Julius Steinhäuser
Wie ein Freiburger den ersten Weltkrieg fotografierte
Der Freiburger Julius Steinhäuser hat das Soldatenleben im Ersten Weltkrieg festgehalten – auf mehr als 400 Kriegsfotos. Wir haben sie uns angeschaut.
Mi, 17. Aug 2016, 18:08 Uhr
Freiburg
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Die Lebensgeschichte von Julius Steinhäuser erzählt von einem talentierten Fotografen, der seinen Dienst am Vaterland als Soldat tat, sich durch die Schrecken des Ersten Weltkrieges nicht unterkriegen ließ und seinen Alltag im Stellungskrieg mit der Kamera festhielt. Es ist aber auch die Geschichte eines jungen Mannes, dessen Leichnam aufgrund der Wirren des Weltkrieges nicht geborgen werden konnte und daher wie so viele Gefallene kein Grab besitzt.
"Ich fühle mich meinem Onkel sehr verbunden, auch wenn er bereits zwanzig Jahre vor meiner Geburt an der Front starb", sagt Rüdiger Frey und lächelt. Der 79-Jährige ist der Neffe von Julius Steinhäuser. Der Onkel sei ein Freigeist, ein Künstler gewesen, weiß Frey aus Berichten seiner Mutter Margarete. Er habe versucht, sich die lange Zeit in den Schützengräben mit Fotografieren erträglich zu machen. Viele seiner rund 400 überlieferten Bilder sind heute für jedermann zugänglich im Bildarchiv in Staufen, der Außenstelle Südbaden des Badischen Landesmuseums Karlsruhe.
Julius Steinhäuser wurde am 4. Oktober 1890 in Freiburg als Sohn von Adolf und Luise Steinhäuser geboren. Sein Vater stammte ursprünglich aus dem böhmischen Marienbad und war gelernter Fotograf. Seine Wanderjahre führten ihn nach Freiburg, wo er 1895 das Fotoatelier des Baden-Badener Hoffotografen Tschirra in der Karthäuserstraße 4 (damals noch mit h geschrieben) übernahm und es bis 1928 leitete. Auch Julius interessierte sich für Fotografie, lernte das Handwerk unter den Augen seines Vaters in dessen Atelier und später in München. Als einziger Sohn sollte er eines Tages das Familiengeschäft übernehmen – dazu kam es aber nie.
Am 28. Juli 1914 begann der Erste Weltkrieg. Er forderte Millionen von Menschenleben und brachte die gesamte Welt und das Leben vieler ins Wanken – auch das der Familie Steinhäuser. Julius wurde am 7. November 1914 eingezogen und befand sich ab März 1915 an der Westfront in Frankreich. In zahlreichen Briefen an seine Eltern und die Schwestern Margarete und Paula beschreibt Steinhäuser den Alltag an der Front – meist nur in knappen, kargen Sätzen. Oft bittet er um Brot und Geld, aber zumeist um weitere Filmpackungen und entwickelte Fotos. Durch seine teils akribischen Notizen wird schnell klar: Julius schoss viele Fotos von seinem Leben im Krieg, aber auch Portraits von seinen Kameraden und Vorgesetzten.
Die Aufnahmen waren in seiner Einheit sehr gefragt, immer wieder nahm er Fotobestellungen entgegen. Die Filme sandte er nach Freiburg zu seinem Vater Adolf, der die Negative in der Karthäuserstraße entwickelte und als Fotos oder Fotopostenkarten zu seinem Sohn an die Front zurückschickte. Dort beschriftete Julius die Fotos teilweise und verschenkte oder verkaufte sie für wenig Geld.
Seine bedrückend ehrlichen Bilder zeigen zerbombte Städte, deutsche Soldaten "in höchster Alarmbereitschaft in den Kellern zu Loos", wie sie eilig in voller Montur ihre Mahlzeit hinunterschlingen, aber auch junge Männer, die in die Kamera grinsen, sie zeigen "eroberte Schützengräben (...) aufgefüllt mit Toten und erobertem Kriegsmaterial".
Sie lassen erahnen, was für ein Leben diese Männer mitten im Krieg führen mussten. Eingeschlossen in Schützengräben standen sie dem damaligen Feind nur wenige Meter gegenüber, lebten zwischen Kampf und Erschöpfung. Eine Situation, die Julius Steinhäuser mit seiner Kamera für die Nachwelt festhielt.
Mit nur 26 Jahren stirbt Julius Steinhäuser als Offiziersaspirant und Vizefeldwebel im Ersatz-Infanterie-Regiment Nummer 28, 8. Kompanie, am 16. April 1917 in der Schlacht an der Aisne bei Corberry in Frankreich den "Heldentod fürs Vaterland", wie es in einem Kondolenzschreiben der Kompanie an die Familie heißt. Seine sterblichen Überreste konnten aufgrund der nicht endenden Kriegswirren 1917 nicht geborgen werden, daher besitzt Julius Steinhäuser bis heute kein Grab. Seine Familie verlor nicht nur ihren einzigen geliebten Sohn, der den Lebensunterhalt der Familie später weiter sichern sollte. Sie konnte ihn auch nicht in der Heimat bestatten. Eine Tatsache, die noch eine Generation später seinem Neffen Rüdiger Frey Tränen in die Augen treibt und ihn nachdenklich macht.
Adolf Steinhäuser überließ sein Fotoatelier 1928 seinem ehemaligen Lehrling Emil Kessler, der es bis 1933 weiterführte. Beinahe ein Jahrhundert bewahrten die Familie Steinhäuser und später Frey die Feldpost, Fotografien, Negative und Notiz- und Tagebücher von Julius wie einen kleinen Schatz, einen Schatz der Erinnerung. 2004 entschied sich Rüdiger Frey, einen Teil der Nachlässe seines Onkels und seines Großvaters an das Bildarchiv in Staufen zu geben, damit die Erinnerung an seine Familie nicht verloren geht.
Der Nachlass der Familie Steinhäuser, insbesondere des Kriegsfotografen Julius Steinhäuser ist bis heute nicht wissenschaftlich aufgearbeitet. Briefe, Tagebuchfragmente und Fotografien erzählen noch viele weitere Geschichten, die darauf warten, entdeckt zu werden.
Das Gedenken an Julius Steinhäuser spielt in der Familie eine große Rolle, besonders, da er seiner jüngeren Schwester Paula nach seinem Tode das Leben rettet, erzählt Rüdiger Frey. Im nationalsozialistischen Deutschland habe sich seine Tante Paula öffentlich mit einem SS-Mann angelegt, der ihr daraufhin den Pass abnahm und sie in eine Munitionsfabrik weit weg von Freiburg schicken wollte.
Tage später, als ein anderer Mann sie im elterlichen Haus an der Erwinstraße abholen wollte, sah er das Bild von Julius in seiner Uniform an der Wand des Wohnzimmers hängen. Er kannte diesen Mann einst, der ehrenvoll für das Vaterland gestorben sei, sagte er. Aus diesem Grund wolle er Paula verschonen. Rüdiger Frey zeigt auf das Bild seines Onkels Julius Steinhäuser, das nach wie vor in der Erwinstraße an exakt der selben Stelle hängt wie vor mehr als 70 Jahren: "Meine Familie ist sich sicher, dass Julius über den Tod hinaus meiner Tante so das Leben gerettet hat. Sein Tod war nicht umsonst."
Das Bildarchiv in Staufen gehört zur Außenstelle Südbaden des Badischen Landesmuseums Karlsruhe. 2005 zog die Außenstelle von Freiburg nach Staufen. Neben dem Bildarchiv gibt es dort auch ein Archiv zur Regionalgeschichte Badens. Es umfasst eine öffentliche Bibliothek mit mehr als 45 000 Bänden und ein Archiv zur Alltags-, Kultur- und Sozialgeschichte Badens und der Region. Das Bildarchiv beherbergt rund 400 000 Bildquellen aus allen Bereichen der badischen Kultur- und Fotografiegeschichte ab 1870 bis zur Gegenwart. Zudem gibt es Filme, Videos, Tonaufnahmen badischer Mundarten und diverse Nachlässe. Besuch und Termin sind nach vorheriger Anmeldung möglich (Vorlaufzeit etwa zwei Wochen).
Kontakt: Tel. 07633/806450 oder per Mail an [email protected]
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, 9 bis 13 Uhr, Mittwochs zudem 14 bis 16 Uhr.
Adresse: Hauptstraße 11, 79219 Staufen im Breisgau
- Erinnerungsstück: Der Abschiedsbrief des Johann Spahmann
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