Gesellschaft

In Vietnam werden viele Mädchen abgetrieben

In kaum einem Land werden so viele Mädchen abgetrieben wie in Vietnam. Der Grund ist, dass männlicher Nachwuchs in dem Land ein höheres Prestige mit sich bringt.  

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Viele Mädchen in Vietnam dürfen gar nicht erst zur Welt kommen.   | Foto: dpa
Viele Mädchen in Vietnam dürfen gar nicht erst zur Welt kommen. Foto: dpa
Forscher warnen vor weitreichenden Folgen für die Gesellschaft: Ein Männerüberschuss wäre gefährlich. Huyen wartet auf einen Satz, der scheinbar harmlos klingt. Die 29-jährige Vietnamesin ist im vierten Monat schwanger. Nun sitzt sie in der Geburtsklinik von Hanoi und fürchtet, dass der Arzt auf das Ultraschallbild schaut und sagt: "Kommt ganz nach der Mutter." Es ist ein Codewort, das für manche das Leben bedeutet und für andere den Tod.

In kaum einem Land der Region werden so viele Föten abgetrieben wie in Vietnam. Laut Gesundheitsministerium kommt auf fünf Geburten eine Abtreibung. Und das ist noch die vorsichtigste Schätzung; Verbände sprechen von bis zu einer Abtreibung pro Geburt. Die weitaus meisten der getöteten Embryonen sind weiblich. Doch Abtreibung nach Geschlecht ist in dem südostasiatischen Staat illegal. Ärzte und Pfleger in Vietnam dürfen das Geschlecht eines Kindes nicht nennen, solange die Frau noch legal abtreiben darf. Deshalb sprechen sie von einem "Vogel", wenn es ein Junge wird, und reden von "Schmetterlingen", wenn sie Mädchen meinen.

Auch Huyen hat zweimal abgetrieben – aus Angst davor, noch ein Mädchen zu gebären. Zwei Töchter hat sie bereits zu Hause. Wie so viele hofft Huyen auf einen Jungen. Einen, der als Stammhalter gilt in einem Land, das bald einen deutlichen Männerüberschuss haben wird.

"Unsere Söhne werden es schwer haben, eine Frau zu finden", prophezeit Khuat Thu Hong, Leiterin des Instituts für gesellschaftliche Entwicklung in der Hauptstadt Hanoi. 2014 wurden pro 100 Mädchen 112,4 Jungen geboren. In manchen Gegenden kommen sogar fünf Jungen auf vier Mädchen.

Nach altem konfuzianischen Brauch sollen Frauen dem Mann gehorsam sein. Dieses Erbe haben zwar viele Frauen in Vietnam hinter sich gelassen – aber nicht alle Männer. Mädchen sind deshalb in der Gesellschaft immer noch weniger wert.

Auch Pham Thu Hien kennt die Ursachen für dieses Phänomen. Sie arbeitet beim UN-Bevölkerungsfonds und praktizierte jahrelang als Frauenärztin. "Einige Männer haben das Gefühl, sie wären keine richtigen Männer, wenn sie keine Söhne zeugen", sagt Hien. Die Schwangeren würden sich nach dem Wunsch der Ehemänner richten und um eine Abtreibung bitten – ohne dabei auf das Geschlecht des Kindes zu verweisen. "Sie behaupten dann, sie seien zu arm." Die vietnamesische Regierung versucht, die Entwicklung aufzuhalten. Die lange gültige Zwei-Kind-Politik für Beamte soll aufgehoben, eigene Versicherungen und Stipendien für Mädchen diskutiert werden.

Als Huyen aus der Praxis kommt, sieht sie bedrückt aus. "Es ist ein Schmetterling, mein Mann wird nicht erfreut sein." Der Arzt hat sie gewarnt, eine dritte Abtreibung könnte ihrem Körper schaden. "Aber ich habe lieber gesundheitliche Probleme als noch ein Mädchen."

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