Eine laut hörbare Stimme aus dem Osten
Werner Schulz war prominenter DDR-Bürgerrechtler und Grünen-Politiker mit Rückgrat und Sturheit / Er starb in Berlin.
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Der Grüne konnte hart sein, wenn er von seiner Sache überzeugt war. Am 1. Juli 2005 stellte der damalige, von einer rot-grünen Mehrheit gestützte Kanzler Gerhard Schröder (SPD) im Bundestag die Vertrauensfrage. Er wollte sich gezielt das Misstrauen aussprechen lassen, um eine Neuwahl zu erreichen. Nach der Aussprache im Plenum gab Schulz eine "mündliche Erklärung" ab. Sie wird später vom Rhetorik-Seminar der Universität Tübingen zur Rede des Jahres 2005 gewählt werden. Schulz nannte Schröders Vorgehen skandalös. Seine Erklärung war messerscharf. Er sprach von einem "inszenierten, einem absurden Geschehen". Schröder schleuderte er entgegen: "Sie beugen unsere Verfassung, wenn Sie mit Hinweis auf das Grundgesetz ein Referendum über die EU-Verfassung verwehren und im nächsten Moment durch Selbstauflösung des Bundestages eine Volksabstimmung über die Fortsetzung Ihrer Politik herbeiführen wollen. Sie haben geschworen, das Grundgesetz zu wahren und zu verteidigen."
Die Rede wurde als mutig gefeiert. Schulz aber wusste besser, was Mut war. Er hatte in der DDR gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns die Stimme erhoben. Als er gegen den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan protestierte, wurde ihm von seiner Berliner Universität unmittelbar vor der Abgabe seiner Dissertation gekündigt. Seit den 70er-Jahren hatte er sich in der DDR-Friedens- und Menschenrechtsbewegung engagiert. Er wusste, dass es zwar Rückgrat, aber keinen Mut erforderte, in einem frei gewählten Parlament wie dem des wiedervereinigten Deutschlands für seine Meinung einzustehen.
Als sich der Umbruch in der DDR anbahnte, engagierte sich Schulz zunächst im Neuen Forum, das er am Runden Tisch vertrat. In der ersten freien Volkskammer zog als Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen ein, wurde einer der drei Sprecher. Von 1990 bis 1994 war er auch einer der Sprecher der Bundestagsgruppe von Bündnis90/Grüne, die nur durch den Erfolg in Ostdeutschland den Einzug ins Parlament schafften. Schulz wurde in der folgenden Wahlperiode Parlamentarischer Geschäftsführer. Als ab 1998 die Grünen zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik an der Regierung beteiligt waren, wäre Schulz gerne Fraktionschef geworden. Joschka Fischer hat das verhindert. Er suchte, wie Schulz einmal spöttisch bemerkte, wohl er eher "einen Regierungssprecher als einen Fraktionssprecher". Tatsächlich wollte Fischer einen weniger unabhängigen Kopf.
Schulz blieb bis 2005 eine laut hörbare Stimme aus dem Osten und des Ostens im Bundestag, erklärte die ostdeutschen Sorgen und Anliegen, forderte unermüdlich die Aufarbeitung der SED-Diktatur, mahnte, kritisierte, spornte an. Immer eigenständig, oft störrisch, nie meinungslos und stets auf Dialog bedacht.
Am Mittwoch starb Werner Schulz, während einer Veranstaltung im Schloss Bellevue zum 9. November. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier informierte die Teilnehmer. Das Bundespräsidialamt beendete die Veranstaltung vorzeitig. Dem Vernehmen nach brach Schulz am Rande der Tagung zusammen. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, der Arzt ist, versuchte demnach noch, den Grünen-Politiker zu reanimieren. Dies gelang jedoch nicht. Schulz wurde 72 Jahre alt.
