Energiewende
Das sind die Vor- und Nachteile der Alternativen zu fossilen Energieträgern
Fossile Energieträger halten Deutschland warm und in Bewegung. Aus sicherheitspolitischen Überlegungen und wegen ihrer Klimaschädlichkeit will man sich möglichst schnell von ihnen verabschieden. Die Alternativen im Überblick.
Mo, 13. Jun 2022, 10:02 Uhr
Wirtschaft
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Wind ist künftig der wichtigste Energieträger. Agora hat errechnet, dass Windkraft 2045 rund 59 Prozent des gesamten Strombedarfs decken könnte. Dafür müssten Anlagen mit einer Leistung von 145 Gigawatt an Land und 70 Gigawatt auf See installiert sein. Ende 2021 standen nach Angaben des Bundesverbands Windenergie an Land Windräder mit insgesamt 56,1 Gigawatt Leistung, auf See mit 7,8 Gigawatt. Fläche wäre genug da: Die Bundesregierung will zwei Prozent des Landes für Windräder nutzen.
Plus: Wind weht fast immer. Es gibt viel Fläche auf See und Land. Die Anlagen können weitgehend zuverlässig und in großem Umfang Strom liefern. Die Technik ist in den vergangenen Jahren effizienter geworden, die Anlagen größer. Das erhöht die Ausbeute.
Minus: Offshore-Anlagen sind nur im Norden möglich. An Land verhindert die Föderalstruktur Deutschlands derzeit den Ausbau. Niedersachsen, Brandenburg, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen stehen für 58 Prozent der installierten Leistung. Bayern (fünf Prozent) mauert mit einer Regel, die den Abstand zu Bebauung so weit fasst, dass kaum neue Anlagen möglich sind. Auch Baden-Württemberg (drei Prozent) bremst. Die Bundesregierung will die Kleinstaaterei per Gesetz beenden. Es ist unklar, ob das funktioniert. Umweltschützer beklagen die Gefahren der Windräder für die Tierwelt. Die Anlagen verändern zudem das Landschaftsbild. Und: Bei Flaute läuft nichts.
Die Sonne scheint häufig und liefert zuverlässig Strom. Agora hat für 2045 installierte Solarpanels mit einer Leistung von 385 Gigawatt errechnet. Sie lieferten dann 37,5 Prozent des benötigten Stroms. Derzeit sind auf Haus- und Fabrikdächern, ehemaligen Flughäfen und Feldern Anlagen mit 58,7 Gigawatt Leistung aufgestellt. Die Bundesregierung möchte alle geeigneten Dachflächen für Solarenergie nutzen. Für Gewerbebauten ist eine Pflicht geplant. Die Bundesländer legen vor: 2022 greifen Gesetze in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, 2023 auch in Berlin und Hamburg.
Plus: Dachflächen in Deutschland können genutzt werden, um Strom zu erzeugen – zumindest tagsüber. Auf Häusern stören die Anlagen nicht. Ausgebaut werden kann ohne komplizierte Genehmigungsverfahren.
Minus: Nachts liefern die Anlagen keinen Strom. Und auch im Spätherbst und Winter ist die Ausbeute gering. Noch mehr Wiesen und Felder könnten zu Solarflächen umgewandelt werden. Die Stromerzeugung wird deutlich dezentraler, die Netzsteuerung komplizierter. Schon jetzt fehlen Fachkräfte, um die Anlagen zu installieren und zu warten.
Die Kraft des Wassers wird seit Jahrhunderten genutzt. Für den Energiemix 2045 ist sie nur in geringem Maße wichtig. Agora schätzt den Anteil an der Stromerzeugung auf 2,2 Prozent bei einer dann installierten Leistung von sechs Gigawatt. Derzeit haben die Anlagen eine Leistung von fünf Gigawatt.
Plus: Strom aus Wasser lässt sich oft in bergigen Regionen gewinnen, in denen Windräder oder Solaranlagen sich nicht lohnen. Auch kleinen Anlagen liefern zuverlässig. Stauseen können als Stromspeicher genutzt werden. Pumpen, die mit erneuerbarem Strom angetrieben werden, transportieren dann das Wasser in den See. Das Kraftwerk an der Staumauer erzeugt bei Bedarf wieder Strom daraus. Agora erwähnt Anlagen in Skandinavien und den Alpen, um deutschen Stromüberschuss im Sommer und Herbst zu speichern und im Winter abzurufen.
Minus: Wasserkraftwerke sind überwiegend in Baden-Württemberg und Bayern mit (Mittel-)Gebirgen möglich. Im Norden ist es schlicht zu flach. Große Stauseen neu anzulegen, ist im dicht besiedelten Deutschland kaum möglich und politisch auch eher nicht durchsetzbar. Planungsverfahren, selbst für Erneuerungen, dauern Jahre lang. Außerdem bremst die Bundesregierung den Energieträger aus: Kleine Anlagen sollen aus der Förderung des EEG fallen. Und die Mehrzahl der rund 7300 deutschen Wasserkraftwerke hat eine Leistung von weniger als einem Megawatt. Für Gezeiten- oder Strömungskraftwerke reichen weder Strömung noch Tide an der deutschen Küste aus.
Geothermie nutzt die Wärme der Erde. Die Temperatur nimmt im Schnitt um drei Grad je hundert Meter Tiefe zu. Mit ihr lassen sich Häuser heizen und Fernwärmesysteme speisen. Die Bundesregierung fördert das Heizen mit der Energie der Erde. Derzeit gibt es rund 440 000 Anlagen, die bis in eine Tiefe von 400 Metern reichen. Sie haben eine Gesamtleistung von 4,4 Gigawatt. Verschiedene Schätzungen gehen davon aus, dass allein bis 2030 im Schnitt täglich 529 Erdwärmepumpen installiert werden müssten, um die Klimaziele zu erreichen.
42 größere Kraftwerke mit einer Wärmeleistung von knapp 350 Megawatt ziehen derzeit die Wärme aus Tiefen von durchschnittlich 2500 Metern. Dem Leibniz-Institut für angewandte Geophysik zufolge wären 2045 große Anlagen mit einer Gesamtleistung von 47 Gigawatt möglich.
Plus: Die Energie der Erde ist praktisch unerschöpflich und unabhängig vom Wetter. Jedes Haus kann sich mittels Wärmepumpe vor Ort versorgen. Selbst ganze Städte können auf Fernwärme aus tiefen Erdschichten umsteigen. München plant so etwas. Mit Geothermie ließe sich zudem Strom erzeugen. Auch ehemalige Bergbau-Schächte ließen sich nutzen.
Minus: Nicht jede Gegend eignet sich für große Kraftwerke. Der Bundesverband Geothermie sieht gute Chancen vor allem in Norddeutschland, am Oberrheingraben und im Alpenvorland. Um Erdwärme nutzen zu können, sind teils tiefe Bohrungen nötig. Das kann Erdbeben auslösen. Die Branche selbst sieht großen Forschungsbedarf, etwa bei Standorterkundung und Anlagenoptimierung. Große Kraftwerke zu errichten, kostet vor allem wegen der Bohrungen viel Geld. Das deutsche Planungsrecht bremst schnellen Ausbau.
Biomethan, die gereinigte Form von Biogas, wird unter anderem aus Gülle, Ernteresten und Energiepflanzen gewonnen. Es hat die Qualität von Erdgas. 2021 lieferten in Deutschland 233 Anlagen 10,4 Terawattstunden ins Gasnetz. Bis 2030 ließen sich nach Zahlen des Gas-Branchenverbands DVGW bis zu 100 Terawattstunden einspeisen – das wären rund zehn Prozent des aktuellen bundesdeutschen Erdgasverbrauchs.
Plus: Für Biogas lassen sich Gülle und Ernteabfälle (etwa Kartoffelblätter), Biertreber, Weintrester, Molke oder Zuckerrübenschnitzel verwenden. Stroh, Grünschnitt und Abfälle aus der Biotonne sind ebenso geeignet wie Waldrestholz. Das Material fällt ohnehin in Deutschland an, das Gas kann vor Ort und dezentral erzeugt werden. Weil Biomethan Erdgas entspricht, lässt es sich auch in Gaskraftwerken einsetzen. Solche Kraftwerke sollen kurzfristig zur Stromversorgung einspringen, wenn weder Wind weht noch die Sonne scheint.
Minus: Um die Potenziale voll auszuschöpfen, müssten in großem Umfang Energiepflanzen angebaut werden, etwa Mais. Auf den Äckern fehlen dann Flächen für andere Pflanzen. Auch im Optimalfall reicht die Menge an Biomethan nicht, um den Gasbedarf zu decken. Es kann also nur ein zusätzlicher Energieträger sein.
2011 hat Deutschland den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Ende 2021 gingen drei Kraftwerke vom Netz, Ende 2022 sollen die letzten drei verbliebenen heruntergefahren werden. Im vergangenen Jahr hatte Atomenergie noch einen Anteil von 6,2 Prozent am gesamten Primärenergieaufkommen.
Plus: Atomkraftwerke stoßen kein Klimagas aus. Die Anlagen liefern zuverlässig und unabhängig vom Wetter Strom. Perspektivisch versprechen zahlreiche Projekte weltweit neue, effizientere, kleinere Kraftwerke, die in Serie hergestellt werden können, sogenannte Smart Modular Reactors (SMR). Einige werben damit, sogar Atommüll verwenden zu können.
Minus: Deutschland stehen höchstens sechs Kraftwerke zur Verfügung, mit denen sich nur der Stand von 2021 erhalten ließe. Die Betreiber haben kein Interesse daran, die Anlagen über Ende 2022 hinaus zu betreiben. Der politische Wille, Atomkraft weiterzuverfolgen, ist sehr gering. Die neuen SMR existieren bisher meist nur auf dem Papier. Und die Endlagerfrage für radioaktive Substanzen ist nicht geklärt.
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