Statistik
Sterben Arme in Deutschland wegen ihrer Armut früher?
Sind in Deutschland tatsächlich so viele Menschen von Armut bedroht wie noch nie im wiedervereinigten Deutschland? Das meint der Chef des Paritätischen Gesamtverbandes (PGV), Ulrich Schneider.
Fr, 3. Mär 2017, 0:01 Uhr
Wirtschaft
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Der PGV betont, dass in der Erhebung nur Menschen gezählt würden, die einen eigenen Haushalt führten. Damit blieben relevante Gruppen wie jene Studierende, die in Gemeinschaftsunterkünften wohnten, Wohnsitzlose, viele Behinderte, Pflegebedürftige oder Flüchtlinge unberücksichtigt. Aus Sicht des PGV ist es begründet, die Angaben zur Armutsgefährdung als Aussagen über Armut zu werten.
Als Gegenden mit überdurchschnittlich hohen Armutsquoten macht der PGV Berlin aus (22,4 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern (21,7 Prozent) und Sachsen-Anhalt (20,1 Prozent). Der Südwesten kommt in der Betrachtung auf eine Quote von 11,8 Prozent, für Bayern wird ein Wert von 11,6 Prozent ausgewiesen. Bei der regionalen Verteilung zeigt sich im Ruhrgebiet eine besonders hohe Armutsquote. Schon 2012 hatte Schneider betont: "Wenn dieser Kessel mit fünf Millionen Menschen einmal zu kochen anfängt, dürfte es schwerfallen, ihn wieder abzukühlen." Von Armut seien vor allem Arbeitslose, Alleinerziehende, Migranten und kinderreiche Familien betroffen.
Der PGV geht in seinem aktuellen Armutsbericht der Frage nach, wie sich die Armut auf die Gesundheit und die Lebenserwartung auswirkt. Arme seien deutlich häufiger von Krankheiten, Beschwerden und Funktionseinschränkungen betroffen und hätten eine kürzere Lebenserwartung. So liege die Lebenserwartung bei Männern aus der Einkommensgruppe mit weniger als 60 Prozent des Mittelwerts bei 70,1 Jahren. Männer, deren Einkommen mehr als 150 Prozent des Mittelwerts betrage, kämen auf eine Lebenserwartung von 80,9 Jahren. Bei den Frauen betragen die Vergleichswerte 76,9 und 85,3 Jahre. Unterschiede gebe es auch bei der Anzahl der Jahre, die jemand bei guter Gesundheit erlebe. Die Männer aus der unteren Einkommensgruppe kommen auf 56,8 Jahre, die Männer aus der oberen Gruppe auf 71,1 Jahre. "Die Unterschiede zwischen den Statusgruppen", heißt es im Bericht, "fallen gerade in Bezug auf schwerwiegende chronische Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes mellitus oder chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen deutlich aus." Das Erkrankungsrisiko der Ärmeren sei bei Herzinfarkt und Schlaganfall zwei- bis dreifach höher.
Die Gründe für die Ungleichheit bei den Gesundheits- und Lebenschancen seien, so der Bericht, nicht einfach zu benennen. Zwar gebe es Unterschiede im Zugang zu medizinischer Versorgung sowie bei deren Qualität. Dies spiele dank der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt aber eine sehr geringe Rolle. Der Bericht weist darauf hin, dass das individuelle Verhalten Einfluss habe: "Es stimmt: Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status verhalten sich durchweg gesundheitsriskanter als wohlhabende, besser gebildete und sozial abgesicherte Menschen – meist im Hinblick auf Tabakrauchen, Bewegung, Ernährung und Alkohol." Es sei aber falsch, daraus den Schluss "selbst schuld" zu ziehen. Die Unterschiede im individuellen Verhalten erklärten die Unterschiede beim Gesundheitszustand und der Lebenserwartung zu knapp der Hälfte. Für Ärmere sei es schwer, einen gesunden Lebensstil zu entwickeln: "Wer nicht weiß, wie er mit dem Geld bis Monatsende hinkommen kann, hat wenig Interesse daran, durch Änderungen seines Verhaltens die Wahrscheinlichkeit eines Herzinfarkts zu senken, der ihn – wenn überhaupt – erst in Jahrzehnten treffen kann." Auch lebten Ärmere oft in einem Umfeld, das Änderungen erschwere: "Wer in Armut lebt und von Burger, Pizza und Cola auf Müsli, Gemüse und Mineralwasser umsteigen möchte, muss dies meist gegen den Mainstream seiner sozialen Umgebung tun." Der PGW lobt deshalb das Präventionsgesetz der Großen Koalition. Es sei richtig, die Krankheitsvorbeugung im Alltag der Menschen voranzubringen – also beispielsweise in Kindertagesstätten, in Firmen, Schulen oder Vereinen: "Im Mittelpunkt dieser Interventionen steht nicht das Individuum mit seinem individuellen Gesundheitsverhalten, sondern die jeweilige Umwelt. Diese soll … bedürfnisgerechter und gesundheitsförderlich gestaltet werden."
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