Spanien
Mariano Rajoy wurde von seinem Sturz als Regierungschef überrascht
Pedro Sánchez, Chef der Sozialisten (PSOE), wird Nachfolger des durch ein Misstrauensvotum gestürzten Regierungschefs Mariano Rajoy. Noch vor wenigen Tagen hatte niemand damit gerechnet.
Sa, 2. Jun 2018, 8:48 Uhr
Ausland
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Fast acht Stunden lang, während die Abgeordneten einige Hundert Meter entfernt über seine Abwahl debattierten. Er wollte sich das alles nicht mehr anhören. Fassungslos. Er hatte doch bisher noch alle Stürme überstanden. Indigniert. Wie hatte ihn die baskische Partei PNV nur verraten können. Resigniert am Ende. So ist das eben.
Am Freitagmorgen hatte sich Rajoy wieder gesammelt. Noch bevor die Abstimmung über das Misstrauensvotum gegen ihn begann, gestand er ein: "Pedro Sánchez wird der neue Ministerpräsident sein. Und ich will der erste sein, der ihm gratuliert." Eine gute Stunde später, um kurz vor zwölf, war es so weit. Mit 180 gegen 169 Stimmen bei einer Enthaltung hatten die Abgeordneten den Sozialisten Pedro Sánchez zum neuen spanischen Premier gewählt. Rajoy war der erste, der ihm gratulierte, mit einem Händedruck, den man sich als einen kalten vorstellen muss.
Es gibt Regierungswechsel, die sich lange im Voraus ankündigen. Dieser nicht. Rajoy hätte sich seinen erzwungenen Abgang mit einem Rücktritt zur rechten Zeit ersparen können, etwa im Frühjahr 2013: Damals wurden die Aufzeichnungen des langjährigen Schatzmeisters von Rajoys konservativer Volkspartei (PP), Luis Bárcenas, bekannt, die ein eingespieltes System illegaler Parteienfinanzierung offenlegten. Aber Rajoy tat, als ginge ihn das nichts an. Er wollte nicht wahrhaben, dass er eine in ihren innersten Strukturen korrupte Partei anführt. Er hielt durch, mit Ach und Krach. Die letzten beiden Jahre führte er eine Minderheitsregierung an.
Sein Glück war bisher eine zersplitterte Opposition. Doch auf einmal hat sich diese buntscheckige Opposition zusammengerauft. Noch vor zehn Tagen hätte sich das niemand vorstellen können, Rajoy nicht und wahrscheinlich auch Pedro Sánchez nicht. Doch dann, am Donnerstag vergangener Woche, verkündete der Nationale Gerichtshof seine Urteile im sogenannten Gürtel-Prozess, dem größten spanischen Korruptionsverfahren der jüngeren Vergangenheit. Das Gericht erkannte, was die Spanier seit langem ahnten: dass sich innerhalb der PP ein "wahrhaftes und wirkungsvolles institutionelles Korruptionssystem" eingenistet hatte. Und diese Partei regierte Spanien, nun schon seit sechseinhalb Jahren.
Sozialistenchef Sánchez nutzte den Schockeffekt des in seiner Klarheit brutalen Urteils des Gerichtes, das 29 Männer und Frauen für viele Jahre ins Gefängnis schickte: Er reichte am nächsten Tag einen Misstrauensantrag gegen Rajoy ein. Dass dieser Antrag schließlich eine Mehrheit fand, ist ein kleines Wunder. Sánchez’ Sozialisten (PSOE) stellen nur 84 von 350 Abgeordneten, und das Einverständnis mit den anderen, kleineren Oppositionsgruppen war in der Vergangenheit gering.
Was sie am Ende alle einte, war das dringende Bedürfnis, Rajoy aus dem Amt zu jagen. Am deutlichsten sprach das der Abgeordnete der katalanischen Linkspartei ERC, Joan Tardá, aus: "Unser Ja ist kein Ja dazu, dass Pedro Sánchez an die Regierung kommt, sondern ein Nein dazu, dass Rajoy Präsident bleibt." Dieses Argument überzeugte schließlich auch die baskische PNV, die Rajoy erst vor kurzem geholfen hatte, seinen Haushalt durchs Parlament zu bekommen. An diesem Donnerstag, keine 24 Stunden vor der Abstimmung über den Misstrauensantrag, beschlossen sie, ihrem bisherigen Alliierten den Rücken zu kehren. Der Weg für Sánchez war frei.
Was der neue Ministerpräsident mit seinem Sieg anstellen wird, steht noch dahin. Er spricht von demokratischer Erneuerung, vom Kampf gegen die Korruption, von sozialem Zusammenhalt. Und er will sich mit Quim Torra treffen, dem katalanischen Ministerpräsidenten, den er vor kurzem als "Rassisten" bezeichnet hatte. Schnee von gestern. An diesem Samstag wird die spanische Zwangsverwaltung über Katalonien ein Ende haben, nachdem sich Torra dazu durchgerungen hat, ein Kabinett ohne flüchtige oder im Gefängnis einsitzende Politiker zusammenzustellen. In den festgefahrenen katalanischen Konflikt könnte Bewegung kommen. Ohne Rajoy. Der ist jetzt für länger als nur einen Nachmittag verschwunden. Zum Abschied wünschte er "allen viel Glück, zum Besten Spaniens".
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