Paulussaal
Robert Habeck beim BZ-Talk in Freiburg: Merz, Militär und Mittelweg
Robert Habeck ist auf Wahlkampftour: Gleich drei Stationen absolviert der Spitzenkandidat der Grünen am Freitag in Südbaden – eine im Todtnauer Wald und zwei in Freiburg. Beim BZ-Talk dominieren aktuelle Themen.
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Die Sicherheitsmaßnahmen vor dem Freiburger Paulussaal sind hoch, 45 Minuten vor Beginn des BZ-Talks mit Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck hat sich eine lange Schlange bis auf die Dreisamstraße gebildet. Als alle drin sind, ist die Stimmung gut, die mehr als 850 Menschen – eine bunte Mischung, mehr ältere und Menschen mittleren Alters – sind dem Bundeswirtschaftsminister freundlich gestimmt. Wie auch könnte man diesen Habeck, so wie er sich da in einer improvisierten Küchenkulisse gibt, nicht mögen. Schon als der Bühnenvorhang aufgeht, lächelt der 55-Jährige, in der Mitte zwischen den BZ-Redakteuren Dietmar Ostermann und Thomas Fricker sitzend. Küchen, wie er sie in seinem Wahlkampf besucht hat, mag er, weil sie "der politischste Ort in Deutschland" seien, wo die Menschen ihre "kleinen" Alltagssorgen debattierten, aber auch die großen, existenziellen Nöte.
So angenehm-locker wie am Nachmittag, als der Vizekanzler unter anderem mit Ministerpräsident Kretschmann im Todtnauer Wald wanderte, kann es im Paulussaal trotz des Küchenambientes nicht werden. Zu frisch ist die Tötung eines Kindes und eines Familienvaters durch einen möglicherweise psychisch kranken Geflüchteten aus Afghanistan in Aschaffenburg. Es hat diesen Wahlkampf mit einem Mal verändert. Habeck kann die Wut der Menschen verstehen, sagt er. "Eine schreckliche Bluttat" sei das, wie zuvor schon die in Mannheim, Solingen und Magdeburg. "Von einer solchen Perversität und Brutalität, das ist so irre, das kann man kaum fassen."
Für Habeck ist Merz' Vorhaben ein Rechtsbruch
Habeck versucht trotzdem, den Fuß aufs Bremspedal zu setzen. Die Sache müsse zunächst aufgeklärt werden – nicht nur die Tat, sondern auch, warum es den Behörden nicht gelungen sei, den ausreisepflichtigen Angreifer nach den Dublin-Regeln innerhalb von sechs Monaten abzuschieben. Was er nicht will, ist, dass damit vorschnell Wahlkampf gemacht werde. Und hier ist Habeck bei Friedrich Merz angekommen, der am Freitag angekündigt hatte, am ersten Tag seiner Kanzlerschaft die Grenzen dicht zu machen. Für Habeck ist das ein Rechtsbruch, weil das Recht auf Asyl für Schutzsuchende ausgehebelt werde. Und es sei praktisch gar nicht umsetzbar, denn der Bundespolizei mangele es an Personal für eine komplette Grenzschließung. Es gehe aber auch eine fatale Symbolik von Merz' Vorpreschen aus – wie Trump mit seinem "America first" setze Merz auf "Germany first" und spalte Europa, das doch so dringend geeint werden müsse.
Dass Merz für einen entsprechenden Gesetzesantrag auch die Stimmen der AfD im Bundestag akzeptieren würde, kritisiert Habeck scharf. Es brauche eine konservative Kraft im Land, aber eine zur Mitte orientierte, die nicht die Politik der Rechtspopulisten übernehmen dürfe.
Video-Einspieler kritischer Bürger
Habeck wird dann mit Video-Einspielern kritischer Bürger konfrontiert. Bert Sutter, Chef eines medizintechnologischen Mittelstandsunternehmens und des badischen Wirtschaftsverbands WVIB, fordert vom Bundeswirtschaftsminister eine "Wirtschaftswende". Hinter dem Begriff stecke wahrscheinlich die alte Idee der FDP, die Steuern zu senken, mehr sei da nicht dahinter, sagt Habeck. "Die sagen zwar Wirtschaftswende, aber in Wahrheit sagen sie: ,Mehr vom Alten'". Man müsse aber erkennen, dass sich zwei grundlegende Dinge, die dass Land erfolgreich gemacht hätten, geändert haben: Die Zeit der günstigen Energie aus Russland sei passé, und China und die USA beschränkten den deutschen Export und setzen mit eigenen Produkten dagegen. 40 bis 50 Milliarden pro Jahr müsse man in die eigene Infrastruktur stecken und für wichtige Waren Produktionsstandorte in Europa schaffen.
"Es war so ein schöner Abend mit der Band am Anfang", sagt Habeck irgendwann in der zweiten Hälfte der Veranstaltung, "jetzt sind wir bei schrecklichen Dingen gelandet". Wohl wahr, denn es geht um die Außen- und Sicherheitspolitik. Im Videostatement ist Jürgen Grässlin zu sehen, der prominente Pazifist aus Freiburg. Er geißelt die Rüstungsexportpolitik des Bundeswirtschaftsministers und verweist auf Waffenverkäufe an Saudi-Arabien, Israel und die Türkei, die er alle für falsch hält. Und die Militärausgaben zu erhöhen, wie es Habeck gefordert hat, gehe zu Lasten der Pflege und anderem.
"Damals war es ein kalter Krieg, jetzt ist es ein heißer."Robert Habeck
Schon in der Wortwahl will sich Habeck von Grässlin unterscheiden. Der hat von einer "Intervention Russlands" in der Ukraine gesprochen, Habeck sagt, es sei ein "brutaler Angriffskrieg". Und überhaupt bescheinigt er dem Verfechter zivilen Widerstands, dessen Welt sei "eine gewünschte Welt" und nicht die Wirklichkeit. Im Übrigen habe man Israel nur geliefert, was es für seinen Iron Dome, die Raketenabwehr, brauche, nichts für den Krieg in Gaza. Und die Türkei bekomme nur maritime Güter für die Verteidigung der Südostflanke der Nato.
Ob die Mehrheit der Bevölkerung denn bei der Erhöhung der Sicherheitsausgaben mitgehen würde, fragt Thomas Fricker, und wie es mit der einst aus der Friedensbewegung hervorgegangenen grünen Partei sei. Sicherheit habe ihren Preis, sagt Habeck. Und: "Mein Laden würde mitgehen", ist er sich sicher. Die Situation sei heute eine andere als in den 80er Jahren: "Damals war es ein kalter Krieg, jetzt ist es ein heißer."
Ist der Mittelweg der Tod?
Mit Reinhild Dettmer-Finke kommt noch eine grüne Freiburger Grünen-Kritikerin per Einspieler zu Wort. Dass sie fordert, den geplanten Stadttunnel nicht zu bauen, ignoriert der Bundeswirtschaftsminister. Dass sie bei den Grünen die Dringlichkeit in der Klimapolitik vermisst und geißelt, dass sie auf dem Weg zur pragmatischen Mitte seien, ist dagegen eine Steilvorlage für ihn. In einer Zeit, in der Populismus und Extremismus das Land auseinanderrissen, sei der Mittelweg nicht der Tod, "sondern das, wo das Land wieder hinmuss". Man müsse sich klar zum Zentrum bekennen, zur Demokratie. Großer Applaus im Saal. Und die Grünen verkörperten diese Demokratie geradezu, setzt der Kanzlerkandidat noch drauf. Sie regiere in Koalitionen mit verschiedenen Partnern. "Wir sind die lebende Bündnispartei!"
Was die Aussichten dieser Partei angeht, gibt er sich optimistisch. Die Ampel habe den drei Partnern klar geschadet, sagt er. Aber die Grünen hätten sich als einzige "wieder rausgekämpft". Sie stünden in den Umfragen – derzeit liegen sie bei 13 bis 15 Prozent – als einzige wieder auf dem Niveau der letzten Bundestagswahl. Und er verweist darauf, dass die letzten vier Wochen eines Wahlkampfs nochmal viel Dynamik bringen würden. Dass der BZ-Talk so schnell ausgebucht war, nimmt er als Zeichen: Vielleicht sei die Neugier auf ihn ein "Kristallisationspunkt von Aufbruch".
Am späteren Abend trat er dann noch bei einer Wahlkampfveranstaltung der Grünen in der Freiburger Sick-Arena auf. Bei 3000 eingelassenen Besuchern dort mussten die Türen geschlossen werden.
Robert Habeck und Winfried Kretschmann im Todtnauer Wald: Wandern zum Wahlkampf