Immer mehr junge Israelis ziehen eine Haftstrafe der Armee vor
Die drohende Entmachtung des Obersten Gerichts durch die Regierung Netanjahu hat Folgen in Israels Bevölkerung. Viele junge Menschen verweigern den Militärdienst.
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Dieses Tabu brechen Nuri und seine Gleichgesinnten, und sie tun es aus politischen Gründen. "Bevor diese Regierung an die Macht kam, hatte ich den fixen Plan, Marinesoldat zu werden", sagt er. Schon sein Großvater diente in der Marine. "Er war stolz auf mich, weil ich ihm nachfolgen wollte." Als die rechts-religiöse Regierung unter Benjamin Netanjahu ihren Plan zur Entmachtung der Justiz vorlegte, begann Nuri umzudenken. "Ich will mir nicht vorstellen, wie es in ein, zwei Jahren hier aussehen wird", sagt er. "Es wird noch mehr Siedlungen geben, mehr Vertreibungen von Palästinensern. Das macht mir Angst, und ich will kein Teil davon sein."
Nuri beschloss, den Weg der "grauen Verweigerung" zu gehen, wie es unter den Aktivisten der Verweigerungsbewegung Mesarvot genannt wird: Um einer Anklage samt Gefängnisstrafe zu entgehen, erkennt man sich für psychisch beeinträchtigt. In einer Gesellschaft wie der israelischen, in der es angesichts massenhaft vererbter Traumata und ständiger Terrorgefahr schwer ist, psychisch gesund zu bleiben, liegt diese Begründung zumindest nicht fern.
Auch Yahli Agai ist offiziell wegen psychischer Probleme befreit. Als wahren Grund nennt die 18-Jährige die Besatzung des Westjordanlandes und die Unterdrückung der Palästinenser. "Der Justizcoup dieser Regierung ist eine Art Katalysator, der viele Jugendliche aufgeweckt hat. Davor haben zwar auch viele in meiner Altersgruppe gesagt, dass sie gegen die Besatzung sind, aber die Armee haben sie um Großen und Ganzen unterstützt, weil sie unsere Demokratie verteidigt." Heute falle es immer mehr Teenagern schwer, sich damit zu identifizieren.
"Wenn man (den rechtsextremen Politiker, Anm. d. Red.) Itamar Ben Gvir und die Siedler reden hört, dann sagen die doch ganz offen, dass man die Palästinenser im Westjordanland wie Gefangene behandeln soll. Das kann man nicht ignorieren."
Wellen von Kriegsdienstverweigerungen hat es in Israel zwar auch schon in der Vergangenheit gegeben. Sie traten jedoch gehäuft in Zeiten militärischer Eskalationen auf – etwa während der Libanonkriege und im Zuge der Zweiten Intifada. Diesmal scheinen es weniger akute Ängste, sondern grundsätzliche Bedenken zu sein, die ein Umdenken bewirken.
Zivilgesellschaftliche Organisationen wie Mesarvot berichten von einem stärkeren Zulauf. Auch immer mehr Eltern würden sich melden, um sich über mögliche Wege, der Wehrpflicht zu entgehen, zu erkundigen.
Zwar kennt das israelische System auch die legitime Verweigerung aus Gewissensgründen. Es ist aber kein externes Gremium, das diese Gründe anhört, sondern die Armee. Die Quote der Fälle, die als Verweigerung aus Gewissensgründen anerkannt wurden, liegt im einstelligen Bereich. Viele gehen daher den "grauen" Weg – oder riskieren Haftstrafen.
Der 19-jährige Naveh Shabtai Levine musste sechs Mal ins Gefängnis, weil er sich offen als Militärdienstverweigerer deklarierte. "Ich weigere mich, in einer Armee zu dienen, deren Hauptzweck es ist, ein anderes Volk unter Besatzung zu halten", sagt Levine – man merkt, dass er diesen Satz in seinem Leben schon oft wiederholt hat. Insgesamt saß er 115 Tage in der Zelle. Nach der sechsten Verurteilung wurde er schließlich begnadigt. "Heute bin ich offiziell wehrdienstbefreit", sagt er mit einem strahlenden Lächeln. Nun unterstützt er andere Teenager, die diesen Weg erst vor sich haben.
Wer nicht in der Armee dient, muss auch längerfristig Nachteile befürchten. Die Netzwerke, die im Militär geknüpft werden, dienen oft als Fundament für die spätere berufliche Laufbahn. Spezifische Qualifikationen, die man im Militär erwirbt, gelten bei Bewerbungen als Bonus. Und im Lebenslauf fällt der Blick der Personalmanager oft zuerst auf die Einheit, in der man gedient hat. Zwar ist niemand verpflichtet, sie zu nennen. Sollte aus dem Lebenslauf aber hervorgehen, dass man mit 19 Jahren bereits ein Studium begonnen hat, wird das immer wieder zum Nachteil ausgelegt.
Der Entschluss, den Armeedienst zu verweigern, zieht immer wieder familiäre Zerrüttungen nach sich. Nuri hat diesbezüglich Glück, seine Eltern stehen hinter ihm. Selbst sein Großvater hat die Entscheidung seines Enkels, nun doch nicht Marinesoldat zu werden, akzeptiert. "Er hat gesagt, er versteht mich." Anstatt in der Armee einzurücken, möchte Nuri nun anderswo dienen. Wie viele Verweigerer plant auch er, ein Freiwilligenjahr in einer zivilgesellschaftlichen Organisation anzutreten. "Ich will eben auch meinen Beitrag in dieser Gesellschaft leisten."
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