Nach der Bundestagswahl

Politikwissenschaftler aus Freiburg: "Die Groko löst keine Begeisterung aus"

Wie ist die Lage nach der Bundestagswahl? Vor welchen Aufgaben steht die Große Koalition? Im BZ-Interview ordnet der Politikwissenschaftler Uwe Wagschal die Wahlergebnisse und ihre Folgen ein.  

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Wohin geht die Fahrt? Der künftige Kanzler Friedrich Merz  | Foto: Michael Kappeler (dpa)
Wohin geht die Fahrt? Der künftige Kanzler Friedrich Merz Foto: Michael Kappeler (dpa)

BZ: Herr Wagschal, im November haben Sie in einem Interview mit der Badischen Zeitung zur anstehenden Bundestagswahl gesagt, Sie seien ein Anhänger von Großen Koalitionen, weil sie einen großen Teil der Bevölkerung repräsentierten und große Probleme lösen könnten. Freuen Sie sich jetzt, dass es tatsächlich so gekommen ist?

Ich sehe mich schon ein bisschen bestätigt. Mit der Einigung auf Milliardenkredite für Verteidigung und Infrastruktur wird versucht, tatsächlich diese großen Probleme zu lösen. Das spricht für die These. Aber andererseits sehen wir, dass diese Große Koalition eigentlich gar keine große mehr ist. Sie hat eine Mehrheit von gerade Mal zwölf Stimmen. Und acht Abgeordnete der SPD haben schon angekündigt, vielleicht gar nicht mitzustimmen. Außerdem braucht man für die geplante Grundgesetzänderung noch Hilfstruppen für die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. Das können nur die Grünen sein, weil sie in sieben Bundesländern mitregieren.

BZ: Sie machen mit ihren Mitarbeitern Umfragen zur politischen Lage. Im jüngsten "Politikpanel Deutschland" haben 42,9 Prozent der Bürgerinnen und Bürger eine Große Koalition als eher positiv oder sehr positiv bewertet. Ist das ein guter oder ein schlechter Wert? Andere Koalitionskombinationen bekamen wesentlich geringere Werte.

Die Große Koalition wird von der Bevölkerung als beste unter mehreren unpopulären Alternativen gewertet. Wirkliche Begeisterung löst sie nicht aus.

BZ: Wird die Koalition halten, auch wenn sie nur eine knappe Mehrheit hat? Oder vielleicht gerade deswegen?

Ich glaube, dass die Knappheit Union und SPD zwingt, realistischer vorzugehen, auch der Druck von rechts und links außen tut das. Man hat aber auch größere Schnittmengen als in der Ampel und nicht mehr so ideologisierte Grüne wie in der letzten Regierung. Denken Sie an das Heizungsgesetz und andere Dinge. Auch wenn im Wahlkampf Robert Habeck dann den Realo gegeben hat.

"Man muss mit einem Koalitionsvertrag viel stärker auf Sicht fahren."

BZ: Wie wichtig ist es, jetzt trotz des Zeitdrucks einen detaillierten Koalitionsvertrag auszuhandeln?

1961 gab es den ersten Koalitionsvertrag in der Bundesrepublik. Er war neun Seiten lang. Bei der Ampelkoalition waren wir bei mehr als 160 Seiten. Elf Wochen nach der Verabschiedung war der russische Einmarsch in die Ukraine. Da war das ganze Tableau hinfällig. Man muss viel stärker auf Sicht fahren, vielleicht ein Rahmenpaket von 30, 40 Seiten schnüren, dann Koalitionsausschüsse bilden und alles Weitere auf Sicht verhandeln.

BZ: Das setzt aber auch einen gewissen Willen zur Koalition voraus.

Das ist das Entscheidende. Deshalb weiß ich nicht, was die angesprochenen Verweigerer in der SPD wollen. Die Frage ist, ob sie sich schon mal die politische Landkarte angeschaut haben, was ihre Alternative ist, und ob man mit so einer Verweigerungshaltung das Land mobilisiert.

BZ: Mobilisieren ist ein gutes Stichwort. Als die Ampel sich festgefahren hatte, ist die Stimmung im Land unglaublich runtergegangen. Und Kanzler Scholz hat nicht gerade durch Mobilisierung geglänzt. Trauen Sie das einem Kanzler Merz zu?

Wir haben ja die niedrigen Sympathiewerte für Merz in den Umfragen während des Wahlkampfs gesehen. Er ist eine Art Ritter der traurigen Gestalt, irgendwie klebt an ihm immer das Pech. Die Union war in den Umfragen lange Zeit wie einbetoniert bei 32, 33 Prozent, am Ende waren es 28,5. Das ist kein wirklich gutes Ergebnis. Es reicht nur ganz knapp zum Regieren.

Der Freiburger Politikprofessor Uwe Wagschal  | Foto: Fabian Klask
Der Freiburger Politikprofessor Uwe Wagschal Foto: Fabian Klask

"In unserem neuen Politikpanel haben fast zwei Drittel aller Befragten gesagt, die Spitzenkandidatin oder der Spitzenkandidat einer Partei sei ihnen bei einer Wahl relativ wichtig oder sehr wichtig."

BZ: Lag es am Spitzenkandidaten Merz?

In Hamburg hatte die SPD bei der Bundestagswahl 22,7 Prozent. Am letzten Sonntag hat sie bei der Wahl der Bürgerschaft 33,5 geholt, alle anderen Parteien haben gegenüber der Bundestagswahl verloren. Warum? Wegen des Bürgermeisterkandidaten Peter Tschentscher. In unserem neuen Politikpanel haben fast zwei Drittel aller Befragten gesagt, die Spitzenkandidatin oder der Spitzenkandidat einer Partei sei ihnen bei einer Wahl relativ wichtig oder sehr wichtig.

BZ: Hätte die Union bessere Kandidaten gehabt?

Man hätte Hendrik Wüst nehmen können, man hätte Markus Söder nehmen können. Söder ist deutlich präsenter und intellektuell mobiler als Merz, das nimmt doch die Leute mit. Es hätte aber auch bei der SPD mit Boris Pistorius einen besseren Kandidaten gegeben und das hätte beiden Parteien mehr genützt.

BZ: Dann wäre die Große Koalition jetzt vielleicht wirklich groß. Um ihre Basis in der Bevölkerung zu verbreitern, müsste Merz sich bemühen, integrativ zu wirken. Damit tut er sich aber schwer.

Ja, das haben wir gesehen. Von links hat man gegen ihn demonstriert, nach der Abstimmung zusammen mit der AfD. Die Leute da zurückzugewinnen ist schwierig. Und auf der rechten Seite ist er genauso ein rotes Tuch, weil er dann doch ziemlich vehement gesagt hat: "Wir behalten die Brandmauer und ihr seid die Bösen."

BZ: Das klingt nicht, als wären Sie optimistisch, was den Erfolg dieser Kanzlerschaft angeht.

Es wird sich im Regierungshandeln zeigen. Zunächst einmal hat er jetzt eine Mehrheit und ich bin leidlich optimistisch, dass er tatsächlich mit guter Politik die Leute zurückgewinnt. Vor allem, wenn es mit dem Wirtschaftswachstum aufwärtsgeht. Nicht jeder unpopuläre Politiker muss in Unpopularität enden. Er kann sich natürlich auch wandeln. Vielleicht hat er ja einen Kommunikationstrainer, der ihm sagt: "Du musst ein bisschen lockerer werden."

Uwe Wagschal (Jahrgang 1966) ist Professor für Vergleichende Regierungslehre an der Universität Freiburg. Er leitet das "Politikpanel Deutschland", das Befragungen zu politischen und gesellschaftlichen Themen durchführt.

Schlagworte: Markus Söder, Uwe Wagschal, Boris Pistorius
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