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Schwerer Stoff, der zum Nachdenken anregt

In "Annes Kampf" haben im Lahrer Parktheater zwei Schauspieler auf der Bühne vorgelesen. Die eine aus dem "Tagebuch der Anne Frank", der andere aus Hitlers "Mein Kampf". Kann das als Theaterstück funktionieren?.  

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Marianne Blum las aus dem „Tagebuch der Anne Frank“.   | Foto: Juliana Eiland-Jung
Marianne Blum las aus dem „Tagebuch der Anne Frank“. Foto: Juliana Eiland-Jung
Kann aus der Gegenüberstellung von Texten ein Theaterstück werden? Ohne Dialog, ohne Kommentar, ohne Interaktion zwischen den beiden historischen Personen, die sich ja auch im Leben nie begegnet sind? Die Dramaturgie verlässt sich fast komplett auf die beachtlichen Rezitationskünste von Marianne Blum und Thomas Linke, die jeweils abwechselnd von einem Lichtkegel beleuchtet werden. Blum sitzt an einem kleinen Tisch, Linke steht am Rednerpult. Blum spricht mit leiser (im ersten Teil des Abends leider allzu leiser) Stimme, Linke gibt zwar nicht den Hitler-Imitator, aber schnarrt und schreit in typischer Manier. Zum Theaterstück wird das Ganze durch die von Blum hervorragend interpretierten Lieder: Es beginnt mit der verfremdeten Nationalhymne, geht über zu jiddischen Leidens- und Hoffnungsliedern wie dem 1940 entstandenen "Donnaj, Donnaj" und "Mir leben eybik" (Wir leben ewig) aus dem Jahr 1943. Die Chanson-Antipoden Marlene Dietrich und Zara Leander werden musikalisch zitiert, Wagners Siegfried-Arie wird eingespielt, am Ende rezitiert Thomas Linke aus Celans Todesfuge.

Der Kontrast zwischen Liedern wie den "Moorsoldaten" und "Davon geht die Welt nicht unter" spiegelt den Gegensatz der Texte. Während Hitler über die "körperliche Unsauberkeit und moralischen Schmutz" der Juden schwadroniert, schildert Anne die ausgetüftelte Baderoutine der anfangs sieben, später acht Bewohner ihres Verstecks in einem Amsterdamer Hinterhaus. Während Anne Französisch und Rechnen im Selbststudium betreibt, fordert Hitler, das Hauptgewicht bei der Erziehung von Mädchen auf ihre Rolle als Mutter auszurichten. Der Ton der beiden Bücher könnte nicht unterschiedlicher sein. Hier die 14-jährige Anne, die ihre innersten Gefühle und Gedanken einem Tagebuch anvertraut. Dort der an der eigenen Legendenbildung arbeitende Hitler. Hier die leise Stimme eines Mädchens, das von einer Zukunft als Autorin träumt, dort der polternde Nominalstil des Diktators. Anne plagt sich mit Schuldgefühlen, weil es ihr besser geht als den Juden in den Konzentrationslagern, Hitler bezeichnet die Juden als "gegenseitig sich bekämpfende Rotte von Ratten", die nur als "Parasit und Schmarotzer anderer Völker leben".

Unterschiedlich auch die Bekanntheit der Texte. Anne Franks Tagebuch ist seit Jahrzehnten Schullektüre, von Hitlers "Mein Kampf" kennen alle den Titel, gelesen haben dürften es nur wenige. Es war zwar nie verboten, aber nachgedruckt werden durfte es aus rechtlichen Gründen erst wieder 2016. Die vom Institut für Zeitgeschichte herausgegebene kommentierte Ausgabe landete schnell auf Platz zwei der Spiegel-Bestsellerlisten im Bereich Sachbuch. Diese Tatsache war der Impuls für Autor Guido Rohm, daraus ein Bühnenstück zu machen.

Die Übertragung auf heutige Verhältnisse wird weitgehend dem Publikum überlassen. In der vom Künstleragenten Sammy Eggers angebotenen Einführung zum Theaterstück im Foyer des Parktheaters prallten die Einschätzungen allerdings schon hart aufeinander. Eggers hatte eine Parallele zur erstarkenden AfD gezogen, der anwesende AfD-Gemeinde- und Kreisrat Benjamin Rösch wehrte sich gegen eine Gleichsetzung seiner Partei mit nationalsozialistischem Gedankengut. Eggers verwies unter anderem auf menschenverachtende Äußerungen eines ehemaligen Mitarbeiters der baden-württembergischen AfD-Landtagsfraktion aus dem Jahr 2015. Von den rund 50 Teilnehmern der Einführung erhielt Rösch keine Unterstützung.

Am Ende des Theaterstücks wurde lange applaudiert. Begeisterung kann ein solch schwerer Stoff kaum auslösen, Betroffenheit und Nachdenken schon. Und die Erkenntnis, dass die Lektüre von Anne Franks Tagebuch doch viel mehr lohnt als Hitlers "Mein Kampf". Das dünne Buch des Mädchens, das nur 15 Jahre alt wurde, erwies sich als wirkmächtiger als der destruktive Weltentwurf des "Gröfaz". Bislang jedenfalls.

Ressort: Lahr

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 21. November 2024: PDF-Version herunterladen

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