Schwierige Entscheidung an der Bildungsweg-Kreuzung
Ein Freiburger Gymnasiast, der sich zurzeit die Frage nach dem richtigen Studium stellt, lässt seinen Gedanken und seinem Frust in einer Polemik freien Lauf.
JuZ-Mitarbeiter Yannic Federer
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Yannic Federer befindet sich auf der Zielgeraden seiner Schullaufbahn und macht sich intensive Gedanken, wie es nach dem Abitur weitergeht. Gibt es den perfekten Weg? Was ist richtig? Und ist vernünftig überhaupt gleichbedeutend mit richtig? Er steht an jener Bildungsweg-Kreuzung mit fünftausend Fahrstreifen für jede der "neunzehntausend Komma fünf Richtungen" und hat die Empfehlungen satt.
Und in allen Empfehlungen schwingen bestimmte Wendungen, Begrifflichkeiten und Andeutungen mit: Zukunft, Wirtschaft, Rezession, Sicherheit. "Warum studierst du nicht Jura? Das hat Zukunft!" "BWL-Absolventen! Die sind gefragt!" "Ingenieure braucht das Land!" Doch was, wenn Sie nichts mit den Naturwissenschaften und schon gar nichts mit ökonomischen Theorien anfangen können?
Ich bin so jemand. Und ich bin all dieser Empfehlungen überdrüssig. Ich kann nicht mehr glauben, dass Naturwissenschaftler, BWLer und Rechtsgelehrte tatsächlich die besseren, sichereren und besser-bezahlten Berufsaussichten haben. Und selbst wenn: Ich glaube nicht, dass man zufrieden - geschweige denn glücklich - sein kann mit einer Berufslaufbahn, die man nur des Geldes, der "Sicherheit" wegen angestrebt hat; in der man aber keinerlei Talent hat, und keine Erfüllung, keinen Ansporn, keinen Ehrgeiz, keine Selbstbestätigung findet.
Diesen immer gleichen Empfehlungen zufolge würden in wenigen Jahren einige multinationale, profitsüchtige Unternehmen, die nebenbei die Welt regieren, nur noch BWLer, Juristen, Ingenieure und vielleicht ein paar Informatiker beschäftigen. Die Ingenieure würden die Maschinen bauen. Die Betriebswirte berechneten, wie sich das am kostengünstigsten produzieren und zu welchen Preisen verkaufen ließe. Und die Rechtsgelehrten schrieben die Verträge. Wunderbare Welt der Wirtschaft!
Nebenbei bemerkt: Die Geisteswissenschaftler wären tot. Wegrationalisiert. Die Bibliotheken verbrannt und Fabriken mit dampfenden Schornsteinen darauf errichtet, in denen noch mehr Ingenieure dann noch mehr Maschinen bauen könnten. Die Theater abgerissen. Die Zeitungen würden zu Konzerninternen Unterhaltungsblättern versklavt sein. Und an den Schulen würde nur noch Physik, Chemie, Mathematik und Ökonomie unterrichtet werden.
Zum Glück ist die Welt nicht so und wird es (hoffentlich) nie sein. Diese Empfehlungen lassen eines außer Acht: Irgendjemand muss all die Bücher schreiben, die gelesen werden. Irgendjemand muss die Zeitungen füllen, die gekauft werden. Irgendjemand muss die Musik machen, die gehört wird. Irgendjemand muss die Sprachen verstehen, die wir sprechen. Irgendjemand muss über die Menschen nachdenken und über das, was sie tun. Irgendjemand muss die Bilder malen, die dann die Wirtschaftsbosse in ihre Verhandlungszimmer hängen können, damit der umworbene Öl-Scheich aus Saudi-Arabien sich auch in angemessenem Ambiente wiederfindet.
Etwas bildhafter gesprochen: Wenn alle wissen, wie man PQ-Formeln löst, wie man Klauseln so formuliert, dass sie niemand mehr versteht und wie man Atombomben baut, sich aber gleichzeitig wirklich niemand mehr entsinnen kann, was "Frieden" auf Französisch heißt, ist unsere Zivilisation erstickt. Sie hätte sich an ihren eigenen Errungenschaften verschluckt.
Ich appelliere an alle, die mit mir an dieser Kreuzung mit fünftausend Fahrstreifen für jede der neunzehntausend Komma fünf Richtungen stehen: Egal wie sehr Eure Mitfahrer auch gestikulieren, argumentieren und lamentieren. Es gibt keine Sicherheit. Niemand weiß, wie der Arbeitsmarkt in ein paar Jahren aussieht. Und niemand kann etwas für den Rest seines Lebens tun, wenn es ihm nicht liegt, geschweige denn keinen Spaß macht.Hört auf Euer Herz. Das weiß am besten, was gut für Euch ist. Also erster Gang, Schleifpunkt, Spiegel-Spiegel-Schulterblick, blinken und los geht's!
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