Schweizer Erfindung
Feiern mit Stampfen und Dampfen: 150 Jahre Bergbahnen in Europa
Statt mühsam den Berg hinaufzuwandern, träumte ein Mechaniker in der Schweiz im 19. Jahrhundert von einer bequemen Zugfahrt. Nur wie überwindet man 1000 Höhenmeter? Er erfand eine Zahnradbahn.
Christiane Oelrich
Fr, 21. Mai 2021, 12:30 Uhr
Panorama
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Die Zahnradbahn gilt als Weltsensation. Der Tourismus blüht auf, schon drei Jahre später befördert die Bahn 50 000 Gäste im Jahr. Die Region um das Bergmassiv Rigi wird zur Sommerfrische par excellence für wohlhabende Europäerinnen und Europäer. Zu dieser Zeit ist auch schon die Dampflok 7, schweizerdeutsch: "S Sibni", unterwegs, die den Kurswaggon mit Passagieren schnaufend und zischend bergan schiebt.
Die Lok 7 ist nur zwei Jahre jünger als die Strecke. Sie hatte ihre Jungfernfahrt 1873. Dieses Juwel aus dem Verkehrsmuseum Luzern ist jetzt wieder flott gemacht worden. Es ist die einzige noch fahrende Zahnraddampflok der Welt. Ihr Einsatz ist vor allem Martin Horath zu verdanken. Der Lokomotivführer leitet das Depot in Goldau am Fuß der Rigi, wo die Lok 7 restauriert worden ist.
Vor allem Stress sei das, sagt der Mittfünfziger, dafür zu sorgen, dass die "Sibni" wie am Schnürchen läuft. Aber der Stolz ist ihm ins Gesicht geschrieben. Er steht im Führerstand und schaufelt Kohle ein, füllt den Wassertank und zieht auf einer Testtour bei jedem Stop Schrauben an und füllt Maschinenöl nach. Dann wienert er das glänzende Metall mit einem Lappen sauber.
Der Dampfsound versetzt viele Testfahrtteilnehmer in Entzücken. Der rhythmische Auspuffschlag, das Stampfen, Dampfen und Pfeifen versetzt akustisch in vergangene Zeiten.
Wie kann eine Bahn auf möglichst geradem Weg eine Steigung von 25 Prozent überwinden? Diese Frage treibt den Mechaniker Niklaus Riggenbach um, der 1817 als Sohn Schweizer Auswanderer im Elsass zur Welt gekommen war. Er wird in Karlsruhe Lokomotivbauer und steht als Betriebschef einer Schweizer Bahn später vor diesem Problem. Er macht eine "missliche Erfahrung", wie er in seinen Erinnerungen schreibt. "Bei der starken Steigung (...) kann das Gleiten der Räder auf Schienen selbst durch das Streuen von Sand nicht immer behoben werden. Um diesem Übelstand abzuhelfen, sann ich auf allerlei Mittel und kam dabei auf den Gedanken, dass eine Abhilfe nur zu erlangen sei mittels einer Zahnstange, in die ein Zahnrad eingreift."
Die Sache mit dem Zahnrad haben schon andere ausprobiert: John Blenkinsop befördert mit einer Zahnrad-Dampflok 1812 Kohle in einer Grube in England. In den USA wird 1869 eine Zahnradbahn von Sylvester Marsh am Mount Washington in New Hampshire eröffnet.
Aber Riggenbach erfindet sein eigenes System: eine Zahnstange wie eine Leiter. Sie liegt zwischen den Schienen für die Räder, mit Zähnen, die nach unten breiter werden. Unter Lok und Waggons ist ein großes Zahnrad angebracht, das in die Zähne greift. Er lässt sich das System 1863 patentieren. Ein paar Jahre dauert es noch, bis er Geld, Expertise und Lizenz hat, um die erste Bergbahn Europas zu bauen. Nach zwei Jahren Bauzeit nimmt die Rigibahn 1871 den Betrieb auf.
Sie überwindet zwischen Vitznau (435 Meter über Meer) und Rigi Staffelhöhe auf fünf Kilometern gut 1000 Höhenmeter. Zwei Jahre später wird das letzte Stück Strecke bis Rigi Kulm fertig. Schon zwei weitere Jahre später wird eine weitere Zahnradbahn von Arth-Goldau auf der anderen Seite der Rigi auf den Gipfel gebaut.
Die Zahnstangen, die Riggenbachs Ingenieure damals verlegten, sind noch heute in Betrieb. Wenn die Zähne locker werden oder das Material sich abschleift, wird nachgebessert – alles unter Martin Horaths strengem Blick. Mit meisterlicher Pflege können sie weitere 150 Jahre dienen, ist er überzeugt. Die Strecke von Goldau nach Rigi Kulm ist 8,6 Kilometer lang. Wenn es die Zahnstangen nicht gäbe, müsste die Bahntrasse 70 Kilometer lang sein, um die gut 1000 Meter Steigung zu überwinden. Zwischen den Schienen liegen 86 000 Zähne.
Kommentare
Liebe Leserinnen und Leser,
leider können Artikel, die älter als sechs Monate sind, nicht mehr kommentiert werden.
Die Kommentarfunktion dieses Artikels ist geschlossen.
Viele Grüße von Ihrer BZ