ein, wie sie sagt, "Leichenverbot" bekommen.

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