Gefährliche Gäste am Nordpolarmeer
Mehr als 50 Eisbären haben eine russische Siedlung überfallen – das könnte in Zukunft öfter passieren, warnen Forscher.
Christian Thiele (dpa)
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MOSKAU. Am Polarkreis gibt es in diesem Winter weniger Eis. Die Eisbären suchen deshalb an Land nach Futter. Die Menschen im Norden Russlands sind verängstigt – und aufgrund des Klimawandels werden Begegnungen zwischen Menschen und Eisbären sicherlich zunehmen.
Mittlerweile werden die Tiere mit Patrouillen und Technik, die Geräusche macht, verscheucht. Das Vorgehen scheint zu klappen, die Bären seien weniger geworden. Die Behörden wollen zudem längerfristige Abwehrmethoden in Angriff nehmen. "Neue Bären lassen sich vom Lärm gut vergrämen. Sie gewöhnen sich aber auch daran", sagt Eisbärenexpertin Sybille Klenzendorf von der Umweltschutzorganisation WWF. Leuchtraketen, Pfefferspray oder Elektrozäune sind nach ihren Angaben ebenso wirksam. Dörfer müssten nun mit Zäunen und Barrieren gesichert werden. Wichtig sei es auch, Abfall zu beseitigen und Müllhalden einzuzäunen. Behördenvertreter Schiganscha Mussin sagte der Agentur Interfax: "Bis 2020 planen wir, alle Mülldeponien vollständig zu beseitigen und eine Verbrennungsanlage zu bauen."
Der Abschuss der Eisbären ist erst einmal nicht geplant. Die Tiere gehören zu den gefährdeten Arten. Es sei möglich, sie zu betäuben und per Flugzeug zum Eis zu fliegen, sagt Klenzendorf. Das sei aber teuer. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie alle Eisbären ausfliegen werden." Wie viele rund um Nowaja Semlja leben, sei unklar. "Dort ist militärisches Sperrgebiet. Es gibt seit 2004 keine wissenschaftlichen Erhebungen mehr." Klar ist hingegen: "Eisbären sind gefährlich. Sie sind die größten Landraubtiere und unberechenbar", weiß Klenzendorf, die seit Jahren die russischen Bären im Blick hat. Die Tiere auf Nowaja Semlja hätten sich an den Menschen gewöhnt und gelernt, dass sie in Mülleimern in Häusern Futter fänden. "Wenn sich 400 Kilogramm Gewicht gegen eine verschlossene Tür lehnen, dann öffnet sie sich auch mal."
Es sei in der Vergangenheit immer mal wieder vorgekommen, dass Eisbären nicht mehr in der Wildnis, sondern auf Müllhalden nach Futter gesucht hätten, sagt der Meeresökologe Hauke Flores vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. "Dass es aber vermehrt solche Fälle gibt, hängt stark mit dem Klimawandel zusammen." So werde der Zugang zum Futter für die Eisbären immer schwieriger. Vor gut zehn Jahren sei das Wasser im Winter um die Doppelinsel herum noch zugefroren gewesen. "Da konnten die Bären noch gut auf dem Eis herumspazieren." Nun gebe es im Winter keine dauerhafte Eisdecke mehr – problematisch für die Raubtiere.
Die weißen Bären benötigten Packeis, um überhaupt Robben fangen zu können, sagt Klenzendorf. Ohne Eisschollen kämen sie nicht an die Säugetiere heran, von denen sie sich hauptsächlich ernähren. "Eisbären fressen zuerst das Fett der Tiere. Ihre Hauptnahrungszeit ist von November bis Juni." Weil um Nowaja Semlja das Eis fehle und die Bären hungrig seien, ziehe es sie zu den Siedlungen. "Eisbären haben eine supergute Nase. Sie können Nahrung in einer Entfernung von bis zu 30 Kilometern riechen."
Die Umweltschützer vom WWF sind besorgt. In den vergangenen 40 Jahren sei in der Artkis die sechsfache Fläche Deutschlands verloren gegangen. Laut Prognosen wird sie ab 2050 im Sommer eisfrei sein. Das führe zu Konflikten zwischen Eisbären und Menschen. Nicht nur im Norden Russland sei es schon dazu gekommen – auch in Grönland, Kanada und in Alaska.
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