Es reicht schon, hier oben aufs Klo zu gehen
Sebastian Lehmann
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Ich gehe erst mal zur Bar, bestelle einen großen Drink - die sind alle groß hier oben und stark. Am größten und stärksten ist der Long Island Ice Tea, und so einen bestelle ich mir. Weil es Donnerstag ist und noch vor neun Uhr abends, bekomme ich netterweise gleich zwei Drinks zum Preis von einem. Als der schwarz gekleidete Barkeeper die riesigen Gläser vor mir auf den Tisch stellt, ist mir schon klar, dass ich diesen Abend nicht unbeschadet überstehen werde. Noch ist nicht viel los. Aus dem Hintergrund klingt der Jackie-Brown-Soundtrack. Gepflegt unterhält man sich über die wesentlichen Dinge im Leben, über die Zukunft. Alles scheint klar und deutlich und gar nicht so schwer und ungewiss wie gerade noch unten auf der Straße. Hier oben hat man ja Abstand. Ich schaue aus den großen Fenstern hinab, sehe die Straßen rund um den Bahnhof, vereinzelt gehen kleine Menschen, Taxis fahren vorbei. Ich sehe den Schlossberg, das Münster, die Innenstadt. Alles sieht ein bisschen anders aus von hier oben. Als ob man mit dem, was da unten passiert, gar nichts zu tun hätte.
Irgendwann viel später, mein Zeitgefühl haben mir die Long Island Ice Teas geraubt, gehe ich noch weiter nach oben, in die zweite Etage des Kagan, wo die Tanzfläche liegt. Es ist voll. Zur Black Music kann man sich kaum bewegen, aber das muss ja auch nicht sein. Ich schaue lieber all den schönen, gestylten, coolen Menschen zu, die sich vor mir auf der Tanzfläche drängen. Ich kann sie gut erkennen, denn es ist gar nicht dunkel: die Fliesenlegertöchter, die BWL-Studenten. Sie haben ihren Spaß - und ich auch. Es reicht schon, hier oben aufs Klo zu gehen, dabei die Straßen unter sich zu beobachten und danach die Hände zu waschen und mit den Samttüchern aus den Spendern zu trocknen.
Ich steige in den Aufzug und komme unten wieder in der Realität an. Ich nehme meine Jacke und bemerke, dass es angefangen hat zu regnen. Trotzdem zittern am Einlass immer noch die Wartenden in der Kälte. Sie wollen auch mal nach oben in das schöne, cremefarbene Kagan mit den schönen Menschen, zu denen ich zumindest diese Nacht auch gehörte.
Kommentare
Liebe Leserinnen und Leser,
leider können Artikel, die älter als sechs Monate sind, nicht mehr kommentiert werden.
Die Kommentarfunktion dieses Artikels ist geschlossen.
Viele Grüße von Ihrer BZ