Account/Login

Nahost

Massive israelische Angriffe im Libanon - Mehr als 350 Tote

  • dpa

  • Mo, 23. September 2024, 20:21 Uhr
    Politik Ausland

     

Israel greift hunderte Ziele im Libanon an. Ministerpräsident Netanjahu spricht von einem "Krieg" gegen die Hisbollah. Die Behörden in Beirut melden viele Opfer, zahllose Menschen fliehen in Panik.

Neue israelische Luftangriffe trafen zunächst den Süden des Libanon. Foto: Hussein Malla/AP
1/2

Quelle: Deutsche Presse-Agentur (dpa).
Die BZ-Redaktion hat diese Meldung nicht redaktionell bearbeitet.

Tel Aviv/Beirut (dpa) - In einer weiteren massiven Eskalation im Konflikt mit der Schiitenmiliz Hisbollah hat Israel Hunderte Ziele im Libanon angegriffen. Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums wurden 356 Menschen getötet, darunter 24 Kinder. Mehr als 1.246 Menschen wurden demnach verletzt. 

Es ist die höchste Opferzahl im Südlibanon seit Beginn der kriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der proiranischen Hisbollah vor fast einem Jahr. Israels Militär führte zudem einen Luftangriff in der libanesischen Hauptstadt Beirut aus, der Medienberichten zufolge einem ranghohen Hisbollah-Kommandeur galt. 

Das israelische Militär griff nach eigenen Angaben mehr als 1.300 Ziele im Libanon an - und die Attacken dauerten am Montagabend noch an. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wandte sich mit einer Botschaft direkt an das libanesische Volk: "Israels Krieg ist nicht mit euch, sondern mit der Hisbollah", sagte er. "Die Hisbollah hat euch schon allzu lange als menschliche Schutzschilde missbraucht." Um Israel gegen Hisbollah-Angriffe zu verteidigen, müssten die Waffen der Miliz unschädlich gemacht werden, argumentierte Netanjahu. 

Nach Angaben des israelischen Militärs feuerte die Hisbollah mehr als 150 Geschosse auf zivile Orte in Israel. Einige von ihnen seien von der Raketenabwehr abgefangen worden, andere auf offenem Gebiet eingeschlagen. Es gab zunächst keine Berichte über Verletzte oder Sachschäden. 

Nach den massiven Luftangriffen im Libanon beschloss die israelische Regierung in Erwartung von Gegenschlägen einen landesweiten Ausnahmezustand. Die Entscheidung bedeutet nach Medienberichten unter anderem, dass die Größe von Versammlungen eingeschränkt werden kann.

Israel will bei Angriffen "Zehntausende Raketen" des Feindes zerstört haben 

Bei den Angriffen wurden nach Angaben von Verteidigungsminister Joav Galant "Zehntausende Raketen" der Hisbollah zerstört, "die Israels Bürger bedrohten". Generalstabschef Herzi Halevi erklärte, das Militär greife die von der Hisbollah in den zurückliegenden 20 Jahren für ihren Kampf aufgebaute Infrastruktur an. "Das ist sehr bedeutsam", betonte er. Israel greife Ziele an und bereite "die nächsten Phasen" des Kampfes vor, worüber er in Kürze mehr sagen wolle. 

Es blieb dabei unklar, auf welche nächsten Schritte er sich dabei bezog. Bislang greift Israel den Libanon massiv aus der Luft an und mit Artillerie über die Grenze hinweg, es gibt jedoch keine israelischen Truppen im Libanon. 

Terroristen der mit der Hisbollah verbündeten Hamas und anderer extremistischer Gruppen hatten am 7. Oktober 2023 mehr als 1.200 Menschen in Israel getötet und etwa 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Dies war der Auslöser für den Gaza-Krieg. Seither greift die Hisbollah Israel fast täglich mit Raketen an. Israel will die Hisbollah wieder aus dem Grenzgebiet verdrängen, um im Norden die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten und die Rückkehr Vertriebener zu ermöglichen.

Libanon wirft Israel einen "Vernichtungskrieg" vor

Die libanesische Regierung warf Israel angesichts der Angriffe "einen Vernichtungskrieg in jedem Sinne des Wortes" vor. "Wir als Regierung arbeiten daran, diesen neuen Krieg Israels zu stoppen und einen Abstieg ins Unbekannte zu verhindern", sagte der geschäftsführende Ministerpräsident Nadschib Mikati. 

Israels Armee griff nach eigenen Angaben mit einem "präzisen" Angriff ein Ziel in Beirut an. Retter eilten in ein Gebiet im Süden Beiruts, eine Hisbollah-Hochburg. Dort war am Freitag bereits mit Ibrahim Akil ein hochrangiger Militärkommandeur der Miliz getötet worden. Ziel des neuen Angriffs war nach unbestätigten israelischen Medienberichten der Hisbollah-Kommandeur Ali Karaki, der für die südliche Front zuständig war und Akil ablösen sollte. 

Sollte sich Karakis Tod bestätigen, sei dies ein "massiver Schlag" gegen die Hisbollah, schrieb die Expertin Maha Yahya von der Denkfabrik Carnegie auf der Plattform X. Damit würde neben dem Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah nur noch ein weiterer Kommandeur auf Israels "Abschussliste" verbleiben. 

Luftangriffe auch in der nordöstlichen Bekaa-Ebene 

Nach den intensiven Bombardierungen im Süden durch Israels Luftwaffe wurden am Nachmittag auch Stellungen in der Bekaa-Ebene im Nordosten des Libanons angegriffen, wie es aus Sicherheitskreisen hieß. Die Hisbollah feuerte Dutzende Raketen auf Stellungen im Norden Israels. Dabei zielte die Miliz unter anderem auf Anlagen der Rüstungsindustrie nahe der Hafenstadt Haifa sowie auf Militärstützpunkte. Auch weitreichende Raketen kamen demnach zum Einsatz. 

Israel warnt Zivilbevölkerung im Libanon 

Zuvor hatte es Berichte gegeben über Warnungen an die Zivilbevölkerung im Libanon durch sogenannte Roboteranrufe mit vorab aufgezeichneten Nachrichten oder per SMS. Man solle sich bis auf weiteres von Dörfern fernhalten, in deren Gebäuden Waffen der Hisbollah gelagert seien, habe es geheißen. Das libanesische Informationsministerium bezeichnete die Aktion als "psychologische Kriegsführung" Israels. 

Israels Armee hatte die Angriffe im Nachbarland bereits in den vergangenen Tagen ausgeweitet. Auch dabei gab es Dutzende Tote und Verletzte. Die Armee weicht Fragen, ob auch eine Bodenoffensive des Militärs möglich sei, bisher aus. Bei einem Einmarsch israelischer Truppen im Libanon wäre eine noch größere Beteiligung verbündeter Milizen der Hisbollah in der Region oder des Irans nicht ausgeschlossen. 

Panik im Süden des Libanons

Auf beiden Seiten der Grenze mussten rund 150.000 Menschen ihre Wohnorte verlassen. Die kriegsähnliche Auseinandersetzung hat sich nach der Explosion Tausender Kommunikationsgeräte im Libanon sowie einem israelischen Angriff auf die Hisbollah-Führung nahe Beirut mit mehr als 50 Toten, darunter Zivilisten, in der vergangenen Woche noch einmal verstärkt. 

Anwohner waren nach den jüngsten Luftangriffen im Süden des Libanons in Panik. Viele Menschen würden unter anderem aus Vororten der Stadt Tyros im Süden fliehen, sagten Anwohner der Deutschen Presse-Agentur. Einige eilten ins Zentrum der Küstenstadt und zum dortigen Gelände der UN-Beobachtermission Unifil. Die Straßen füllten sich mit Autos von Menschen, die offenbar in Richtung Beirut oder anderer Orte im Norden des Landes fahren wollten. Auf den Straßen kam es zu Staus. 

Es herrsche "Panik und Chaos", berichteten Augenzeugen. In der Küstenstadt Sidon, die etwa auf halber Strecke zwischen Tyros und Beirut liegt, kam der Verkehr zeitweise komplett zum Erliegen. Autofahrer teilten Videos in sozialen Medien, die zeigten, wie massenhaft Libanesen in Richtung Norden fuhren.

Hisbollah heute stärker bewaffnet als im Krieg vor 20 Jahren

Israel und die Hisbollah haben bereits 1982 und 2006 Krieg gegeneinander geführt. Die vom Iran unterstützte Miliz ist heute deutlich stärker bewaffnet als während des Kriegs vor fast 20 Jahren. Sie handelt nach eigener Darstellung aus Solidarität mit der islamistischen Hamas, die im Gazastreifen gegen Israel kämpft. Hisbollah und die Hamas werden vom Iran unterstützt.

Israels hat die Zahl seiner Angriffe im Gazastreifen zuletzt verringert und konzentriert sich zunehmend auf die Hisbollah. Israel will erreichen, dass sich die Miliz wieder hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht - so wie es die UN-Resolution 1701 vorsieht, die das Kriegsende 2006 markierte. Der Resolution zufolge darf die Hisbollah entlang der Grenze nicht präsent sein. Dies wird aber weder von der UN-Beobachtermission noch von der libanesischen Armee durchgesetzt. Israel hat die Rückkehr seiner Anwohner in ihre Wohnorte im Norden zu einem der Ziele im Gaza-Krieg erklärt, der mit dem Hamas-Terrorangriff vom 7. Oktober vergangenen Jahres begonnen hatte. 

 

© dpa‍-infocom, dpa:240923‍-930‍-240440/16

Ressort: Politik Ausland

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel