Verkehrswende

Wo es sich in Baden-Württemberg gut Radfahren lässt und wo es noch hapert

Viele Städte im Autofahrer-Land Baden-Württemberg setzen zunehmend auf Pedalantrieb. Vielerorts haben Radfahrer schon Vorfahrt. Das sorgt auch für Zündstoff.  

Zu den Kommentaren
Mail

Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen

Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen
Radfahrer fahren in Tübingen auf einer Fahrradstraße.  | Foto: Bernd Weißbrod (dpa)
Radfahrer fahren in Tübingen auf einer Fahrradstraße. Foto: Bernd Weißbrod (dpa)

Beheizte Brücke, extra Unterführung, Radparkhaus oder Fahrradstraße: Baden-württembergische Städte werden fahrradfreundlicher. Doch es gibt nicht nur aus Sicht der Verbände noch viel zu tun. "Die Menschen erwarten heute nicht nur sichere und bequeme Radwege – sie fordern gerade in der Stadt eine Infrastruktur, die das Fahrrad als echtes Alltagsverkehrsmittel unterstützt. Und das fordern sie auch zurecht", meint der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann. Schließlich gehöre das Fahrrad zum wirksamen Klimaschutz dazu.

Die SituationIn den meisten Städten dürfte sich Radfahren noch nicht wie in Amsterdam oder in Kopenhagen anfühlen. "Aber sehr viele Städte im Land haben sich auf einen fahrradfreundlichen Weg gemacht", so das Ministerium. Das Thema ist nach den Worten der Vize-Hauptgeschäftsführerin des Städtetags, Susanne Nusser, vielerorts "ganz oben auf der Agenda". Das Rad sei eine wichtige Ergänzung zum ÖPNV beim umweltfreundlichen Verkehr. Corona und E-Bikes hätten einen Schub gegeben. "Wir sind auf gutem Weg, aber mit viel Luft nach oben."

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) registriert punktuelle Verbesserungen, aber keine flächendeckenden Veränderungen. Viele Menschen, die sich für den Radverkehr einsetzen, kämpften oft gegen Windmühlen. "Es geht nur schleppend voran", bedauert Landesgeschäftsführerin Kathleen Lumma. Solange Südwest-Kommunen wie beim Fahrradklimatest 2022 nur eine Durchschnittsnote von 3,9 bekommen, könne man nicht das Prädikat "fahrradfreundliche Stadt" vergeben.

Das Interesse ist da

Das Ministerium verzeichnet eine stetig steigende Nachfrage der Kommunen nach Landesförderung. Im Rahmen des milliardenschweren Investitionsprogramms für Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur könnten bis 2028 demnach mehr als 600 Kilometer Rad- und Fußwege und knapp 28.200 Fahrradabstellanlagen entstehen. Es gebe viele Fördertöpfe. Aber es brauche auch den Willen, so der ADFC. Nachhaltige Mobilität werde da vorangebracht, wo Kommunen dafür Personal haben.

Die Vorreiter

Nach dem ADFC-Fahrradklimatest 2022 liegen 4 der 18 bundesweit fahrradfreundlichsten Städte in Baden-Württemberg: Karlsruhe, Freiburg, Tübingen und Rutesheim. Beim Rad-Index des Radreports Baden-Württemberg schnitten auch Heidelberg, Freiburg, Konstanz und Heilbronn gut ab. Von der Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundlicher Kommunen (AGFK) werden Heidelberg, Freiburg, Mannheim, Heilbronn, Konstanz, Tübingen, Offenburg, Lörrach, Singen, Fellbach, Mühlacker und Walldorf hervorgehoben.

Den Radverkehr mitdenken

Als fahrradfreundlich gelten Städte und Kreise mit einem Radverkehrsanteil von über 20 Prozent. Das erreichen laut Ministerium etwa Freiburg, Karlsruhe, Heidelberg und der Ortenaukreis. Ob extra Parkhaus, Brücke, Spur oder Schnellweg - es kommt für den ADFC darauf an, dass der Radverkehr bei städtischen Umbauten "mitgedacht" wird. Klimafreundliche kommunale Infrastruktur wird bis zu 75 Prozent gefördert. In Kombination mit Bundesgeldern könnten dem Ministerium zufolge aber noch höhere Quoten erreicht werden.

Die Mängelliste

Bevorzugt werden Verkehrsmittel, mit denen man schneller ans Ziel kommt, weiß der ADFC. Radfahrer vermissen demnach zum Beispiel vielerorts Strecken parallel zu Straßen, sie wünschen sich breitere Radwege, größere Flächen an Ampeln und mehr Radgaragen. Insbesondere in Großstädten sieht der Fahrradclub bei der Sicherheit ein Defizit: "Solange sich die Menschen nicht sicher fühlen, werden sie ihre Kinder nicht zum Radfahren bewegen und sich auch selbst nicht langfristig aufs Rad setzen." Wichtig ist aus Sicht des ADAC zudem, dass Räder in Bus und Bahn mitgenommen werden dürfen. Auch dass mehr E-Bikes und Lastenräder unterwegs sind, werde zu wenig berücksichtigt.

Die Folgen der Finanznöte

Wer als Kommune gefördert werden will, muss laut Städtetag einen Eigenanteil leisten. Das ist ein Problem, wenn das Geld knapp ist. Schon jetzt werden Bauvorhaben auf die lange Bank geschoben. Ein neuer Radweg lässt sich leichter einsparen als die notwendige Sanierung einer Brücke oder Straße. "Es gibt Dinge, die müssen jenseits politischer Anschauungen aus der Sache heraus priorisiert werden. Das ist der Not geschuldet", so Nusser.

Aus Sicht des ADFC fehlt indes meist nicht das Geld, sondern der Wille, dem Radverkehr Priorität einzuräumen. Im Vergleich zum Autoverkehr werde die Infrastruktur für das Rad "oft als verhandelbarer Luxus" angesehen.

Des einen Glück, des anderen Leid

Mehr Platz für Räder bedeutet weniger für Fußgänger und Autos. Der Weg zur autofreien Innenstadt führe in der Umgewöhnung zwangsläufig zu Konflikten, so der ADFC. "Jahrzehntelang haben sich die Menschen an die vorhandenen Straßen und Parkplätze gewöhnt und ihre Wege danach ausgerichtet."

Wenn Autofahrer wie in der zur Radstraße umfunktionierten Karlsruher Sophienstraße hinter Radfahrern herzuckeln und Umwege hinnehmen müssen, stößt das vielen auf. Genauso, wenn Parkplätze extra breiten Radwegen weichen müssen. Eine ADAC-Umfrage ergab 2021 eine hohe Zufriedenheit bei den Radfahrern in Karlsruhe - bei den Autofahrern lag die Fächerstadt hingegen auf dem vorletzten Platz. Vieles vom Raum, der in Karlsruhe oder Freiburg Radfahrern eingeräumt werde, gehe zu Lasten des Kfz-Verkehrs.

Die Abwägung

Aus Sicht des Ministeriums ist immer eine Abwägung zwischen den Anforderungen unterschiedlicher Nutzer nötig. Veränderungen müssten gut vermittelt werden. Und, so Susanne Nusser vom Städtetag: "Es muss einen Mix von verschiedenen Antworten geben."

Komplett autofreie Städte wird es nach Einschätzung des ADAC ohnehin nicht geben. Rettungsdienste brauchen schnelle Wege, die Müllabfuhr genügend Platz und Ältere sowie Menschen mit Einschränkungen sind auf Fahrdienste oder das eigene Auto angewiesen, etwa für Arztbesuche. Zudem müssten Belange der Wirtschaft, der sozialen Dienste sowie des Lieferverkehrs berücksichtigt werden.

Das Verbindende

"Wichtig ist ein gutes Mobilitätskonzept, dass alle Belange berücksichtigt", so ein Sprecher des Autoclubs. Dass dies möglich ist, zeigt für ihn das Beispiel der Planung des Radweges auf der Theodor-Heuss-Straße in Stuttgart. Auch dort fallen Parkplätze weg; aber es gibt genug nahe Parkhäuser.

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare

Um Artikel auf BZ-Online kommentieren zu können müssen Sie bei "Meine BZ" angemeldet sein.
Beachten Sie bitte unsere Diskussionsregeln, die Netiquette.

Sie haben noch keinen "Meine BZ" Account? Jetzt registrieren


Weitere Artikel