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Kann man sich noch nackiger machen?

Schöne neue Welt und wie die Künstler sie sehen: Die Ausstellung "Globale Überwachung und Zensur" im Karlsruher ZKM.  

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Das Handy wird identifiziert, der Fingerabdruck elektronisch erfasst, und wenn man die Speichelprobe zwecks DNS-Abgleich verweigert, geht der Alarm los – willkommen zur Ausstellung "Globale Überwachung und Zensur" im ZKM Karlsruhe. Ein etwas überdeutlicher Einstieg und zumindest der DNS-Abgleich ist auch nur künstlerischer Fake. Glauben die Kuratoren, dass die Generation Smartphone Holzhammerdidaktik braucht, um aus der Spaßblase lustiger Apps aufzutauchen und einen Blick in die Überwachungs- und Steuerungszentralen der Datenströme zu werfen?

Tut man das dann, wird der Anruf zur Mutprobe: Trauen Sie sich, das im ZKM ausgestellte Handy anzuläuten, mit dem NSA-Whistleblower William Binney kontaktiert wurde? Vermutlich wird es überwacht, und Sie werden durch Ihren Anruf in ein sich selbst erweiterndes Überwachungsnetz geraten. Na? Rufen Sie an? Die Nummer ist +49 (0)174 276 6483.

Auf Instagram ist man weltweit lokalisierbar

Nicht wenige werden bei diesem Szenario zurückschrecken. Andererseits haben sie kein Problem damit, sehr persönliche Momente mit dem Smartphone festzuhalten und zusammen mit präziser Angabe von Zeit und Aufenthaltsort in ein öffentlich zugängliches globales Überwachungsnetzwerk einzuspeisen. Die Plattform dafür heißt Instagram und hat über 300 Millionen Nutzer. Wer das sogenannte Geotagging nicht deaktiviert, ist weltweit präzise lokalisierbar. Der Schweizer Künstler Marc Lee hat das erhellend visualisiert. Aus dem Live-Stream aller Instagram-Posts fischt er mit Hashtag "#Me" markierte Fotos und Filmchen heraus und lässt Google Earth in Echtzeit und metergenau in 3-D auf den Standort der Einsender einzoomen.

Kann man sich noch nackiger machen? Klar, indem man auch die Fotos, auf denen man von anderen markiert wurde, seinem Profil hinzufügt. Umgekehrt bedeutet das, dass man selbst kein Smartphone zu besitzen braucht, um im Netz geortet zu werden. Es genügt, auf Fotos von anderen identifiziert zu werden. Ähnliche Funktionen bieten auch andere soziale Medien an.

Für uns mag das ein nettes Gimmick sein. In Ländern wie Afghanistan kann es tödlich enden, wenn auf die Identifizierung die Exekutions-Drohne folgt. Ähnlich wie es für Kaninchen überlebensnotwendig ist, an der überfliegenden Silhouette die Vogelart zu erkennen, ist es für den Menschen im 21. Jahrhundert existenziell geworden, zu erkennen, welche Art von Drohne über ihm schwebt. Will sie nur spionieren, bringt sie die Post oder bombt sie auch? Der holländische Künstler Peter Ruben stellt den Ausstellungsbesuchern visuelles und akustisches Lehrmaterial dazu zur Verfügung.

Vielleicht ist es besser, gar nicht erst sichtbar zu sein. Dazu macht die Ausstellung eine Reihe von Vorschlägen. In Anlehnung an die Guy-Fawkes-Masken der Anonymous-Hacker mischt US-Künstler Zach Blas diverse Gesichtsdaten zur amorphen Maske, die eine biometrische Erfassung am Bildschirm verhindert. Die Koreaner Shin Seung Back und Kim Yong Hun bieten das passende Sensibilisierungstraining dazu: Ihr Spiegel dreht sich weg, wenn man sich selbst darin sehen will, ohne das Gesicht zu verhüllen. Hito Steyerl überführt Monty Pythons Parodie auf militärische Aufklärungsfilme zur Kunst nicht gesehen zu werden ins digitale Zeitalter. Der Humor von Steyerls "How not to be seen"-Lektionen reicht von der Einschrumpfung auf Pixelgröße bis zum Leben als Frau über 50. Nicht nur dieses Witzniveau zeigt, dass die Technosphäre der Überwachung eine Männerdomäne ist. Ausnahmen wie Alicia Framis durchsichtiger Plexiglasbeichtstuhl als Verweis auf die Heuchelei der Kirche wirkt da fast, wie aus der Zeit gefallen.

Heilsgeschichte wird heute anders erzählt. Aus dem Konterfei der Ex-Wikileaks-Ikone Julian Assange hat der kurdische Künstler Sener Özmen einen Gebetsteppich gewebt. Den könnten Gläubige gut vor dem vollständig überwachungssicher ausgestatteten "Edward Snowden Studio" ausrollen, um auf die Ankunft dieses Herrn zu warten. Offiziell eingeladen ist er. Im öffentlichen Museumsraum wäre seine elektronische Privatsphäre gewährleistet. Vielleicht müssen wir uns an solche verwirrenden Kombinationen aus öffentlich, privat, sicher und bedroht gewöhnen. Das passende Outfit dazu liefern die schon erwähnten Koreaner: ein mit Kameras gespickter Anzug, der jederzeit ein 360°-Foto schießen und ins Netz hochladen kann – Abschreckung potenzieller Angreifer durch totale Selbstüberwachung.

Die Überwachungs-Ausstellung ist im 1. Stock des ZKM, über Peter Weibels Infosphäre und unter der Präsentation preisgekrönter Apps. Es lohnt, den Besuch in der Mitte zu beginnen. Geht man dann runter in die Infosphäre, wirkt das wie eine nahtlose Fortsetzung. Geht man rauf zu den Apps, wird es unheimlich. Völlig unbeleckt, von allem, was einen Stock tiefer über Smartphones als willige Helfer der Totalüberwachung und -steuerung nahegelegt wird, werden die Entwickler dort dafür gefeiert, dass sie die Schraube eine Drehung weiterdrehen. Schöne neue Welt.

ZKM, Lorenzstraße 19, Karlsruhe, Lichthof, 1. OG. Bis 1.Mai. Mi–Fr, 10–18 Uhr, Sa–So, 11–18 Uhr.

Ressort: Ausstellungen

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