Interview

Experte rät: So kann man Vorurteilen begegnen

Flüchtlinge tragen Nike-Schuhe, sind faul und kriminell – mit diesen und ähnlichen Vorurteilen beschäftigt sich Sozialpsychologe Andreas Zick seit Jahrzehnten. Wie Vorurteile entstehen und wie man ihnen entgegenwirkt? Ein Interview.  

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Rassismus lebt von Vorurteilen. Doch zum Tragen kommen sie zum Glück nicht immer. Foto: Photographee.eu / Fotolia.com
BZ: Herr Professor Zick, man nimmt ja gemeinhin an, dass die Gesellschaft immer offener und liberaler wird. Gibt es tatsächlich Grund optimistisch zu sein?
Zick: Die Fremdenfeindlichkeit ist seit 2002 gesunken. Das ist typisch während Krisen wie beispielsweise der Finanz- und Wirtschaftskrise. Erst nach den Krisen kommt es zu Verteilungskämpfen, und die Vorurteile steigen wieder an. Das verläuft meist wellenförmig. In unserer Arbeitsgruppe an der Uni Bielefeld konnten wir feststellen, dass Vorurteile gegen Sinti und Roma, Rassismus und Islamophobie abgenommen hatten. Jetzt steigen die fremdenfeindlichen Vorurteile wieder leicht an. Antisemitismus, Sexismus und Diskriminierung gegenüber Behinderten blieben allerdings stabil.

BZ: Wie erklären Sie sich das?
Zick: Frauen, Behinderte und die jüdische Community sind die ganze Zeit über in Deutschland. Deswegen bleiben da die Vorurteile stabil. Momentan richtet sich die Abwertung vor allem gegen Menschen, die neu ankommen.
"Man kann momentan wieder offene Abwertungen beobachten." Andreas Zick
BZ: Das heißt, dass die Gesellschaft also doch nicht liberaler wird?
Zick: Vorurteile sind immer ein Thema. Es hat seinen Grund, warum die Bundesregierung in diesem Jahr allein 40,5 Millionen im Jahr zur Bekämpfung von Menschenfeindlichkeit ausgibt. Und dennoch kann man momentan wieder offene Abwertungen beobachten.

BZ: Sind es denn die – wie gemeinhin angenommen – Zu-kurz-Gekommenen, die Vorurteile haben?
Zick: Nein, anfällig sind Menschen, die ein gewisses Autoritätsdenken aufweisen, Nationalstolz für sich in Anspruch nehmen und keine Vielfalt kennen. Diese Menschen orientieren sich vor allem an der Frage: Wer ist hier dominant? Wer hat hier das Sagen? Zu denen wollen sie gehören. Für sie zählt das Recht des Stärkeren. Aus diesem Grund werden beispielsweise auch Behinderte diskriminiert, weil sie vermeintlich unterlegen sind. Also Abstiegsangst erklärt Vorurteile nicht.

BZ: Das überrascht mich jetzt.
Zick: Oft haben gerade reiche und gebildete Menschen besonders starke Vorurteile. Nach Krisen geht es um die Verteilung und die, die viel haben, sehen diese gefährdet. Es geht also um die Kernfrage, wer sich mit wem identifiziert und vergleicht. Abstiegsängste entstehen draus.


"Das Umfeld muss ein Korrektiv darstellen, sonst wachsen die Vorurteile." Andreas Zick
BZ: Wie entstehen Vorurteile?
Zick: Vor allem durch unsere Umwelt. Wenn Sie in einem Land leben, das an Rassetheorien festhält, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Sie selbst zum Rassisten werden. Sie wachsen schließlich in einem Umfeld auf, in dem die Norm gilt: Menschen aus anderen Ethnien sind weniger wert, als die eigene. Wenn das von Freunden, Lehrern, der Familie nie korrigiert wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, Vorurteile zu haben. Das Umfeld muss ein Korrektiv darstellen, sonst wachsen die Vorurteile.

BZ: Können Sie entwicklungspsychologisch erklären, wie Menschen Vorurteile bilden?
Zick: Der Weg zum Vorurteil verläuft in drei Schritten: Im Alter von ungefähr drei bis vier Jahren lernen Kinder Kategorisierungsprozesse. Sie kategorisieren nach Alter, Geschlecht oder unterscheiden zwischen Kind und Erwachsenem. Ob das Label Ausländer, Muslim, Behinderung überhaupt zu einer Kategorie wird, hängt von der Umwelt des Kindes ab. Wenn weder im Gespräch noch im Verhalten der Erwachsenen ein Unterschied zwischen Ausländer und Nicht-Ausländer gemacht wird, wird das Kind auch nicht diese Kategorie bilden. Kategorisierung allein ist allerdings noch kein Vorurteil.

"Der Weg zum Vorurteil verläuft in drei Schritten." Andreas Zick
BZ: Was sind die anderen Schritte?
Zick: Im zweiten Schritt sprechen Forscher von der Stereotypisierung. Kinder beginnen jenen Menschen, die sie in eine bestimmte Kategorie geordnet haben, Merkmale zuzuschreiben. Beispielsweise: Frauen tragen gerne Rosa. Jungs raufen gerne. Im Alter zwischen sieben und acht Jahren lernen Kinder dann, wie sie durch das Zuschreiben negativer Merkmale andere Gruppen bewusst abwerten können. Etwa: Alle Mädchen sind Heulsusen. Durch solche negative Zuschreibungen kann man andere Gruppen abwerten und die eigene stärken. Für Jungs würde das in diesem Beispiel bedeuten, dass sie sich weiter mutig fühlen dürfen.

BZ: Welche Rolle spielen Eltern bei der Bildung von Vorurteilen?
Zick: Eltern spielen eine Rolle, aber nicht so eine große, wie man annimmt. Kinder lernen vor allem von anderen Kindern. Das Umfeld des Kindes ist entscheidend. Zudem wären Vorurteile nicht so verbreitet, wenn sie nicht so praktisch wären.

BZ: Warum sind Vorurteile praktisch?
Zick: Man kann sich einer Gruppe zugehörig fühlen, Einfluss auf andere Gruppen nehmen – sie verbal unterwerfen und abwerten. Das erhöht das Selbstwertgefühl für sich selbst und die Eigengruppe. Außerdem vereinfachen Vorurteile die Sicht auf die Welt sehr stark und sie erklären mir die Welt. Das dient der Orientierung.

"Vorurteile vereinfachen die Sicht auf die Welt sehr stark und sie erklären mir die Welt." Andreas Zick
BZ: Kann man von erwachsenen Menschen nicht erwarten, dass sie sich wertvoll fühlen, ohne auf andere herabzuschauen. Oder die Welt in ihrer Komplexität anzuerkennen, wie sie ist?
Zick: Das müssen demokratische Gesellschaften sogar verlangen und die Bildung von Vorurteilen genau beobachten. Unser Grundgesetz verlangt es. Das Problem ist nur, Normen sind das eine, die Vorteile der Vorurteile für die eigene Bezugsgruppe das andere.

BZ: Wie gelingt es, Vorurteile abzubauen?
Zick: Es gibt zwei Wege: Der eine ist Information. Nachrichten schauen, Zeitungsartikel lesen, Vorträge anhören. Der wirksamere Weg geht jedoch über den direkten oder indirekten Kontakt zu der Gruppe, die durch Vorurteile diskriminiert wird. Hier beobachtet die Forschung am meisten Erfolge. Verlaufen Begegnungen mit Asylbewerbern, Schwulen, Behinderten positiv, kann das stark zum Abbau von Vorurteilen beitragen.

BZ: Der direkte Kontakt ist also der Schlüssel. Was wäre denn ein indirekter Kontakt?
Zick: Wenn Menschen, die ich kenne und denen ich vertraue, mir von positiven Erfahrungen mit Flüchtlingen, behinderten Menschen oder Schwulen erzählen. Die Informationen, die wir von bekannten und nahe stehenden Menschen bekommen, besitzen einen größeren Einfluss auf uns als Zeitungsartikel und Nachrichten. Auch indirekte Kontakte werden die Vorurteile nicht sofort abmildern, aber wenn das eigene Umfeld oft von positiven Erfahrungen berichtet, macht das schon etwas mit den Menschen.

BZ: Heißt das, dass man sich das ganze Argumentieren mit Fakten in Zukunft sparen kann?
Zick: Das ist einer der typischen Fehler: Dass man versucht, mit Fakten dagegenzuhalten. Der Wert ist durchaus begrenzt. Letztlich prallen Argumente und Statistiken an den Menschen ab. Die meisten wollen ihre Vorurteile und ihre Angst behalten dürfen. Es hilft viel mehr zu sagen: Was willst du mit dieser Aussage bezwecken? Wo hast du diesen Satz her?

BZ:
Flüchtlinge wollen alle Nike-Schuhe haben, sind undankbar und vergewaltigen deutsche Frauen – solche Vorurteile einfach stehen zu lassen, fällt schwer.
Zick: Das muss ja auch niemand. Aber statt mit Statistiken und Zahlen um sich werfen, hilft es manchmal zu sagen: "Weißt du, du wertest da jemanden ab. Ich krieg das mit und finde das nicht gut. Du schädigst andere bewusst. Was willst Du eigentlich?" Das ist die erste Stufe der Zivilcourage. Das zeigt dem Anderen: Ich richte meine Aufmerksamkeit darauf. Dieses Gerede wird nicht einfach toleriert. Spielverderber zu sein und nicht einzustimmen – dazu braucht man Mut.

BZ: Also keine Toleranz für Intoleranz.
Zick: Nein. Wir müssen da klare Kante zeigen. Wir müssen den Mund aufmachen, sonst kann das ganz schnell eklige Züge annehmen.

"Die Kanzlerin mit einem Schweinekopf. Wenn Leute sehen, dass das toleriert wird, ist das falsche Signal." Andreas Zick
BZ: Sprechen Sie von den Pegida-Demonstrationen?
Zick: Da tragen Demonstranten einen Galgen für die Bundeskanzlerin und Sigmar Gabriel durch die Gegend. Das ist eine Wahnsinns-Provokation und dieser gingen andere voraus. Die Kanzlerin mit einem Schweinekopf. Wenn Leute sehen, dass das toleriert wird, ist das falsche Signal. Die Ordnungskräfte hätten schon viel früher eingreifen können.

BZ: Indes werden die Gegendemonstranten weniger. Sollte uns das alarmieren?
Zick: Ich erfahre oft, dass die Gegendemonstranten müde sind. Sie haben was anderes zu tun, nämlich Flüchtlingen helfen. Wenn ich Geld hätte, würde ich eine Firma beauftragen, tausend Pappkameraden als Gegendemonstranten aufstellen zu lassen. Ist doch klar, dass da nicht alle hingehen, in der gleichen Zeit kann man sich auch ehrenamtlich engagieren.

BZ: Überlässt man den öffentlichen Raum dann nicht den Pegida-Anhängern?
Zick: Wir haben uns jetzt monatelang die Ängste der Bürger angehört. Wir haben uns ihre Vorurteile angehört. Haben ihr Bedrohungsgefühl ernst genommen. Wenn Menschen aber in ihrer Angst verharren wollen und nicht aktiv etwas dagegen unternehmen, dann müssen eben die hier geltenden Normen mit der gleichen Vehemenz verteidigt werden. Da kann man auch mal sagen: "Dieses Argument ist so flach. Ich rede mit dir aber nur unter der Bedingung, dass du diese radikalen Aussagen lässt". Diese Normen erschließen sich aus unserem Grundgesetz. Bei uns gilt die Gleichwertigkeit der Menschen. Niemand darf wegen seiner Abstammung, Herkunft, religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Wir müssen uns dafür stark machen und Vorurteile sanktionieren, indem wir klar aussprechen, was ihr Ziel ist: andere abzuwerten.

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