Lasst uns über Tierversuche reden
In Tübingen fordern Wissenschaftsministerin Bauer und Forscher anderen Umgang mit dem Thema.
Madeleine Wegner
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Nach Einschätzung des Rektors der Tübinger Universität, Bernd Engler, ist die im Herbst wegen der Tierversuche am Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik entbrannte Debatte um solche Experimente "gegen die Wand gefahren". Zumal sich auch seine Universität zu lange aus der Debatte herausgehalten hätte. Nun hatten Universität und Wissenschaftsministerium im Tübinger Hertie-Institut für klinische Hirnforschung zum Pressegespräch eingeladen, verbunden mit einer Führung durch das Affengehege und die Labore des Werner-Reichardt-Centrums für Integrative Neurowissenschaft (CIN) ein.
Es sollte "ein Termin der Vergewisserung", der Startschuss zu "einer neuen Debattenkultur" sein, wie Wissenschaftsministerin Theresia Bauer sagte. "Es hat mich verblüfft und zugleich ein wenig besorgt, dass die Debatte so stark von der Tierschutzszene getrieben worden ist." CIN-Professor Hans-Peter Thier sieht einen Grund für die derzeitigen Probleme in der Auseinandersetzung um Tierversuche ebenfalls bei fundamentalistisch auftretenden Tierschützern. An dem aktuellen Debakel seien jedoch auch die Wissenschaftler selbst schuld. Im Gegensatz zu anderen Ländern hätten die Forscher in Deutschland so wenig wie möglich über die Notwendigkeit der Tierversuche zu sprechen versucht. Zudem gebe es eine interne Hackordnung: Die Forscher, die an keinerlei Tieren forschen, beäugten schon jene Kollegen, die an Fruchtfliegen arbeiten. Und diese seien ihrerseits froh, keine Mäuse nutzen zu müssen.
Zehn neugierige Weißbüschel-Äffchen schauen zwischen den Käfigstangen hindurch: Sie leben seit Dezember im Affengehege des CIN, hohe Käfige mit mehreren Etagen, Kletterstäben, Hängematten und grünen Blättern. Eines der fünf Paare hat vor wenigen Wochen Nachwuchs bekommen. In einem anderen Käfig sitzen vier der Rhesus-Affen, die bereits Titan-Implantate in den Köpfen haben. Sie wurden mit Obst und Wasser darauf trainiert, freiwillig in den Versuchsstuhl zu steigen. "Das funktioniert ohne Gewalt", versichert der Wissenschaftler Markus Siegel.
Manfred Wolff, der seit Jahren in der Ethikkommission bei Genehmigungsverfahren Tierversuche beurteilt, kritisierte dennoch den Wissenschaftsbetrieb: "Es wird nur veröffentlicht, was an Tierversuchen gelingt. Dabei wäre das, was nicht gelingt, genauso wichtig." Er wünscht sich ein (anonymes) Archiv für solche Negativergebnisse, damit ein bereits gescheitertes Experiment an anderen Tieren nicht noch einmal beantragt würde. Besonders wichtig sei es, für die jeweilige wissenschaftliche Fragestellung auch den passenden Versuchstiertyp zu finden.
Das forderte auch der Tübinger Mediziner Nisar Malek. Gerade in der Krebsforschung gebe es Medikamente, die nur im Tierversuch erprobbar seien: "Bestimmte Immunreaktionen lassen sich nicht in der Petrischale testen." Aber auch da sei genauer abzuwägen. In der Leukämieforschung etwa schienen 95 von 100 Stoffen im Tierversuch erfolgversprechend – im Menschen aber wirkten sie kaum noch. Er und sein Team, so Malek, wollen dafür passendere Versuche entwickeln. Gerade solche Ergebnisse müssten veröffentlicht werden, forderte Thier. Junge Forscher jedoch würden darauf getrimmt, ihre Erfolge in Hochglanz-Wissenschaftsjournalen zu veröffentlichen, während sie vermeintliche Misserfolge unterdrückten, um die gerade begonnene Karriere nicht zu gefährden.
Florian Dehmelt hat zusammen mit anderen jungen Tübinger Wissenschaftlern vor wenigen Wochen "Pro-Test" gründet. Die Initiative setzt sich für Tierversuche ein, will informieren und auch mit Kritikern ins Gespräch kommen. Genau dieses Selbstbewusstsein wünschte Ministerin Bauer den Wissenschaftlern: "Wenn wir auch in 10 oder 20 Jahren nicht ohne Tierversuche auskommen werden, dann sollten wir uns auch offen von dieser Idee verabschieden und das ohne Angst kommunizieren."
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