Kino
Zwischen Trotz und Tradition: "Was werden die Leute sagen"
"Was werden die Leute sagen" ist der vielfach preisgekrönte zweite Langfilm von Iram Haq ("Ich bin dein"). Der Film über Islam und Familie wartet mit einer kleinen Sensation auf.
Di, 8. Mai 2018, 19:06 Uhr
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Dass nichts passiert ist, schon gar kein Sex, das will, das kann ihr Vater Mirza (Adil Hussain) nicht glauben. Und selbst wenn: Entscheidend ist, was die Leute sagen. Seine Ehre als Familienoberhaupt steht auf dem Spiel. Man lebt zwar in Norwegen, der besseren Zukunftschancen seiner Kinder willen, die Traditionen aber sind die der Heimat. Und als Freunde und Kollegen ihm zu verstehen geben, Nisha sei ein schlechtes Vorbild für ihre eigenen Töchter und würde über kurz oder lang auch über sie Schande bringen, greift Mirza zu einer drastischen Maßnahme: Er entführt Nisha und fliegt mit ihr nach Pakistan, auf dass seine Mutter und Schwester das verwestlichte Mädchen auf den rechten Weg bringen.
"Was werden die Leute sagen" ist der vielfach preisgekrönte zweite Langfilm von Iram Haq ("Ich bin dein"), und die 1976 geborene norwegisch-pakistanische Drehbuchautorin und Regisseurin weiß, wovon sie redet: Sie wurde selbst mit 14 Jahren nach Pakistan verschleppt. Was aber nicht heißt, ihr Film wäre die späte Rache für die Traumata der eigenen Jugend. So plakativ der Konflikt der Kulturen klingen mag, so differenziert lotet sie die Familiendynamik aus und bedient nicht einfach die Klischees vom frauenverachtenden Islam oder von den bösen Eltern, die ihrem armen Mädchen das Recht auf Selbstverwirklichung verweigern. Sie sind ja selbst eingeschnürt ins Korsett ihres Ehrencodex.
In Pakistan ist "Was werden die Leute sagen" eine gängige Redensart, und Nishas Mutter muss selbst im eigenen Haus, der Domäne der Frauen, auf ihren Ruf achten: Bei einem Familienfest zu Mirzas Geburtstag, der noch bei der Arbeit ist, fordert ein Verwandter sie zum Tanzen auf, die Mutter lehnt erst lächelnd ab und tanzt dann auf eine sichtbar unsinnliche Weise, die Hände nah am Körper, so dass niemand auf den Gedanken kommen kann, es bereite ihr Lust.
geht verloren
Da ist Nishas Körpersprache eine ganz andere. Ihre Bewegungen sind ausladend, sie trägt gerne bauchfrei, sie will ein norwegischer Teenager sein wie die anderen auch, Basketball spielen, Spaß haben, ein bisschen feiern, tanzen, rauchen, vielleicht auch mal kiffen, sich übers Smartphone verabreden – und wenn die Eltern schlafen, aus dem Haus stehlen. Die erste Filmszene zeigt sie, wie sie wieder zurück nach Hause eilt und ins Bett schleicht – und in der letzten geht sie in die entgegengesetzte Richtung.
Dazwischen liegt die Geschichte einer unmöglichen Liebe zwischen Vater und Tochter, die keine gemeinsame Sprache finden, in Norwegen nicht und in Pakistan auch nicht. Dort übrigens schickt sich Nisha nach ohnmächtiger Wut, Trauer und Trotz in die Tradition, trägt Schleier, lernt kochen, besucht die Schule, lässt auf der Dachterrasse Papierdrachen steigen, das unschuldige Vergnügen der Jugend. Erlebt sogar ein zartes Verliebtsein mit ihrem Cousin. Aber als sie sich eines Nachts mit ihm an einer Straßenecke küsst, werden die beiden von der Polizei gestellt und auf unsägliche Weise zu Sittlichkeitsdelinquenten gemacht.
Wieder muss der Vater kommen, die Verwandtschaft will das ehrlose Mädchen nicht länger beherbergen. Wie kann Mirza sie jetzt noch retten – soll er sie einsperren, in den Suizid treiben oder zwangsverheiraten?
Der renommierte indische Schauspieler Adil Hussain ("Life of Pi") nimmt das Kinopublikum in wuchtigen, beklemmenden Szenen, die nicht nur einmal den Atem stocken lassen, tief hinein in das Dilemma eines Mannes, dem zwischen Liebe und Gewalt, Ehre und Gewissen der moralische Kompass verloren geht.
Die eigentliche Sensation des Films aber ist Maria Mozhdah, die beim Dreh gerade mal 17 Jahre alt war und außer in einer Kinderserie keine Schauspielerfahrung hatte. Geboren in Pakistan, aufgewachsen in Norwegen, sind ihr Nisha und ihre familiären Probleme nicht ganz fremd, ihre vollkommen natürliche, wie selbstverständliche Darstellung, unterstützt durch die intime Handkamera (Nadim Carlsen), ist dennoch eine hinreißende Leistung. Sie macht allen Schmerz und Selbsterhaltungswillen einer Heranwachsenden spürbar, die sich ins Leben ausstrecken will, ohne ihre Wurzeln abzuschneiden. Und darin weit über die ganz normalen Teenagernöte hinaus auch den schwierigen Spagat, den junge Migranten aushalten müssen.
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