Interview
Freiburger Arbeitsagentur: "Keine Gefahr einer neuen Massenarbeitslosigkeit"
Ein Wirtschaftsaufschwung ist nicht in Sicht – dafür häufen sich Meldungen über Stellenabbau. Alexander Merk, Chef der Freiburger Arbeitsagentur, erklärt, warum es dennoch Grund zur Gelassenheit gibt.
So, 12. Jan 2025, 10:00 Uhr
Wirtschaft
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
BZ: Herr Merk, 2025 dürfte Baden-Württembergs Wirtschaftsleistung laut Ökonomen das dritte Jahr infolge schrumpfen. Müssen sich die Menschen in Südbaden jetzt ernsthafte Sorgen machen um ihre Arbeitsplätze?
Nein, die allermeisten nicht. Wir sind nach wie vor weit entfernt von der Massenarbeitslosigkeit, die es Anfang der 2000er-Jahre gab – und werden es in absehbarer Zeit bleiben. Wir sehen trotz der anhaltenden Konjunkturflaute und trotz des Strukturwandels der Wirtschaft keine Gefahr einer neuen Massenarbeitslosigkeit.
BZ: Aber die Zahl der Arbeitslosen steigt auch hier in der Region.
Ja, aber moderat. Im Arbeitsagenturbezirk Freiburg, wozu die Stadt Freiburg sowie die Kreise Emmendingen und Breisgau-Hochschwarzwald zählen, ist die Arbeitslosenquote innerhalb eines Jahres um 0,3 Punkte auf 4,0 Prozent gestiegen. Angesichts der vielen Krisen ist das nicht dramatisch. Vor 20 Jahren, als die Hartz-IV-Reform in Kraft trat, waren 6,8 Prozent arbeitslos.
BZ: Sie wirken in diesen hektischen Zeiten recht entspannt, Herr Merk.
Ja, zumal noch nie so viele Menschen beschäftigt waren wie derzeit. In keinem anderen Agenturbezirk in Baden-Württemberg ist die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung innerhalb der vergangenen zwölf Monate so stark gestiegen wie hier bei uns: um 1,5 Prozent. Es sind gut 4200 Beschäftigte dazugekommen. Zur Wahrheit gehört zwar, dass dieser Zuwachs zu 60 Prozent über Teilzeitarbeitsplätze erfolgte. Dennoch ist das ein Erfolg in Zeiten ohne Wirtschaftswachstum. Bemerkenswert ist auch, dass zwei Drittel der zusätzlichen Beschäftigten keinen deutschen Pass haben. Das sind sowohl Menschen, die schon länger hier sind, aber bisher dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden haben, als auch Menschen, die erst vor Kurzem hierherkamen.
BZ: Liegt es also an der Zuwanderung, dass derzeit gleichzeitig Arbeitslosigkeit und Beschäftigung steigen? Weil es insgesamt mehr Menschen gibt?
Ja, die Zuwanderung ist aber nicht die einzige Erklärung dafür. Manche Betriebe in Branchen, die gerade leiden wie die Industrie und die Bauwirtschaft, trennen sich von Mitarbeitern. Deshalb steigt die Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig nehmen Menschen in anderen Branchen, in denen weiter viele Mitarbeiter gesucht werden, eine Arbeit auf, die vorher dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung standen, die also weder eine Arbeit hatten noch arbeitslos waren. Insgesamt lässt sich von einem zweigeteilten Arbeitsmarkt sprechen. Neben dem medial stark begleiteten Stellenabbau etwa im Verarbeitenden Gewerbe läuft der Stellenaufbau im Dienstleistungssektor weiter – etwa in den Bereichen Erziehung, Gesundheit, öffentliche Verwaltung und in Teilen des Handwerks. Dort ist die Nachfrage nach neuen Arbeitskräften ungebrochen hoch. Weil in unserem Agenturbezirk der Dienstleistungssektor dominanter ist als anderswo in Baden-Württemberg und es nicht so viele große Industriebetriebe gibt, sieht es derzeit bei uns besser aus – der Beschäftigungszuwachs läuft schneller und der Anstieg der Arbeitslosigkeit langsamer.
BZ: Dies wird jene Menschen kaum trösten, die keine Arbeit haben, aber gern eine hätten. Ist es für sie heute schwieriger, in Beschäftigung zu kommen als während eines Wirtschaftsbooms?
Ja. Das gilt vor allem für Menschen, die Kinder erziehen, für Ältere, für gesundheitlich eingeschränkte Menschen und für Menschen mit Behinderung. Sie brauchen im Schnitt wesentlich länger, um in Arbeit zu kommen. Das gilt besonders für Ungelernte. Für sie gibt es aber eine überzeugende Antwort: Qualifizierung. Wir können sowohl sie als auch Arbeitgeber finanziell dabei unterstützen. Wenn es zum Beispiel in einem Industriebetrieb viele Un- und Angelernte gibt, und das Unternehmen stellt jetzt die Produktion auf kompliziertere Produkte und Tätigkeiten um, helfen wir dabei, die Menschen dafür fit zu machen.
BZ: Aber auch Sie können nicht in einem Jahr aus einem Zerspaner einen Kindergärtner machen.
Das nicht, weil das ja Berufsabschlüsse sind. Aber in den Kitas zum Beispiel gibt es interessante Möglichkeiten für Quereinsteiger. Diese qualifizieren wir in einem Stufenmodell. Am Ende kann der Abschluss als Erzieher stehen.
BZ: Während der Finanzkrise vor anderthalb Jahrzehnten half massenhaft Kurzarbeit, um eine heftige, aber kurze Rezession durchzustehen. Ist Kurzarbeit heute nicht die falsche Medizin mitten im Strukturwandel? Jetzt droht ja die Gefahr, dass die nötige Transformation der Wirtschaft eher gebremst wird und Jobs konserviert werden, die keine Zukunft haben.
Diese Gefahr besteht immer. Wenn man die Kurzarbeit nicht nur dazu nutzt, um Fachkräfte zu halten, sondern auch und gerade, um in dieser Zeit Un- und Angelernte zu qualifizieren, dann ist sie auch jetzt sinnvoll.
BZ: Falls bald viele syrische Flüchtlinge nach Hause gingen, um ihre Heimat wiederaufzubauen – was bedeutet das für den hiesigen Arbeitsmarkt?
In zahlreichen Branchen wie der Pflege wird es schwierig, Ersatz zu finden.
Wirtschaft in Südbaden: Wo bleibt nur der Aufschwung?
BZ: Falls hoffentlich irgendwann mal wieder ein Wirtschaftsaufschwung um die Ecke kommt, hat Südbaden überhaupt genügend Arbeitskräfte, diesen zu stemmen?
Nein, selbst mit größten Anstrengungen bei Vermittlung und Qualifizierung nicht. Das wird ohne eine verstärkte Zuwanderung aus Drittstaaten nicht gehen.
Alexander Merk (57) stammt aus Freiburg und ist seit anderthalb Jahren Geschäftsführer der hiesigen Arbeitsagentur. Zuvor war er Chef des Freiburger Jobcenters.
Kommentare (1)
Um Artikel auf BZ-Online kommentieren zu können müssen Sie bei "Meine BZ" angemeldet sein.
Beachten Sie bitte unsere Diskussionsregeln, die Netiquette.
Sie haben noch keinen "Meine BZ" Account? Jetzt registrieren