Interview
Jugendbuchautor Steinhöfel "Kinder, macht den Mund auf!"
Rico und Oskar – so heißen die Protagonisten in den Büchern von Kinder- und Jugendbuchautor Andreas Steinhöfel, die jetzt auch im Kino zu sehen sind. Ein Interview mit ihrem Erschaffer.
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Nein, leicht haben es Rico und Oskar nicht. In Ricos Kopf herrscht vor lauter Tiefbegabtheit häufig Chaos, und sein Freund Oskar ist so ängstlich, dass er meistens nur mit Kopfbedeckung das Haus verlässt. Die beiden Jungs sind die Protagonisten in den Büchern von Kinder- und Jugendbuchautor Andreas Steinhöfel. Ab Donnerstag sind sie mit ihrem dritten Abenteuer auch im Kino zu sehen. Im Gespräch mit BZ-Redakteurin Stephanie Streif erzählt Andreas Steinhöfel, warum es in seinen Büchern keine perfekte Kindheit gibt.
Steinhöfel: Das klingt, als wären meine Geschichten schrecklich, aber das sind sie ja nicht. Ich gehöre nur nicht zu der Sorte Kinderbuchautoren, die die Welt als einen goldenen Ort beschreiben, in dem es keine oder nur kleine Konflikte gibt, die sich in kürzester Zeit wieder in Harmonie auflösen – wie in "Unsere kleine Farm" oder "Die Waltons". Zugegeben, ich mag solche Erzählungen auch und finde es legitim, dass Autoren Kindern die Welt nicht als üblen Ort präsentieren wollen. Aber in meinen Erzählungen nehme ich den Goldglanz dann doch gerne herunter.
BZ: Was bedeutet Kindheit für Sie?
Steinhöfel: Jeden Tag ballern andere Eindrücke auf dich ein und lösen jede Menge Gefühle in dir aus. Kinder müssen lernen, mit diesen Eindrücken und Emotionen klar zu kommen. Dafür benötigen sie einen Schutzraum, in dem sie von Erwachsenen begleitet werden. Kommen Eltern dieser Aufgabe nicht nach, verliert ein Kind sich in diesem emotionalen Raum. Oder es setzt sich in eine Ecke und kommt da – bildhaft gesprochen – nicht mehr raus.
BZ: Schöpfen Sie viel aus Ihrer eigenen Kindheit?
Steinhöfel: Mein Vater war ein brutaler Mensch und hat meinen Bruder und mich häufig verprügelt. Von der mütterlichen Seite gab es aber auch sehr viel Liebe und Zuneigung. Darum habe ich meistens auch sehr positive Mutterfiguren. Erst in meinem vor anderthalb Jahren erschienenen Buch "Anders" verschiebt sich das. Vielleicht liegt das am Älterwerden. Heute weiß ich, dass mein Vater als Kind völlig deformiert wurde. Aber für ein Kind ist der Böse erst einmal böse.
BZ: Ihre Helden sind immer anders als andere Kinder: Rico ist tiefbegabt, wie er sagt, Oskar ist hochbegabt. Und der dicke Elmar in Ihrem Roman "Froschmaul" macht sich mit Plastiktüten voller Süßigkeiten auf die Suche nach echten Freunden. Und "Anders" ist anders, weil gerade aus dem Koma erwacht. Schon mal darüber nachgedacht, über ganz normale Kinder zu schreiben?
Steinhöfel: Normal ist das, was links rein und rechts raus geht. Viele Kinder und Jugendliche empfinden sich übrigens auch nicht als normal. Sich anders zu fühlen, gehört zum Großwerden dazu, denn das ist die Zeit, in der sich Kinder ihrer Individualität bewusst werden. Natürlich spitze ich die Charaktere in meinen Büchern zu – manche Eigenschaften überzeichne ich, andere fahre ich zurück.
BZ: Waren Sie selbst auch Außenseiter?
Steinhöfel: Ja, das lag mit an meinem Schwulsein. Ich war damals vor allem mit Mädchen befreundet. Das war den Jungs natürlich suspekt. Doch dann hat mich mein dummer Sportlehrer im Schwimmunterricht – ich war ein miserabler Schwimmer – zu den Mädchen gesteckt. Das sollte ein Akt tiefster Demütigung sein, ich fühlte mich aber bei den Mädchen pudelwohl. Und für die Jungs war ich ab sofort die Brücke zum anderen Geschlecht: Wer an ein Mädchen herankommen wollte, hat mir die Briefchen zugesteckt. So wohl ich mich fühlte, geoutet habe ich mich trotzdem erst mit 25.
BZ: Sie haben mal gesagt, Sie seien Kinderbuchautor geworden, weil Sie ein schlechtes Kinderbuch gelesen haben. Was war das?
Steinhöfel: Das war ein Mut-mach-Buch, in dem ein Mädchen mit seinen Eltern in Skiurlaub geht, aber panische Angst vor dem Skifahren hat. Es war oben auf dem Berg, allein im Schneesturm. Und dann stand da doch: Sie fasste Mut und fuhr los. Da muss man sich doch fragen, woher nimmt sie den Mut, lag der irgendwo im Gelände herum? Solche Bücher ärgern mich, weil sie Kindern ständig erzählen, wie sie zu sein haben. Kinder dürfen nicht einfach nur lesen, sondern müssen beim Lesen auch noch was lernen. Uns Erwachsene fragt man ja auch nicht, nachdem wir einen Krimi von Håkan Nesser gelesen haben: Na, was über Schweden gelernt?
BZ: Sie haben keine eigenen Kinder. Woher nehmen Sie deren Sprache?
Steinhöfel: Ohren offen halten, dann bekommt man das mit. Kindheit ist auch so archetypisch, da kannst du nicht viel falsch machen, sofern du als Autor noch einen emotionalen Zugriff auf die eigene Kindheit hast. Ich achte allerdings darauf, dass die Sprache nicht zu neumodisch daherkommt. Ich mag es zeitlos. Darum funktionieren ja auch heute noch Bücher wie Bullerbü.
BZ: Ricos Mutter arbeitet in einer Bar, ist aber keine Prostituierte. Wo verläuft für Sie die Grenze zwischen dem, was für Kinder zumutbar ist, und dem, was nicht?
Steinhöfel: Ich sollte es als Autor unterlassen, Kinder zu überfordern. Was Ricos Mutter arbeitet, muss ich als Autor dem Kind erklären. Rico, der Ich-Erzähler, macht das auch, er erzählt Oskar, dass seine Mama hinter und nicht vor der Bar arbeitet und dass sie macht, dass sich die Männer dort wohlfühlen. Mehr sagt er aber auch nicht. Wäre seine Mutter eine Prostituierte, und um ehrlich zu sein, ursprünglich hatte ich sie als ziemlich teures Callgirl angelegt, dann müsste ich viel dezidierter werden. Das wäre dann aber papplangweilig und nicht mehr mein Buch gewesen. Außerdem überträgt ein Kind, wenn man ihm Ricos Mutter als Prostituierte erklärt, das möglicherweise auf seine eigene Mutter und das könnte das Kind überfordern, denn es fällt uns auch noch als Erwachsene schwer, uns die eigenen Eltern als sexuelle Wesen vorzustellen.
BZ: Sie wollen nicht pädagogisieren, packen aber jede Menge Botschaften in Ihre Bücher. Welche sind Ihre wichtigsten?
Steinhöfel: Du hast ein Schicksal, und damit musst du irgendwie klar kommen. Genauso wie mit deinen Defiziten. Mit Oskar zum Beispiel will morgens keiner am Tisch sitzen, wenn er anfängt, Trauben zu pulen. Aber trotz seines Traubenabpellwahns ist er ein prima Kerl, einer, der später vielleicht mal Probleme haben wird. Darum sollte Oskar dringend reden. Auch das ist eine meiner Botschaften: Kinder, macht den Mund auf, sowohl untereinander als auch gegenüber den Großen! Wenn euch etwas nicht passt oder wenn ihr Angst habt, dann müsst ihr das sagen. Und meine Leser verstehen das: Ich bekomme viele Briefe von Kindern, die mir schreiben, weil sie denken: Dann erzähle ich es halt dem Steinhöfel.
Die Geschichte von Rico und Oskar ist noch nicht auserzählt. Es wird einen vierten Teil geben, eine Weihnachtsgeschichte, die im nächsten Jahr erscheinen soll. Außerdem treten Rico und Oskar demnächst in der Sendung mit der Maus auf – als Animationsreihe. Darin bekommen es die beiden mit neuen Kinderfiguren zu tun, wie der hochbegabten Soo-Min oder dem Checker. Wann Rico und Oskar das erste Mal in Zeichentrick zu sehen sein werden, steht noch nicht fest. Weiter arbeitet Steinhöfel, der jüngst zusammen mit Klaus Döring seine eigene kleine Produktionsfirma, die Sad Origami Produktions-GmbH, gegründet hat, an einer Spielfilmserie für das ZDF. Thema: die Flüchtlingsproblematik streng aus Kindersicht.
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