"Nicht an den Rand drängen lassen"

BZ-INTERVIEW: Die Sachbuchautorin Barbara Tóth will mit dem Klischee von der bösen Stiefmutter aufräumen.  

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Barbara Tóth Foto: Katharina Gossow

Ehen zerbrechen, neue Beziehungen entstehen: Immer häufiger wachsen Kinder hierzulande in Patchworkfamilien auf. Das bedeutet, dass auch immer mehr Jungen und Mädchen Stiefväter und Stiefmütter haben. Letzteren widmet die Autorin und Journalistin Barbara Tóth ein Buch, das sie selbst als Plädoyer für mehr Wertschätzung versteht. Kathrin Blum hat mit ihr gesprochen.

BZ: Gefühllos, ungerecht, hart: Mit dem Begriff Stiefmutter verbinden die wenigsten Menschen etwas Positives. Warum?
Tóth: Schuld daran sind tatsächlich vor allem die Gebrüder Grimm. Im kollektiven Gedächtnis gespeichert ist die böse Stiefmutter, wie sie in Märchen beschrieben wird.

BZ: Die Stiefmutter von heute hat mit diesem Bild vermutlich nicht viel gemeinsam. Warum wird ihr trotzdem so wenig Wertschätzung entgegengebracht?
Tóth: Zum einen hat das mit ihrer Rolle zu tun. Die Stiefmutter ist nun mal immer die Nummer zwei: die zweite Frau des Mannes, die zweite Mutter des Kindes. Das ist per se schon eine schwierige Ausgangslage. Zum anderen hängt das damit zusammen, dass sich viele Stiefmütter selbst nicht wertschätzen. Sie sind so sehr damit beschäftigt, die neue Lebenssituation zu regeln und die neuen Herausforderungen zu bewältigen, dass sie darüber vergessen, sich um sich selbst zu kümmern.

BZ: Wie ließe sich ihre Situation verbessern?
Tóth: Ich denke, es ändert sich am ehesten etwas, wenn wir anfangen, darüber zu sprechen, was Stiefmütter heute alles leisten – und wenn wir das im öffentlichen Bewusstsein verankern. Stiefmütter dürfen und sollen stolz sein auf sich und ihre Leistungen. Sie dürfen sich selbst nicht kleinreden, indem sie sich beispielsweise anderen vorstellen mit: Ich bin "nur" die Stiefmutter. Einen Stiefmuttertag zu feiern, wie es in den USA seit einigen Jahren üblich ist, könnte auch ein Ansatz sein. Überhaupt sind die USA in dieser Beziehung deutlich fortschrittlicher. Dort gibt es beispielsweise ein Magazin nur für Stiefmütter. Dass so etwas bei uns fehlt, liegt sicherlich auch am immer noch wahnsinnig überhöhten Mutterbild.

BZ: Das Zelebrieren des Stiefmuttertags in den USA, immer am Sonntag nach Muttertag, ist doch in erster Linie Geldmacherei.
Tóth: Natürlich ist das für die Geschenkartikel-Industrie ein guter Anlass. Aber man kann es auch so sehen: Es ist ein bisschen wie mit der Frauenquote. Um ein höheres Ziel zu erreichen, muss man manchmal auf Mittel zurückgreifen, die man nicht hundertprozentig unterstützenswert findet. Und in diesem Fall finde ich es akzeptabel. Alleine schon deshalb, weil an der Ikone Muttertag gerüttelt wird.

BZ: Einen Stiefvatertag gibt es meines Wissens nach auch in den USA nicht. Haben Stiefväter in Deutschland einen ähnlich schlechten Ruf wie ihre weiblichen Pendants?
Tóth: Nein. Das hängt damit zusammen, dass wir von Müttern generell mehr erwarten als von Vätern. In der Regel ist es immer noch so, dass die Kinder nach einer Trennung bei der Mutter bleiben und aus dem Vater ein Wochenendpapi wird. Einer, mit dem man spielen kann, der aber nicht die Alltagslast trägt. Er wird nicht so richtig ernst genommen. Allerdings beginnt sich da gerade etwas zu verändern.

BZ: Apropos (hohe) Erwartungen: Wie stark sollen und müssen Stiefmütter (mit)erziehen?
Tóth: Am besten finde ich das Modell "Captain und Co-Captain", auch mit Blick auf die Rechtslage. Das bedeutet, dass der Vater in Absprache mit der Mutter die großen Linien der Erziehung festlegt; im Haushalt der Stiefmutter aber dennoch Alltagsregeln gelten, die besprochen und eingehalten werden müssen. Beispielsweise, ob man die Schuhe an der Haustüre ausziehen muss, wie lange das Kind aufbleiben darf, welche Regeln beim Essen gelten. Ganz wichtig ist es dabei für eine Stiefmutter, sich nicht an den Rand drängen zu lassen. Denn dort wird sie sich auf Dauer nicht wohlfühlen.

BZ: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass sich – Regeln hin oder her – Stiefmütter immer wieder ausgeschlossen fühlen. Wie können sie lernen, damit umzugehen?
Tóth: Indem sie sich Freiräume schaffen und andere Beziehungen pflegen. Eine typische Situation: Es ist Wochenende und das Stiefkind ist da. Der Partner kümmert sich um dieses – und eben nur darum. Da fühlt sich die Frau schnell ausgeschlossen und nebensächlich. Natürlich kann sie jetzt schmollen und sich ärgern. Oder aber sie verabredet sich mit Freunden zum Wandern oder Kaffeetrinken, macht einfach ihr eigenes Wochenendprogramm. Stiefmütter müssen auf ihre eigenen Bedürfnisse achten – und solche Situationen nicht persönlich, sondern gelassen nehmen.

BZ: Nicht immer gelingt das. Irritationen und Auseinandersetzungen gehören zum Alltag vieler Patchworkfamilien. Wann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem es ratsam ist, die Hilfe eines Familientherapeuten in Anspruch zu nehmen?
Tóth: Das muss jeder für sich entscheiden, ich empfehle aber: lieber früher als später. Generell wird es schwierig, die Probleme alleine zu lösen, wenn das Verhältnis zur Exfrau schwierig ist, die Kinder nicht regelmäßig da sein können und man das Gefühl hat, in einer Sackgasse gelandet zu sein. Nicht immer muss ein Therapeut helfen. Auch gute Freunde, vor allem solche, die selbst einschlägige Erfahrungen haben, sind häufig gute Ratgeber.

BZ: Einer der von Ihnen beschriebenen Konflikte dreht sich um die Gleichbehandlung eigener und fremder Kinder. Ist eine solche sinnvoll und überhaupt möglich?
Tóth: Die meisten haben anfangs den Anspruch, alle gleich zu behandeln. Aber alle Stiefeltern, die ehrlich zu sich selbst sind, müssen sich eingestehen, dass das schlicht nicht möglich ist. Manche finden ihre Stiefkinder noch nicht einmal sympathisch. Doch auch wer seine Stiefkinder mag, muss sie nicht genauso lieben wie die eigenen Kinder. Denn das überfordert eine Stiefmutter genauso wie das Kind. Ein Kind braucht keine Ersatzmama, deshalb kann man den Anspruch runterschrauben und eine andere Form der sozialen Verwandtschaft anstreben. Das Verhältnis kann beispielsweise so sein wie zu einer Tante oder Schwester. Möglicherweise ist es kumpelhaft oder eher vergleichbar mit einer Wohngemeinschaft? Man kann Zuneigung nicht erzwingen. Für Kinder ist es wichtig, dass sie merken, dass die Stiefmutter sich kümmert, empathisch ist und Verantwortung übernimmt. Das wird das Kind irgendwann zu schätzen wissen. Ein Kardinalfehler ist es allerdings, zu glauben, alles würde sich fügen, wenn die Liebe zwischen Stiefmutter und dem Partner nur groß genug ist.
"Viele Frauen tappen in die Mutterfalle, auch wenn sie
zuvor emanzipiert waren."
BZ: Warum funktioniert das nicht?
Tóth: Patchworkfamilien ticken nicht wie biologische Familien. Es gibt Vorgeschichten, Verletzungen, alle Beteiligten tragen einen großen Rucksack voller guter und schlechter Erfahrungen mit sich herum. Das ist nicht vergleichbar mit einem Paar, das sich kinderlos verliebt und dann eine Familie gründet. Die Liebe zweier Partner zueinander wird nicht alles auflösen, wenn es Ex-Partner und Kinder gibt mit all ihren Bedürfnissen und Erwartungen. Die Ex-Partner sitzen in gewisser Weise immer mit am Tisch – und manchmal sogar auf der Bettkante.

BZ: Sie sind selbst zweifache Stiefmutter und haben Ihre Erfahrungen in das Buch einfließen lassen. So ganz objektiv sein können Sie bei diesem Thema also nicht.
Tóth: Nein, das kann ich nicht. Und das möchte ich auch gar nicht. Das Buch ist keine wissenschaftliche Betrachtung, sondern ein Plädoyer dafür, die Rolle von Stiefmüttern neu zu definieren und mehr wertzuschätzen.

BZ: Eine Ihrer Thesen lautet: Die gute Stiefmutter ist die bessere, moderne Mutter. Möchten Sie damit biologische Mütter provozieren?
Tóth: Ich gebe zu: Das ist provokant. Ich argumentiere damit, dass Stiefmütter in Patchworkfamilien befreit sind vom klassischen, traditionellen Bild der guten Mutter. Das sehe ich als sehr großen Vorteil. Das Bild der guten Mutter in unseren Köpfen ist ein altmodisches und überkommenes. Wir projizieren so viel in die Mütter hinein, dass es nicht funktionieren kann. Viele Frauen leiden darunter – und tappen in die Mutterfalle, auch wenn sie zuvor emanzipiert waren. Da gehört viel neu definiert, neu geschrieben.

BZ: Als veraltet sehen Sie auch die Gesetze an, in denen Rechte und Pflichten von Stiefeltern geregelt sind. Was sollte sich ändern?
Tóth: Der Grundpfeiler der Gesetzgebung ist noch immer die klassische Familie mit Versorgerehe. Ich finde, man sollte es von den Kindern aus denken, nicht von der Ehe aus. Eine Kindergrundsicherung wäre da eine Idee, oder statt Geldleistungen beispielsweise kostenlose Kinderbetreuung. Rechtlich ist es immer noch so, dass Stiefeltern, zumal wenn sie nicht mit dem neuen Partner verheiratet sind, nichts entscheiden dürfen, beispielsweise wenn es um eine medizinische Behandlung des Kindes geht. Es gibt in allen Bereichen noch viel Verbesserungsbedarf für Stiefmütter.

BZ: Was schon beim Begriff anfängt.
Tóth: Der Sohn meines Partners hat mich eines Tages ganz ängstlich gefragt, ob ich jetzt seine Stiefmutter sei. Diese Frage stellen viele betroffene Kinder irgendwann. Und ich rate, zu antworten: Nenn mich so, wie du möchtest. Wochenendmama? Beutemama? Oder einfach beim Vornamen? In der öffentlichen Diskussion fände ich es schön, wenn wir uns Frankreich zum Vorbild nehmen. Dort gibt es die "belle mère", ein positiv besetzter Begriff, der sowohl für Schwieger- als auch für Stiefmütter verwendet wird.

In Deutschland gibt es Tóth zufolge etwa eine Million Kinder in Stiefkindfamilien, davon sind etwa zehn Prozent Stiefmutterfamilien. Genaue Statistiken fehlen ihr zufolge, die Million ließe sich aber von aktuellen Forschungen ableiten.

Buchtipp: Barbara Tóth – Stiefmütter: Leben mit Bonuskindern. Residenzverlag Wien, 2018. 128 Seiten. 19 Euro.

ZUR PERSON: Barbara Tóth

Die 43-jährige Österreicherin arbeitet als Historikerin, Buchautorin und politische Journalistin für die Wiener Wochenzeitung "Falter". Sie lebt in Wien und hat sowohl zwei biologische als auch zwei Stiefkinder.
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