Verschreibungspflichtiges Medikament
Wie das Schmerzmittel Tilidin zur gefährlichen Lifestyle-Droge wurde
Rapper thematisieren das Schmerzmittel Tilidin in ihren Songs. Bei Jugendlichen ist es beliebt – als euphorisierende Droge. Ärzte sorgen sich angesichts des wachsenden Konsums.
dpa
Mo, 28. Sep 2020, 20:20 Uhr
Panorama
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Rapper thematisieren es in ihren Songs, und ein Geständnis des Musikers Capital Bra zu seiner Medikamentenabhängigkeit machte medial die Runde: Der Konsum des verschreibungspflichtigen Schmerzmedikaments Tilidin erlebt eine Art Revival bei Jugendlichen – transportiert und nach Expertenansicht befördert durch die Stars der Rapkultur und ihre Songs wie "Tilidin" von Capital Bra und Samra oder "Tilidin weg" von Bonez MC.
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"Gerade in der Hip-Hop-Szene – unter anderem auch durch Bekanntwerden von prominenten Betroffenen – verbreitet sich die Substanz zurzeit", warnt Maurice Cabanis, Leitender Oberarzt der Klinik für Suchtmedizin und Abhängiges Verhalten am Klinikum Stuttgart. "Zudem sind Schmerzmittel derzeit zu einer Lifestyle-Droge geworden, die zunehmend von Jugendlichen und jungen Erwachsen konsumiert wird."
Wenn Tilidin in der Szene als Superdroge verherrlicht werde, sei dies fatal. Tilidin könne süchtig machen; der Entzug sei je nach Konsummenge quälend, verbunden mit starken Muskelschmerzen, Erbrechen, Unwohlsein, Zittern, Schwitzen.
Von den in seiner Abteilung stationär aufgenommenen Patienten, die Tilidin nehmen, sei das Schmerzmedikament zur beherrschenden Droge geworden, sagt Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE).
Tilidin als Droge ist kein neues Phänomen. "Es ist, ebenso wie Codein, eine Substanz, die in der US-amerikanischen Rapszene schon seit Jahrzehnten präsent ist und seit wenigen Jahren auch von Deutschrapkünstlern populär gemacht wird in Texten und Videos", erklärt Philipp Weber von der Stuttgarter Suchtberatungsstelle Release U21 für junge Menschen unter 21 Jahren. Bekannt sei Tilidin auch bei Sportarten wie Fußball, wo Zweikämpfe eine große Rolle spielen – "weil das Medikament angstfrei macht, man risikobereiter wird und auch nicht so schnell Schmerzen verspürt", so Weber.
Die Datenlage zum Tilidinkonsum von Jugendlichen ist dünn. Zwar gebe es gute Hinweise beispielsweise aus dem Arzneiverordnungsreport von 2016, sagt Thomasius. "Darin ist für die Zeit zwischen 2006 bis 2015 eine Zunahme von 30 Prozent der definierten Tagesdosen an Opioid-Analgetika, zu denen Tilidin gehört, beschrieben." Das Problem sei aber nicht ausreichend erfasst. "Wir klammern das Problem des Medikamentenmissbrauchs bei Jugendlichen bisher aus."
Das Reportageformat STRG_F (NDR/funk) hat Daten der gesetzlichen Krankenkassen abgefragt. Demnach wurden 2017 noch 100 000 definierte Tagesdosen Tilidin für 15- bis 20-Jährige verschrieben, 2019 seien es drei Millionen gewesen – eine Steigerung auf das 30-Fache. "Das wäre erschreckend", meint Thomasius. Diese Daten lassen sich laut einer Sprecherin des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen so jedoch nicht nachvollziehen. Auch das Bundesgesundheitsministerium kann sie nicht bestätigen, ebenso wenig wie die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). Aber: "Besorgniserregend ist die Entwicklung rund um Tilidin auf jeden Fall", sagt Thomasius. Insgesamt steige der Konsum von Opiaten und Opioiden.
"Ich vermute, dass sie es sich auf dem Schwarzmarkt besorgen", sagt ABDA-Sprecherin Ursula Sellerberg. Cabanis sagt: Die Präparate ließen sich über das Internet einfach bestellen. Thomasius fordert, Tilidintabletten in das Betäubungsmittelgesetz aufzunehmen. "Die Suchtmittelkommission im Bundesgesundheitsministerium muss sich mit diesem Thema dringend auseinandersetzen."
Cabanis fordert mit Blick auf Medikamentenabhängigkeit bei Jugendlichen eine bessere Prävention. Am Klinikum Stuttgart soll ein Schwerpunkt dafür etabliert werden. "Man muss erkennen, dass man da eine große Gruppe vernachlässigt."
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