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Allmählich wird es ernst

Was Russland nicht mehr liefert, muss die Gaswirtschaft anderswo teuer einkaufen / Noch greift der Staat nicht in den Markt ein.  

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Das Gas könnte in Deutschland kommenden Winter knapp werden. Foto: Jan Woitas
Deutschland genießt den Sommer, doch der nächste Winter könnte unangenehm werden: Russland hat seine Gaslieferungen drastisch reduziert. Es ist fraglich, ob bis zum Beginn der nächsten Heizperiode die Erdgasspeicher gefüllt werden können, die derzeit zu weniger als 60 Prozent voll sind. Nach Einschätzung der Bundesregierung ist die Lage ernst: Am Donnerstag rief Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) die Alarmstufe des Gas-Notfallplanes aus. Auf die Verbraucher kommen weitere Kostensteigerungen zu – wenn auch nicht sofort in großem Stil. Sie, die öffentliche Hand und die Unternehmen sind nun angehalten, Energie zu sparen, wo immer das möglich ist.

Was hat es mit der
Alarmstufe auf sich?
Die Alarmstufe ist die zweite von drei Stufen im Notfallplan Gas. Dieser Plan, der auf EU-Recht zurückgeht, legt Maßnahmen fest, mit denen die Sicherheit der Gasversorgung gewährleistet werden soll. Seit Ende März galt in Deutschland bereits die Frühwarnstufe. In ihr beobachten staatliche Stellen genau die Lage auf dem Gasmarkt, greifen aber noch nicht ein. Auch in der am Donnerstag ausgerufenen Alarmstufe bemühen sich vordringlich die Unternehmen der Gaswirtschaft darum, die Gasversorgung zu sichern. Der Staat ist in permanentem Austausch mit der Branche, greift aber allenfalls unterstützend ein. Die dritte Stufe wäre die Notfallstufe. Sie wird ausgerufen, wenn die Versorgung erheblich beeinträchtigt ist. In diesem Fall kann der Staat direkt im Markt tätig werden – bis hin zur Rationierung von Gas.

Warum ruft Minister Habeck
jetzt die Alarmstufe aus?

Der russische Energiekonzern Gazprom hatte in der vergangenen Woche seine Lieferungen nach Deutschland über die wichtige Gaspipeline Nord Stream 1 auf 40 Prozent der Maximalleistung reduziert. Gazprom führt technische Probleme an – was die Bundesregierung für vorgeschoben hält. Tatsächlich dürfte es sich um eine politische Reaktion Putins auf die Unterstützung des Westens für die überfallene Ukraine handeln. Das Bundeswirtschaftsministerium und die Bundesnetzagentur haben in den vergangenen Tagen verschiedene Szenarien durchgerechnet, um prognostizieren zu können, ob eine Befüllung der hiesigen Erdgasspeicher bis zum Beginn der Heizperiode möglich sein wird. Fazit: Knapp wird es so oder so, wenn der Gasfluss aus Russland auf dem niedrigen Niveau bleibt. Sollte er versiegen, wird es richtig kritisch. Die fehlenden Gasmengen aus Russland müssen von anderen Lieferanten besorgt werden. Die Verbraucher müssen in den kommenden Wochen und Monaten so viel Gas wie möglich sparen. Habeck will auch klimaschädigende Kohlekraftwerke wieder ans Netz nehmen, um Gas bei der Stromproduktion einzusparen.

Ist die Gasversorgung
aktuell gesichert?
Ja. Aber jetzt in der warmen Jahreszeit wird auch wenig Gas verbraucht, weil niemand heizen muss. Im aktuellen Lagebericht der Bundesnetzagentur von Donnerstag hieß es, die Gasversorgung sei im Moment stabil. Aber: "Die Lage ist angespannt und eine Verschlechterung der Situation kann nicht ausgeschlossen werden." Die von den reduzierten Gasflüssen betroffenen Energieunternehmen könnten die fehlenden Mengen noch anderweitig am Markt kaufen, müssten aber deutlich höhere Preise bezahlen.

Was sind die nächsten Schritte?
Mit flauem Gefühl schauen Gasbranche und Regierung auf die am 11. Juli beginnende Wartung der Gaspipeline Nord Stream 1. Der mehrtägige Prozess ist eigentlich jährliche Routine. Doch diesmal stellt sich die Frage, ob Russland den Gashahn nach zehn Tagen wieder aufdreht.

Steigen die Gaspreise weiter?
Davon ist auszugehen. Bereits jetzt ächzen die Verbraucher unter stark gestiegenen Gaspreisen. Unter der nun ausgerufenen Alarmstufe kann grundsätzlich eine besondere Regelung des Energiesicherungsgesetzes zum Tragen kommen: Gasversorger könnten dann die stark gestiegenen Einkaufspreise direkt auf ihre Kunden abwälzen – auch wenn in den bestehenden Bezugsverträgen andere Preise vereinbart sind. Dieser Mechanismus, der einen Kollaps von Energieunternehmen und damit der gesamten Gasversorgung verhindern soll, wird jetzt allerdings noch nicht aktiviert. Dafür müsste die Bundesnetzagentur gesondert eine erhebliche Reduzierung der gesamten Gasmenge, die nach Deutschland kommt, feststellen und dies formal im Bundesanzeiger verkünden. Minister Habeck wollte am Donnerstag nicht ausschließen, dass es dazu kommen könnte. Die Bundesregierung arbeitet bereits an finanziellen Hilfen für Verbraucher, um die drastischen Folgen eines solchen Schrittes abzufedern. "Wir werden nicht alles auffangen können, aber da, wo schon jetzt jeder Cent zweimal umgedreht werden muss und die Angst vor der nächsten Heizkostenabrechnung umgeht, müssen wir helfen", sagte Habeck.

Was sagt die Wirtschaft?
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft unterstützt das Vorgehen. "Derzeit ist die Versorgung gewährleistet, aber wir müssen unseren Blick auf den kommenden Winter richten. Es geht darum, alles für möglichst hohe Speicherfüllstände zu tun und die Einspeicherziele zu erreichen", sagte Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Peter Adrian, sagte, es müsse jetzt bei den unvermeidbaren Kostenbelastungen ein fairer Ausgleich zwischen den Gasversorgern und den Gaskunden geschaffen werden. "Sonst besteht die Gefahr, dass insbesondere Unternehmen in der energieintensiven Industrie ihre Produktion einstellen und in der Folge Insolvenzen drohen."

HINTERGRUND

Was auf Privathaushalte jetzt zukommt

Der Gaspreis im Großhandel ist zuletzt noch einmal massiv gestiegen. Am wichtigen niederländischen Handelsplatz TTF kostete im Juli zu lieferndes Erdgas am Donnerstagnachmittag pro Megawattstunde 135 Euro nach 127 Euro am Vortag. Am Montag vor einer Woche, also vor der Drosselung des Gasflusses aus Russland nach Deutschland, hatte der Preis bei gut 83 Euro gelegen. Auch das war schon hoch. Langfristverträge waren in der Vergangenheit oft mit 20 bis 30 Euro abgeschlossen worden. Haben die Versorger, etwa Stadtwerke, in der Vergangenheit nicht genug günstiges Gas bei den Großhändlern geordert, müssen sie an der Börse nachkaufen – zu aktuellen Preisen. Die Mehrkosten werden irgendwann an die Kunden weitergereicht – und sorgen mit Verzögerung für steigende Gaspreise.

 Bislang kommen die explodierenden Kosten bei den Privathaushalten noch nicht in vollem Umfang an. Das liegt auch daran, dass Unternehmen bestehende Preisabsprachen einhalten müssen. Direkt und unmittelbar hat die Ausrufung der sogenannten Alarmstufe also keine Auswirkungen auf Privathaushalte. Das würde sich erst ändern, wenn die Versorger ein "Preisanpassungsrecht" bekämen. Dann könnten sie ihre Mehrkosten innerhalb von nur einer Woche an ihre Kunden weitergeben. Alte Verträge wären hinfällig, auch bei einer Preisgarantie. Doch vorher muss die Bundesnetzagentur eine "erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen" formal festgestellt haben. Es sieht im Moment nicht danach aus, dass dies bald passieren könnte: Der Mechanismus habe Schattenseiten, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck am Donnerstag. Man arbeite an Alternativen.

  Experten raten Verbrauchern, Rücklagen für wohl deutlich steigende Abschlagszahlungen zu bilden. Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, sagte am Donnerstag den Sendern RTL/ntv, es könne "zu einer Verdreifachung der bisherigen Gasrechnung kommen". Beispielhaft für die Branche geben die Stadtwerke Münster Tipps zum Energiesparen: Der Gasverbrauch lasse sich durch einfache Maßnahmen wie das Abdichten von Türen und Fenstern mit Dichtband, das Isolieren von Heizungsrohren oder den Einbau digitaler Heizkörper-Thermostate reduzieren. Eine optimal eingestellte und gewartete Heizanlage helfe beim Einsparen.

Ressort: Deutschland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 24. Juni 2022: PDF-Version herunterladen

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