Medizin-Nobelpreis
Wie unsere Zellen mit Sauerstoff versorgt werden
Sportler nutzen die Mechanismen schon lange zum Doping: Forscher haben herausgefunden, wie der Sauerstoff in Zellen reguliert wird. Dafür haben sie den Medizin-Nobelpreis bekommen.
dpa
Mo, 7. Okt 2019, 20:33 Uhr
Panorama
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Die Versorgung mit Sauerstoff ist essenziell für den Körper – und spielt bei vielen Krankheiten eine Rolle. Kein Wunder: "Es ist die Substanz, von der man am meisten konsumiert und ohne die man am kürzesten überleben kann", sagte der US-Forscher Gregg Semenza von der John Hopkins University in Baltimore vor einigen Jahren. Semenza hat wie sein US-Kollege William Kaelin von der Harvard Medical School in Boston und der Brite Peter Ratcliffe von der Universität Oxford auf molekularer Ebene geklärt, wie die Sauerstoffregulierung in Zellen funktioniert.
"Die bahnbrechenden Entdeckungen der diesjährigen Nobelpreisträger haben den Mechanismus hinter einem der bedeutendsten Anpassungsprozesse des Lebens enthüllt", begründete das Nobelkomitee am Montag seine Wahl. Begonnen hat der Prozess vor gut 500 Millionen Jahren: Der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre stieg auf die heutigen 21 Prozent. Es entstanden die ersten tierischen Lebewesen – und damit Mechanismen, um Gewebe und Zellen mit dem Gas zu versorgen.
Dass Mitochondrien Sauerstoff dazu nutzen, Nährstoffe in Energie umzuwandeln, ist schon lange bekannt. Ebenso dass bei Sauerstoffmangel die Konzentration des Hormons Erythropoetin (EPO) steigt, was die Bildung roter Blutkörperchen verstärkt. Diese Funktion von EPO nutzten viele Sportler beim Doping.
Doch die Grundlagen der Sauerstoffregulierung waren bis in die 1990er Jahre unbekannt. Dann entdeckte Semenza bei genveränderten Mäusen, welche DNA-Sequenzen am EPO-Gen dahinter stecken. In Leberzellen stieß er auf ein Protein, das zentral an der Sauerstoffregulierung beteiligt ist: das HIF (Hypoxia Inducible Factor). Bei normalem Sauerstoffgehalt bauen Zellen ein HIF-Protein ab. Bei Sauerstoffmangel jedoch steigt die Konzentration des Proteins in der Zelle.
Kaelin und Ratcliffe entdeckten dann einen Zusammenhang von HIF mit dem Von-Hippel-Lindau-Syndrom (VHL), das mit Tumoren an Auge und Zentralem Nervensystem einhergeht. Ist das VHL-Protein mutiert, wird HIF nicht abgebaut, wie bei Sauerstoffmangel. Darauf reagiert die Zelle mit der Bildung von Blutgefäßen.
Beide Mechanismen sind für die Medizin interessant. Derzeit werden laut dem Verband forschender Arzneimittelhersteller zwei neue Medikamentenklassen an Patienten erprobt, die auf den Arbeiten der Nobelpreisträger basieren. Die sogenannten HIF-PH-Inhibitoren verhindern demnach, dass HIF abgebaut wird, und kurbeln so die Bildung von EPO an. Von der höheren Zahl roter Blutkörperchen sollen vor allem Nierenkranke profitieren, die unter Blutarmut (Anämie) leiden. Bislang werde Patienten mit Blutarmut EPO meist direkt gespritzt.
In der Krebsmedizin wiederum sollen sogenannte HIF-2alpha-Antagonisten dafür sorgen, dass Krebszellen den Botenstoff VEGF weniger produzieren. Das soll etwa bei Nierenkrebs und Hirntumoren die Bildung neuer Blutgefäße zur Versorgung des Tumors hemmen. Diese Arzneien werden schon am Menschen getestet.
Semenza, Kaelin und Ratcliffe hatten bereits 2016 den amerikanischen Lasker-Preis für Medizin bekommen. Forschung sei seine Religion, sagte Semenza damals in seiner Dankesrede. "Ich bin voller Staunen über das Ergebnis von vier Milliarden Jahren Evolution auf diesem Fleck des Universums und voller Hoffnung darauf, dass wir das Leben der Menschen mit grundlegenden Entdeckungen und ihrer Übernahme in die klinische Praxis verbessern können."
Kommentare
Liebe Leserinnen und Leser,
leider können Artikel, die älter als sechs Monate sind, nicht mehr kommentiert werden.
Die Kommentarfunktion dieses Artikels ist geschlossen.
Viele Grüße von Ihrer BZ