Euro 2016

Halbfinale gegen Frankreich: Schweinsteiger in der Startelf

Ein Höchstmaß an Disziplin und Aufmerksamkeit, aber auch an körperlicher Konkurrenzfähigkeit: René Kübler erklärt, was bei der deutschen Nationalelf vor dem Halbfinale gefragt ist.  

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Die Ausgangslage ist unklar. Joachim Löw sieht die gastgebenden Franzosen im EM-Halbfinale gegen Deutschland leicht favorisiert. Das Aufstellungspuzzle, das der Bundestrainer zusammenfügen muss, ist angesichts der Ausfälle von Mats Hummels, Sami Khedira und Mario Gomez kompliziert. Immerhin eine Frage beantwortete Löw bereits am Mittwochabend bei einer Pressekonferenz: Bastian Schweinsteiger steht in der Startformation.

"Frankreich ist weniger ausrechenbar." Joachim Löw
Beim Aufwärmen setzt sich Kapitän sofort an die Spitze. Die Brust noch ein bisschen weiter nach vorn gestreckt als sonst trabt Bastian Schweinsteiger vornweg, als wolle er allen zeigen: Ich bin da, ich bin bereit! Beim Abschlusstraining vor dem Halbfinale war Schweinsteiger nicht unbedingt als aktiver Teilnehmer erwartet worden. Doch nun macht er viele Dinge, die man mit einem lädierten Außenband im Knie eigentlich nicht machen sollte. Der 31-Jährige springt vom einen Bein aufs andere, er schlägt lange Pässe, er sprintet. Nur noch die stützenden Tape-Bandagen deuten daraufhin, dass sich Schweinsteiger im Viertelfinale gegen Italien verletzt hat. Es gibt Experten, die Schweinsteigers Konkurrenzfähigkeit anzweifeln und daher gehofft hatten, dass sich das "Problem" durch dessen neuerliche Knieprobleme von allein erledigt. Nun wird es anders kommen.

Geht es um die deutsche Startaufstellung, ist man auf einigen Positionen mehr denn je angewiesen auf Spekulationen und Interpretationen. Fest steht: Die Stammkräfte Mats Hummels, Mario Gomez und Sami Khedira können nicht mal gerade so ersetzt werden. Es bedarf ausgedehnter Überlegungen – nicht nur personeller, sondern vor allem auch strategischer Art.

Für Schweinsteiger spricht seine Erfahrung

Grundlegende Fragen müssen beantwortet werden: Ist es sinnvoll, gegen die Franzosen erneut auf eine Dreierabwehrkette zu setzen, um nach dem Ausfall von Hummels die defensive Stabilität nicht zu gefährden? Oder wäre eine Viererkette nicht geeigneter, um mit einer weiteren Offensivkraft die defensiven Schwächen der Franzosen auszunutzen? Der Personalie Schweinsteiger kommt entscheidende Bedeutung zu. Der frühere Münchner habe sich nach seiner Einwechslung in der Partie gegen Italien glänzend reingearbeitet, befand Löw. "Er hat Kraft gehabt."

Gleichzeitig war zu sehen, dass Schweinsteiger Mühe bekommt, wenn sich das Tempo im Spiel erhöht. Und ein angeschlagener Akteur wird in der Regel nicht schneller und spritziger. "Eins ist klar: Spieler, die nicht zu 100 Prozent fit sind, lasse ich nicht spielen", hat Löw deswegen bereits vorbeugend klargestellt. Eine Ansage, die auch oder gerade Schweinsteiger gegolten haben könnte. Doch welcher ehrgeizige Spieler sagt seinem Trainer vor solch einem großen Duell, dass er nur bei 80 oder 90 Prozent liegt? Schweinsteiger ist nicht so ein Typ. Zumal Joachim Löw zunächst ausdrücklich betonte: "Ich hoffe, dass er spielen kann."

Löw erwartet einen Hexenkessel in Marseille

Seit Mittwochabend steht fest: Der Wunsch des Bundestrainers geht in Erfüllung. Er plant im Halbfinale erstmals im Turnierverlauf mit seinem Kapitän Bastian Schweinsteiger in der Startformation und als Khedira-Ersatz. "Die Verletzung ist so gut wie auskuriert, er wird auf jeden Fall beginnen", sagte der Coach auf der Pressekonferenz zum Spiel in Marseille. "Gerade in einem Hexenkessel wie hier ist seine Erfahrung enorm viel wert", sagte der Bundestrainer über seinen Mannschaftsführer.

Als wahrscheinlichste Schweinsteiger-Alternative war zuvor Julian Weigl gehandelt worden. In Kombination mit einer kompakten Dreierabwehrkette dahinter (Höwedes, Boateng, Mustafi) schien der strategische Ballverteiler und Vereitler gegnerischer Pässe die sinnvollste Wahl. "Ich habe Vertrauen zu allen Spielern", hat Löw stets betont. Jeden einzelnen der bisherigen Reservisten könne er bedenkenlos bringen.

Für Schweinsteiger spricht die Erfahrung

Allerdings schränkte er in einem Punkt ein: Für die ganz jungen Akteure wie den 20-jährigen Weigl müsse man den richtigen Zeitpunkt finden. "Ein Spiel, in dem es um so viel geht?", fragte Löw in die Runde. Die Antwort ließ er zunächst offen – im Falle von Weigl beantwortete er sie dann auf seine Weise: Er entschied sich im defensiven Mittelfeld gegen die Jugend und für den Spielführer.

Für Schweinsteiger spricht seine unendlich große Erfahrung. Dass er in wichtigen Spielen ein einflussreicher Anführer sein kann, hat er beim Weltmeisterschaftsfinale 2014 in Brasilien eindrucksvoll demonstriert. Wenn er nun also beginnt – vielleicht als eine Art Libero vor der Abwehr – wäre die Rückkehr zur Viererkette durchaus sinnvoll. Dadurch böte sich Löw die Möglichkeit, im Vergleich zum Italien-Spiel eine weitere Offensivkraft aufzubieten – und die offensichtlichsten Schwachstellen der Franzosen zu attackieren.

"Ich bin optimistisch, dass wir die richtigen Lösungen finden." Thomas Müller
Bei den Außenverteidigern Patrice Evra (35) und Bacary Sagna (33) waren altersbedingte Tempodefizite im bisherigen Turnierverlauf nicht zu übersehen. Evra stellte sich bei kniffligen Situationen im Strafraum manchmal ungeschickt an, Sagna ließ sich öfter von den Gegnern ausspielen. Es könnte zweifellos lohnend sein, die beiden mit schnellen Flügelspielern unter Druck zu setzen. Julian Draxler (links) und Thomas Müller (rechts) wären denkbar, Mario Götze würde dann wohl wieder die falsche Neun geben. Leroy Sané könnte ein Überraschungscoup auf rechts sein, sollte Thomas Müller als Gomez-Vertreter im Sturmzentrum benötigt werden. Wobei das Risiko bei dieser Variante nicht gering wäre, würden dann doch zwei Youngster – Kimmich und Sané – allein für die rechte Seite verantwortlich zeichnen.

"Ich bin optimistisch, dass wir die richtigen Lösungen finden", sagt Thomas Müller, der bei dieser Europameisterschaft noch ohne Treffer ist. Wenngleich dies in den Augen seines Trainers noch schwieriger sein wird als gegen Italien.

Auch wegen des Gegners. "Frankreich ist weniger ausrechenbar", erklärt Löw. Die flexible Offensivkraft der EM-Gastgeber mit dem Stoßstürmer Olivier Giroud, dem schnellen Antoine Griezmann, dem gefährlichen Schützen Dimitri Payet und dem vehement nachrückenden Energiebündel Paul Pogba erfordert ein Höchstmaß an Disziplin und Aufmerksamkeit, aber auch an körperlicher Konkurrenzfähigkeit.

Womit wir wieder bei Bastian Schweinsteiger wären.

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