Polizeiberichterstattung
Kein sexueller Übergriff in S-Bahn – Zeuge sagt falsch aus
Von einer sexuellen Belästigung zweier Frauen durch eine Männergruppe in einer S-Bahn hat im Januar die Polizei im Dreiländereck berichtet. Nun stellt sich heraus: Alles war ganz anders.
Di, 16. Feb 2016, 19:18 Uhr
Südwest
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Zutreffend ist demnach nur, dass es ein Wortgefecht zwischen den Frauen und Männern gab. "Die Frauen haben wir relativ schnell ausfindig gemacht. Sie haben nur von einer verbalen Streitigkeit berichtet", stellt Helmut Mutter von der Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein klar. Zwar sei einer der beiden Frauen durch einen Mitreisenden kurzzeitig der Weg verstellt worden. Hinweise auf sexuelle Nötigung, Körperverletzung oder Beleidigungen haben sich aber nicht bestätigt. "Weitere Befragungen und die Auswertung des Überwachungsvideos haben ergeben, dass der Zeuge die Situation falsch wahrgenommen hat", erklärt Iris Janke von der Staatsanwaltschaft Freiburg, Zweigstelle Lörrach. Die Staatsanwaltschaft hatte nach den Angaben des Zeugen ein Verfahren gegen Unbekannt eingeleitet.
"Sicherlich haben auch die Umstände im Januar nach den sexuellen Übergriffen an Frauen in Köln durch Ausländer eine Rolle gespielt", sagt Helmut Mutter in Bezug auf den Fall aus der S-Bahn. Damit hänge eventuell auch die falsche Wahrnehmung und Einschätzung der Situation des Zeugen aus der S-Bahn zusammen. Schließlich, so der Zeugenaufruf der Polizei, seien die Verdächtigen augenscheinlich "südländischer Herkunft" gewesen. Oder hat der Zeuge absichtlich falsch ausgesagt?
Weder Polizei noch Staatsanwaltschaft gehen davon aus. Bundespolizist Helmut Mutter erklärt: "Wir nennen das inoffiziell einen Knallzeugen. Es knallt irgendwo, und der Zeuge dreht sich um, hat die Explosion aber selbst gar nicht gesehen. Er assoziiert, was seiner Meinung nach passiert sein muss." Eine andere Bezeichnung sei ein Zeuge vom Hören-Sagen, der die Tat selbst gar nicht mit eigenen Augen gesehen hat. "In diesem Fall gab es eine lautstarke Auseinandersetzung." Damit habe der Zeuge, der "um die 50 aufwärts" gewesen sei, wohl eine sexuelle Nötigung assoziiert. Einen Vorsatz hinter der falschen Aussage vermutet er nicht, sagt Mutter. "Möglicherweise hat der Zeuge aber ein wenig ausgeschmückt."
Nach einer eingehenden Prüfung sei die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss gekommen, dass der Zeuge keine vorsätzliche Falschaussage gemacht habe, erklärt Iris Janke. "Dafür spricht auch, dass der Zeuge ganz erstaunt reagiert hat, als ihm das Überwachungsvideo vorgespielt wurde und er gesehen hat, was sich tatsächlich abgespielt hat."
Dass absichtlich Falschaussagen getätigt werden, käme in Deutschland nicht oft vor, sagt Iris Janke. Eine Falschaussage ist strafbar. Außerdem gebe es ein etliche Faktoren, um den Wahrheitsgehalt einer Zeugenaussage zu prüfen. Geprüft wird laut Janke die Glaubhaftigkeit der Aussage: Ist das dargestellte Geschehen plausibel? Ist die Aussage widersprüchlich? Ist der Zeuge neutral, oder hat er persönliche Bezüge zu dem Geschehen und den beteiligten Personen?
Im Fall des angeblichen Übergriffs in der S-Bahn Weil hat die Videoauswertung geholfen. In Deutschland sei es zudem nicht – wie in anderen Ländern – der Fall, dass die Glaubwürdigkeit von der Anzahl der Zeugen abhänge: "Wenn einer eine Sache behauptet und fünf andere das Gegenteil, heißt das nicht, dass der eine als schuldig gilt, weil die anderen in der Überzahl sind", erklärt Janke.
Aber hätte sich die Polizei mit der Veröffentlichung der Pressemitteilung und des Zeugenaufrufs nicht zurückhalten sollen, solange noch nicht einmal die vermeintlichen Opfer befragt wurden? Das schnelle Handeln sei korrekt gewesen, sagt Iris Janke. Auch, wenn die angeblichen Opfer noch nicht befragt worden waren und es nur diese eine Zeugenaussage gab. "Wenn so ein Vorwurf im Raum steht, muss die Polizei dem nachgehen. Da ist es vollkommen richtig, wenn sofort eine Pressemitteilung herausgegeben wird." Um weitere Zeugen zu finden, müsse die Polizei so schnell reagieren. "Wenn man da ein paar Tage mit dem Zeugenaufruf wartet, kann es schon zu spät sein", erklärt Helmut Mutter das Vorgehen der Bundespolizei.
In diesem Fall sei es besser, die Polizei habe einmal zu oft ermittelt. "Wenn sich der Vorwurf als falsch herausstellt, umso besser", so Janke. Dennoch sei wichtig, immer sofort die Polizei zu informieren, wenn man eine Straftat vermutet. Gleichzeitig sei es wichtig, dass die Polizei die Öffentlichkeit informiere. Gerade in einer Situation wie im Januar.
- Erstmeldung: Junge Frau von Männergruppe sexuell belästigt
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