Johanneskirche
Totgeprügelter Mann: Warum Ärzte nicht immer die richtige Todesursache erkennen
Nicht immer erkennt ein Arzt die richtige Todesursache – wie im Fall des totgeprügelten Mannes an der Johanneskirche. Wäre der Sohn nicht zur Polizei gegangen, wäre die Wahrheit vielleicht nie ans Licht gekommen. Denn ohne Hinweise gibt es keine Obduktion.
Sina Gesell & BZ-Redaktion
So, 30. Okt 2016, 19:13 Uhr
Freiburg
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Wäre der Sohn des 51-Jährigen nicht drei Tage später zur Polizei gegangen, wäre die Wahrheit vielleicht nie ans Licht gekommen. Laut Oberstaatsanwalt Mächtel konnte erst durch eine rechtsmedizinische Obduktion festgestellt werden, dass der Mann an den Folgen des Übergriffs gestorben war, da nur innere Verletzungen vorlagen. Auch habe der Notarzt keine Hinweise von den Angehörigen auf die Schlägerei bekommen, jedoch auf gesundheitliche Probleme des Mannes. "Das passte für den Arzt ins Bild", so Mächtel. Deshalb vermerkte er auf dem Totenschein, dass der Mann eines natürlichen Todes gestorben war.
"Die äußere Leichenschau ist per se fehleranfällig, auch wenn sie gründlich und mit der nötigen fachlichen Kompetenz durchgeführt wird", sagt Stefan Pollak. Zum konkreten Fall äußert sich der Ärztliche Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Freiburger Uniklinik nicht. Selbst Todesfälle durch stumpfe Gewalt seien nicht immer einfach zu diagnostizieren. Pollak verweist auf eine Studie aus den 90er-Jahren, die die Dunkelziffer der irrtümlich als "natürlich" klassifizierten Todesfälle als relativ hoch einstuft. Auch der Spiegel berichtete von einer Studie, in der das rechtsmedizinische Institut in Hannover zu dem Schluss kommt, dass mehr als jede achte Todesursache falsch eingeordnet wird. Dabei spielten nicht nur Tötungsdelikte eine Rolle, sondern auch Unfälle oder Suizide. Dass die Diagnose eines Leichenschauarztes bei einer Obduktion revidiert werden müsse, sei keine Seltenheit, sagt Pollak. Doch komme eine Überprüfung durch Öffnen der Leiche sehr selten vor.
Stirbt ein Mensch, muss der Arzt die Leiche vollständig entkleiden und gründlich untersuchen. Die Todesursache gibt er auf dem Totenschein an. Sobald er Anzeichen für einen unnatürlichen Tod findet oder ihm die Umstände unklar erscheinen, muss er die Polizei rufen. Erst dann beginnt sie mit den Ermittlungen.
Die Sorgen der Ärzte beim Thema Leichenschauen kennt Frank Reuther. Der Psychiater und Rechtsmediziner ist Vorstandsmitglied der Landesärztekammer (LÄK) Baden-Württemberg. "Die meisten Ärzte haben den Beruf ergriffen, um Lebenden zu helfen", sagt er. Einen toten Körper zu untersuchen, liege nicht jedem. Oft komme das Verhältnis zwischen Hausarzt und Familie hinzu. "Eine Befragung nach den genauen Umständen des Todes kann da unangenehm sein", so Reuther. Doch ohne Kenntnis der Umstände könne der Arzt kaum eine Diagnose treffen. Zudem sei die Leichenschau schlecht bezahlt: 14,57 Euro bekommt ein Arzt regulär dafür. "Eine steife Leiche zu entkleiden, ist für einen einzelnen Arzt sehr schwierig", sagt Reuther.
Die LÄK fordert schon lange die Einführung eines amtlichen Leichenbeschauers. So soll jeder Arzt nur noch verpflichtet sein, den Tod festzustellen. Damit könnten Fehler vermieden werden, wie LÄK-Sprecher Oliver Erens mitteilt, aber auch auf die Kosten hinweist. Rechtsmediziner Pollak hält zu hohe Erwartungen für unrealistisch: Eine äußere Untersuchung bleibe auch dann in ihrer Aussagekraft beschränkt, wenn sie von spezialisierten Ärzten durchgeführt würde: "Eine zuverlässige Feststellung der Todesursache ist bei Sterbefällen mit unklarer oder zweifelhafter Vorgeschichte nur durch eine innere Leichenschau möglich." Doch ohne Hinweise gibt es auch keine Obduktion.
Kommentare
Liebe Leserinnen und Leser,
leider können Artikel, die älter als sechs Monate sind, nicht mehr kommentiert werden.
Die Kommentarfunktion dieses Artikels ist geschlossen.
Viele Grüße von Ihrer BZ