Nachruf
Schriftsteller und Übersetzer Harry Rowohlt gestorben
Harry Rowohlt war Autor, Übersetzer, Sprechkünstler und ein anarchischer Entertainer. Nun ist er mit 70 Jahren in Hamburg gestorben. Ein Nachruf von Bettina Schulte.
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Doch der jüngere Sohn des Verlegers Ernst Rowohlt und Halbbruder von dessen Nachfolger Heinrich Ledig-Rowohlt war weit mehr als jener Stimmkünstler, der die Literatur in Hörbüchern zum akustischen Erlebnis machte: Dem großen Aufklärer Johann Christoph Lichtenberg widmete er sein basslastig kehliges Organ ebenso wie einer ganzen Reihe von Kinder- und Jugendbuchautoren. Freilich: Pädagogisch wertvoll durften deren Bücher nicht sein. Rowohlt hatte einen ausgeprägten Sinn für das freie Fabulieren und die dadaistisch überbordende Lust am Wortspiel, für das Mäandern in Metaphern und das Erfinden hanebüchenen Unsinns. Schräg, skurril, schwarzhumorig, auch derb und drastisch mussten Texte sein, an denen er sich entzündete.
Dass solche vom deutschblütigen Schwersinn befreite Literatur am ehesten bei den traditionell verrückten Engländern zu finden war, traf sich gut: Harry Rowohlt – der dem Verlag, dem er seinen berühmten Namen verdankte, ein Leben lang aus dem Weg ging – war vor allem anderen ein großartiger Übersetzer. Mehr: ein Neuerfinder all des herrlichen, hintersinnigen Quatschs, den seine Figuren verzapften. Als da wären: Pu, natürlich, dieser so herzrührende wie herzerfrischende "Bär von sehr geringem Verstand", den Alan Alexander Milne 1926 für seinen Sohn Christopher erfunden hatte und der bis heute zahllose Kinder erfreut: Er wurde – nicht nur wegen gewisser äußerlicher Ähnlichkeiten – zu Rowohlts Wappentier. Seine zwischen 1996 und 2013 sehr unregelmäßig in der Zeit erschienenen Kolumnen nannte er "Poohs Korner". Oder Eddie Dickens, der elfjährige Held von Philip Ardaghs Romantrilogie "Schlimmes Ende". Oder Mr Gum, der Protagonist von Andy Stantons Kinderbuchreihe. Dass Harry Rowohlt den Underground-Comiczeichner Robert Crumb ebenso übersetzte wie den großen amerikanischen Satiriker Kurt Vonnegut, passt in das von ihm zelebrierte Selbstbild eines wildwüchsigen Zausels, der von den Rändern her der wohlanständigen bürgerlichen Gesellschaft ihr unterdrücktes anarchisches Potenzial unter die Nase reibt – ganz besonders in der steifen Reederstadt Hamburg, in der er am 27. März 1945, in den letzten Kriegswochen, geboren wurde und die er nie verlassen hat.
Sein literarischer Hausgott aber war, wen sollte es wundern, der irische Schriftsteller Flann O’Brien, der nicht nur als Erfinder des postmodernen Romans, sondern auch des multilingualen, antinationalistischen Humors gilt und deshalb im Irland der 50er Jahre angefeindet wurde. So weit ließ es Harry Rowohlt nie kommen. Er begnügte sich damit, in der Endlosserie "Die Lindenstraße" mit Selbstironie einen Obdachlosen zu spielen – welche Rolle hätte besser zu ihm gepasst – und sich ein kindliches Gemüt zu bewahren. Unvergessen bleibt womöglich seine grandiose Übersetzung von Frank McCourts ergreifender Familiengeschichte "Die Asche meiner Mutter". Zum Weinen schön. Gestern ist Harry Rowohlt im Alter von 70 Jahren gestorben. Sein Talent gehört zu den seltenen in diesem Land. Er hat es freigiebig verschenkt. Danke, Harry.
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