Strom aus der Sahara

Marokko baut riesiges Solarkraftwerk in der Wüste

Mit Unterstützung der deutschen Staatsbank KfW entsteht in Marokko ein riesiger Kraftwerkkomplex. Der gewinnt Strom aus Sonnenlicht. Davon profitieren allerdings nicht deutsche Verbraucher.  

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Parabolspiegel, so weit das Auge reicht. Foto: Rolf Obertreis
Das Thermometer zeigt an diesem Tag Anfang Mai mittags 35 Grad. Die Sonne brennt vom blauen Himmel. Thomas Schmitt hat sich einen schattigen Platz 30 Meter über dem Boden auf dem Gebäude gesucht, in dem die riesigen Wassertanks untergebracht sind. Der Hitze zum Trotz strahlen die Augen des Ingenieurs aus Stuttgart. "Was wir hier sehen, hat das Potential für die künftige Energieversorgung." Schmitt lässt den Blick schweifen über die marokkanische Wüste am Rand von Quarzazate, 250 Kilometer südöstlich von Marrakesch. Er schaut auf schier endlose Reihen von jeweils rund sieben Meter hohen und drei Meter breiten Parabolspiegeln.

Sie gehören zum Solarkraftwerk Noor I. Es soll im Herbst erstmals Strom ins marokkanische Netz speisen. Bislang war die 100 000-Einwohner-Stadt mit ihren hübschen, mit braunrotem Lehm verputzten Häusern vor allem für ihre Filmstudios bekannt, wo Streifen wie "Gladiator", "Die Päpstin", "Der Medicus" oder Asterix-Filme gedreht wurden. Die Stromgewinnung aus Sonnenlicht soll keine Illusion bleiben, sondern Realität werden. Marokko setzt um, woran deutsche Unternehmen mit ihrer Wüstenstrominitiative Desertec gescheitert sind.

Noor I – Noor heißt auf arabisch Licht – das erste von vier geplanten Kraftwerken hat gewaltige Dimensionen: 160 Megawatt (MW) Leistung, 537 000 Parabolspiegel in 400 Reihen à 300 Metern Länge. Computergesteuert folgen sie dem Lauf der Sonne. In der Mitte der leicht gebogenen Spiegel verlaufen Rohrleitungen. Auf sie konzentrieren die Spiegel das Sonnenlicht. Es erhitzt ein synthetisches Öl auf bis zu 393 Grad.

Im Kraftwerk im Zentrum des gigantischen Feldes wird mit dem heißen Öl Wasser erhitzt und Dampf erzeugt, der eine gigantische Turbine antreibt, die den erzeugten Strom in das marokkanische Netz einspeist, wie Rachid Bayed erklärt. "Und das nicht nur am Tag, sondern auch in den Abendstunden, wenn der Bedarf besonders hoch ist", fügt der 36-jährige Ingenieur aus Casablanca hinzu. Denn das Öl erhitzt nicht nur Wasser, sondern auch ein spezielles, flüssiges Salz – geliefert von der BASF –, das die Hitze bis zu sechs Stunden speichern kann.

Bis zu 40 Grad und mehr könne es hier am Fuß der bis zu 4000 Meter aufragenden Berge des Hohen Atlas heiß werden, sagt Bayed. "Aber nicht die Temperatur ist entscheidend, sondern die Dauer und die Verlässlichkeit des Sonnenscheins". Mit wenigen Ausnahmen brennt die Sonne auf rund 1500 Metern Meereshöhe fast 365 Tage im Jahr vom Himmel. Auf Noor I sollen die Kraftwerke Noor II, III und IV folgen. In gut zwei Jahren soll der Komplex mit einer Leistung von 560 Megawatt fertig sein. Zum Vergleich: Kohlekraftwerke oder Atomkraftwerke haben oft eine Leistung von 1000 Megawatt.

Jan Schilling von der bundeseigenen KfW-Bank gerät bei solchen Aussichten ins Schwärmen. "Vor zwei Jahren war da nichts, nur Wüste. Heute stehen, soweit das Auge blicken kann, Parabolspiegel. Das ist beeindruckend und es hat Pilotcharakter für Marokko und die gesamte Region." Schilling ist bei der KfW für Noor verantwortlich. Die ist mit einem zinsgünstigen Kredit von 850 Millionen Euro einer der wichtigsten Geldgeber. Rund 2,2 Milliarden Euro soll das Vorhaben kosten. Die KfW ist dabei, weil Noor zeigt, wie eine Energiewende unter Ausnutzung von Strom aus der Wüste funktionieren kann.

Die Marokkaner stellen hier womöglich ein Geschäftsmodell auf die Beine, das in Zukunft zum lukrativen Exportschlager werden könnte. Schließlich hat sich Europa verpflichtet, in den nächsten Jahren mehr und mehr Strom aus erneuerbaren Energien zu produzieren. Etliche Länder werden ihre Ziele nicht aus eigener Kraft erreichen.

Erst einmal geht es den Marokkaner aber um ihre eigene Energieversorgung. Weil Öl und Kohle nicht verfügbar sind, muss der Staat beides für teures Geld importieren. Deshalb baut das Land die Energiegewinnung aus Sonne, Wind und Wasser stetig aus. Bis 2020 sollen jeweils Kapazitäten von 2000 Megawatt zusätzlich installiert werden. Der Anteil der Erneuerbaren an der gesamten Stromproduktion soll von heute 30 auf 42 Prozent steigen. Sonnenstrom soll von null auf 14 Prozent zulegen.

Auch wenn die Wüstenstrominitiative Desertec gescheitert ist, sind etliche Aufträge für Noor I nach Deutschland gegangen. So liefert Siemens die gigantische Turbine, die Firma Flabeg aus dem bayerischen Fürth am Wald die 537 000 Solarspiegel. Schott Solar und der Anlagenbauer GEA sind ebenso dabei wie das Stuttgarter Ingenieurbüro Fichtner, das Thomas Schmitt und andere Experten in die marokkanische Wüste schickt, um den Fortgang der Arbeiten überwachen und die Anlage am Ende abzunehmen. "Das ist zwar eine ausgereifte Technologie, aber das Vorhaben ist schon sehr komplex. Es geht eben nicht nur um eine Solaranlage auf einem Hausdach", sagt der Ingenieur.

Ungewöhnliches Lob für ein solches Großprojekt kommt von der Nichtregierungsorganisation Germanwatch in Bonn. Sie hat das Vorhaben, die Auswirkungen auf das Umfeld sowie die Beteiligung der Bevölkerung fast zwei Jahre lang bei mehreren Besuchen vor Ort und durch 300 Interviews mit Menschen in Quarzazate und den Dörfern um das Kraftwerksgelände untersucht. "Vor dem Hintergrund, dass große Infrastrukturprojekte gerade in Entwicklungsländern immer Auslöser für lokale Konflikte sind, waren wir am Anfang skeptisch, am Ende jedoch verblüfft und positiv überrascht", sagt Boris Schinke von Germanwatch.

Er lobt die Um- und Weitsicht, mit der sich Masen, die marokkanische Agentur für Solarenergie, darum kümmert, wie die Region und die Menschen dort eingebunden werden. Das für die Anlage benötigte Land wurde von einem lokalen Stamm gekauft, der Erlös floss in einen Fonds, aus dem Schulen, Gesundheitseinrichtungen und der Straßenbau in Dörfern wie Tasselmante, das direkt an das Gelände grenzt, finanziert wurden. "Von 1800 Arbeitskräften auf der Baustelle sind mehr als 1500 Marokkaner, davon 700 aus den Dörfern in der unmittelbaren Umgebung", sagt Schinke.

Das gilt für den 29-jährigen Abdel Fatah Aif Ammi aus Agdz. "Die Leute hier mögen das Projekt. Sie sind stolz, und ich bin stolz, hier arbeiten zu können." Diese Aussage bestätigt der Germanwatch-Experte. Die Arbeitszeiten und -bedingungen richten sich nach den Standards der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. "Wir bauen hier schließlich keine Fußballstadien", sagt ein deutscher Experte auf der Baustelle mit Blick auf Berichte aus Katar, wo Stadien für die Fußballweltmeisterschaft 2022 unter verheerenden Bedingungen gebaut werden. Umsiedlungen oder gar Vertreibungen waren laut Germanwatch kein Thema.

Das Wasser zur Kühlung des Kraftwerks kommt zwar aus dem nahegelegenen Stausee. Noor I benötigt laut Schinke aber nur 0,7 Prozent der vorhandenen Wassermenge, Ingenieur Bached spricht sogar von nur 0,2 Prozent. Bei den weiteren Kraftwerksblöcken setze Masen auf Trockenkühlung, lobt Schinke die Marokkaner. Die bemühten sich zudem, in den umliegenden Oasen Methoden zur Tröpfchen-Bewässerung für die Landwirtschaft zu entwickeln. Allenfalls bei Informationsveranstaltungen für die Bevölkerung sieht Schinke Defizite. "Unter dem Strich jedoch ist die Akzeptanz für das Solarkraftwerk sehr hoch. Die Leute hier sind enorm stolz und überzeugt, dass ihre Region mit dem Projekt aufgewertet wird."

Mustapha Bakkoury, der Chef der marokkanischen Solarenergie-Agentur, hebt die Bemühungen um die soziale Einbindung des Projektes nicht einmal besonders hervor. Aber der Stolz auf das, was die Marokkaner bei Quarzazate auf die Beine stellen, ist bei ihm ebenso unverkennbar wie bei Ingenieuren und Arbeitern auf der Baustelle. Er ist sich auch sicher, dass ein großes Problem in absehbarer Zeit gelöst wird: Noch ist Strom aus der marokkanischen Wüste nicht konkurrenzfähig. Die Produktion ist zu teuer. "Der Strompreis wird vom Staat subventioniert. Aber wir bauen das nach und nach ab. Bei Noor II und III wird die Stromproduktion 15 bis 20 Prozent günstiger", sagt Bakkoury. Dann ist das größte Solarkraftwerk der Welt endgültig ein Vorzeigeprojekt – für Marokko, für die beteiligten Firmen und Mitarbeiter, für die KfW, für Ingenieur Schmitt aus Stuttgart. Auch für Germanwatch-Experte Schinke.
Der Autor war auf Einladung der KfW in Marokko. Er hat sich an den Reisekosten beteiligt.

Desertec

Als Desertec wird ein Konzept bezeichnet, in Wüstenregionen wie der Sahara aus Sonnenlicht Strom zu erzeugen und nach Europa zu transportieren. Dieses Konzept erhielt in Deutschland viel Aufmerksamkeit. Denn es versprach, in großem Stil Strom aus erneuerbaren Energien zu günstigen Preisen verfügbar zu machen. Zeitweise engagierte sich bei dieser Initiative die Creme der deutschen Industrie, von Siemens über Bosch bis Eon und RWE. Tatsächlich ging wenig voran. Einerseits sind die Länder Nordafrikas – mit Ausnahme Marokkos – politisch instabil, in Libyen herrscht Bürgerkrieg. Zum anderen ging der Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland schneller als erwartet voran. Gleichzeitig sank der Börsenpreis für Strom in vielen europäischen Ländern. Das macht Stromimporte unattraktiv.

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