Studienhaus Wiesneck
Warum ziehen Jugendliche in den Dschihad?
Sarah aus Konstanz ist 15 Jahre alt, als sie sich dem sogenannten Islamischen Staat anschließt – warum? Eine Frage, der die Schüler im Mentorenprogramm des Studienhaus Wiesneck nachgegangen sind.
So, 18. Jan 2015, 20:09 Uhr
Südwest
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Sie verschwand im Herbst 2013. "Nach den Herbstferien kam sie nicht zurück in die Schule", erinnert sich Lehrer Erwin Riede. Kurz nach ihrem Verschwinden ortete man ihr Handy in Aleppo in Syrien, dann postete sie in sozialen Netzwerken Fotos vor einer Flagge des IS. "Sie war verschleiert und hatte ein Maschinengewehr in der Hand", erzählt Schülerin Julia (14).
Sarahs Vater, ein gebürtiger Algerier, ist strenggläubig, die Mutter Schwäbin – dass ihre Tochter sich über soziale Netzwerke radikalisierte und Kontakt zum IS aufnahm, bemerkten sie nicht. "Sie wollte bald keinem Mann mehr die Hand geben, auch der Schwimmunterricht war tabu", erinnert sich Lehrer Riede. Und plötzlich war sie weg. Die Eltern verzweifelt, machtlos. Wo Sarah jetzt ist? "Man weiß es nicht", sagt Julia, "vielleicht ist sie tot." Ihre neunte Klasse, die mit Schülern der Werkreal- und Realschule Eichendorff aus Gottmadingen am Mentorenprogramm des Studienhaus Wiesneck teilnahm, war damals eine Stufe unter der von Sarah.
Das Thema "Islamistischer Terror" haben sich die 21 Schüler selbst ausgesucht. Warum? "Weil es aktuell ist und auch uns Jugendliche betrifft", erklärt Pascal (15) vom Eichendorff-Schulverbund. Lange habe er von Terror nur aus den Nachrichten gehört, aber nun reisten immer mehr Jugendliche aus, um sich dem IS oder al- Qaida anzuschließen – so wie Sarah.
Besonders sei an dieser Gruppe – acht sind es pro Jahr –, dass sich die Schularten vermischt haben: Werkrealschüler diskutieren gemeinsam mit Gymnasiasten, drehen Filme und erstellen Konzepte für eine Veranstaltung zum Thema IS in ihrer Heimatstadt. Darunter viele Schüler, die zuvor nichts mit Politik am Hut hatten. Aber im Seminar entstehen vertraute Situationen, in denen offenbar wird: Der Terror ist Teil ihrer Lebenswirklichkeit.
Linda ist 14 Jahre alt. Ihre Familie ist muslimischen Glaubens. Ein Cousin sei oft in die Moschee gegangen, erzählt sie, habe dort eine Art Gehirnwäsche erhalten und sei dann vom IS angeworben worden. "Er wollte nach Syrien, mein Onkel hat das gestoppt." Linda stellt klar: "Der Terror und das Töten von Menschen hat nichts mit unserem Glauben zu tun. Im Koran steht nirgendwo, dass man Menschen umbringen soll oder Frauen ausgenutzt werden dürfen." Die anderen christlichen Schüler kennen den Koran bislang nicht. "Es ist spannend, etwas darüber zu erfahren", sagt Pascal. "Terroristen glauben ja, sie kommen ins Paradies, aber im Koran steht das so gar nicht."
Auch wenn oft die Rede davon ist, dass Jugendliche sich immer brutalere Filme ansehen oder Computerspiele spielen – freiwillig würde sich keiner der Schüler so die grausamen Videos von Enthauptungen durch die IS ansehen. "Was geht in so einem Menschen vor, der so etwas macht?", fragt sich der 14-jährige Sebastian. Und: Was geht in Menschen vor, die solche Situationen erlebt haben und deshalb aus ihrer Heimat flüchten müssen?
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