Es gibt nur Verlierer
Die Schriftstellervereinigung PEN hat sich im Streit um den zurückgetretenen Präsidenten Deniz Yücel selbst zerlegt.
Annett Gehler
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In der Aussprache am Samstag war von "toxischer Männlichkeit" und "einer Riege alter westdeutscher Herren" die Rede, die persönliche Eitelkeiten vor die politische Wirksamkeit des Vereins stellten. Einige PEN-Mitglieder dachten laut über einen Austritt nach.
Die Schriftstellerin Julia Franck sprach von einem "Höllenspektakel" in Gotha und Gefechten, an denen sie sich nicht beteiligen wolle. Ihre Kollegin Thea Dorn sagte, für sie mache ein Verbleib im PEN nur Sinn, wenn sich die Vereinigung radikal neu aufstelle. PEN-Mitglied Herbert Wiesner mahnte: "Wir brauchen einen Neuanfang mit jüngeren Leuten nach diesem Desaster, wir steuern ins Nirwana."
Was war passiert? Erst im Oktober hatte der PEN die Führungsriege mit dem Journalisten Yücel an der Spitze gewählt. Keine sieben Monate später hatte sich das Präsidium im Streit selbst zerlegt. Im Kern ging es um den Führungsstil, Mobbingvorwürfe, Beleidigungen und Umgangston. Stein des Anstoßes war ein an Dritte weitergeleiteter umfassender interner Mailverkehr. Der 48-jährige Yücel entging daraufhin am Freitagabend in Gotha nur knapp einer Abwahl, schmiss danach aber dennoch zornig hin, weil er keine "prominente Galionsfigur einer Bratwurstbude" sein wolle. Zugleich verkündete der Journalist, der ein Jahr wegen angeblicher Terrorpropaganda in türkischer Untersuchungshaft saß, seinen Austritt aus der Schriftstellervereinigung.
Das PEN-Zentrum Deutschland hat nach eigenen Angaben 770 Mitglieder und ist eine der weltweit mehr als 140 Schriftstellervereinigungen, die im internationalen PEN vereint sind. Die drei Buchstaben stehen für die Wörter Poets, Essayists und Novelists. PEN gilt weltweit als Stimme verfolgter und unterdrückter Autoren. In Gotha sprachen die Mitglieder nur über eins: sich selbst – und das in einem teils unversöhnlichen und giftigen Ton, in dem sich die Lager einander nichts schenkten. Der Streit offenbarte nicht nur ein tiefes Zerwürfnis, sondern auch ein Ringen um die Ausrichtung von PEN. Yücel sprach nach seinem Rücktritt von einer Diskrepanz zwischen der PEN-Vergangenheit mit großen Namen und der Gegenwart, in der "Selbstdarsteller und Wichtigtuer" den Verein als Bühne missbrauchten und für die verfolgte Autoren nur Beiwerk seien.
Um den Weg für einen Neuanfang frei zu machen, war am Samstag in Gotha dann das komplette noch verbliebene Präsidium zurückgetreten. Als Übergangspräsident wurde mit großer Mehrheit der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger (66) gewählt, der schon 2013 bis 2017 dem Verband vorstand. Er soll bis zur Wahl einer neuen Führungsriege auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung spätestens im Herbst die Schriftstellervereinigung führen. Einigkeit herrschte nach dem Desaster in Gotha bei allen in einem Punkt: Es gibt nur Verlierer.
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