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Medien

Warum schlechtes Fernsehen auch Spaß machen kann

  • Mo, 01. Juli 2024, 20:00 Uhr
    Computer & Medien

     

"Hate-Watching": Warum schaut das Publikum immer wieder so gerne Sendungen im Fernsehen, die nerven?

Eine Serie voller Klischees: "Emily in Paris"  | Foto: Carole Bethuel / dpa
Eine Serie voller Klischees: "Emily in Paris" Foto: Carole Bethuel / dpa 

Als Jesus in der RTL-Liveshow "Die Passion" fürs letzte Abendmahl Ciabatta und Pizza Frutti di Mare kaufte, liefen in den sozialen Medien die Drähte heiß: Von "Unerträglicher Schwachsinn" bis "An Peinlichkeit nicht zu überbieten" reichten die hämischen Kommentare zum Bibel-Musical. Harsch sind auch die Urteile, wenn Heidi Klum in ihrer Castingshow "GNTM" mit schriller Stimme auf Topmodelsuche ist – eine Zuschauerin grübelt bei Twitter: "Warum schalte ich eigentlich jede Woche wieder ein, wenn die Sendung kaum spannender ist als die Werbeblöcke?" Die Antwort könnte ein Phänomen sein, das Experten "Hate-Watching" nennen: Viele Menschen schauen sich ganz gezielt Sendungen an, über die sie sich ärgern.

Sich abgestoßen fühlen, aber doch bis zum Finale schauen?

Wenn die Dialoge mies, die Handlung dünn und die Darsteller untalentiert sind, man aber trotzdem aus verschiedenen Gründen gebannt zusieht: Das ist "Hate-Watching". Realityformate wie die RTL-Dschungelshow "Ich bin ein Star – holt mich hier raus!" mit ihren Ekelprüfungen sind ein Paradebeispiel: Viele fühlen sich abgestoßen, schauen aber dennoch bis zum Finale. In der Netflix-Serie "Emily in Paris" stöckelt eine junge Amerikanerin durch ein grotesk klischeehaftes Frankreich voller Baguettes und champagnertrinkender Charmeure: Die Serie kletterte nicht nur in Deutschland auf Platz 1 der Netflix-Charts.

Warum ist das so? Nun – überraschenderweise kann Hate-Watching glücklich machen. Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass Hass intensive Reaktionen im Gehirn auslöst, infolgedessen können Glückshormone wie Oxytocin oder Serotonin ausgeschüttet werden. Außerdem befriedigt diese spezielle Art von TV-Konsum auch den Wunsch, sich von anderen abzuheben – Medienpsychologen wie Benjamin P. Lange von der Internationalen Hochschule Berlin sprechen von der Theorie des abwärtsgerichteten sozialen Vergleichs: Präsentiert das Fernsehen Kandidaten und Kandidatinnen, denen man sich sozial überlegen fühlt, über die man sich lustig machen und auf die man herabblicken kann, steigt das Selbstwertgefühl.

Das Gemeinschaftsgefühl entscheidet mit

Ein weiterer Grund ist die Freude am Gemeinschaftsgefühl. Wenn beim Hate-Watching viele Menschen etwas schauen, um sich online oder im Gespräch darüber lustig zu machen, wirkt das verbindend. Oliver Kalkofes Fernsehreihe "SchleFaZ" (kurz für: Die schlechtesten Filme aller Zeiten) lebt seit Jahren von diesem Mechanismus.

Einige Experten haben indes den Verdacht, dass hinter der Lust am Hate-Watching bisweilen eine ganz andere Wahrheit steckt: Der Zuschauer oder die Zuschauerin hasst nicht die Sendung, sondern die Tatsache, dass er oder sie das Format klammheimlich mag. Wer gibt schon gerne zu, dass er Trash-Formate wie "Schwiegertochter gesucht" (RTL+) liebt? In so einem Fall müsse man seinen Geschmack eben mit einer Schicht Ironie übertünchen, um sich nicht angreifbar zu machen, schreibt US-Medienkritikerin Madeleine Davies auf der Website "Jezebel".

Welchen Einfluss hat das schlechte Fernsehen auf das Medium selbst?

Inzwischen machen sich Beobachter schon Sorgen, dass die Lust am schlechten Fernsehen womöglich einen unguten Einfluss auf das Medium selber hat. Denn wenn zu viele Menschen aus Freude am Lästern und Versenden von Memes fragwürdige Sendungen zum unverdienten Erfolg machen, werden immer mehr davon produziert. Der miserable Horrorfilm "Sharknado" etwa, in dem es Haie regnet, wird von manchen Menschen als Kult gefeiert und bringt es inzwischen auf fünf Fortsetzungen.

Mit wütenden Hatern, die aggressive Kommentare posten und Mobbingkampagnen im Internet starten, darf man die lustvollen Hate-Watcher zwar nicht gleichsetzen. Trotzdem warnen Psychologen wie Mark Travers von der Universität Boulder in Colorado davor, es zu übertreiben: Wer sich zu intensiv negativen Emotionen hingebe, laufe Gefahr, auch im echten Leben zynischer und pessimistischer werden, und sollte besser eine Pause vom Hass-Fernsehen einlegen.

Ressort: Computer & Medien

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