"Ein Lehrer ist täglich auf der Bühne"
BZ-INTERVIEW: Die Freiburger Musikermediziner Claudia Spahn und Bernhard Richter zum Thema Stimme/.
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Wer an seine Lehrer denkt, denkt oft auch an ihre Stimme. Doch diese ist täglich hohen Anforderungen ausgesetzt. Weshalb sie beim 6. Freiburger Stimmforum im Mittelpunkt steht. Die Veranstalter, die Leiter des Freiburger Instituts für Musikermedizin, Claudia Spahn und Bernhard Richter, sprechen über ihre Forschungsergebnisse im Hinblick auf die Lehrergesundheit.
Richter: Ja, aber nicht unbedingt in Richtung einer Professionalisierung im Sinne einer künstlerischen Ausdrucksstimme. Man kann an jeder Sprechstimme sinnvoll arbeiten, man kann jedes Individuum schulen. Im Moment ist es ein Manko der Ausbildung, dass die Erziehung der Stimme zu wenig stattfindet.
Spahn: Die Frage berührt einen ganz wichtigen Punkt. Die Lehrerstimme bedürfte nämlich einer eigenen Definition. Sie ist keine "private" Stimme, aber auch nicht der eines Rundfunksprechers oder Schauspielers vergleichbar. Der Lehrer ist jeden Tag auf einer Bühne, trotzdem ist er kein Bühnenkünstler. Ich glaube nicht, dass das allen Lehrern so bewusst ist.
Richter: Studien zeigen übrigens, dass Schüler mehr lernen bei Lehrern mit guten Stimmen als mit schlechten Stimmen. Stimmschulung muss also in zwei Richtungen gehen: Einmal – wie komme ich als Lehrer besser mit meiner Stimme zurecht im Sinne von stimmlicher, von mentaler Gesundheit. Und wie kann die Stimme als Transportmedium für einen guten Unterricht optimal vorbereitet werden.
BZ: Die Sprecherziehung während meines Lehramtsstudiums sah so aus: Ich durfte aus dem "Kleinen Hey" (um 1900 entstandenes Lehrbuch mit Sprechübungen, Anm. d. Red.) und aus epischen und dramatischen Texten rezitieren. Welche Anforderungen müssen wir an eine Sprecherziehung im Hinblick auf die Aufgaben, die Lehrer erwarten, stellen? Und was ist davon bereits umgesetzt?
Spahn: Das ist der springende Punkt. Darauf zielen wir ganz speziell in unserem Projekt ab. Wir haben ein Programm entwickelt, welches in den vergangenen eineinhalb Jahren eine Gruppe von 150 Referendaren aller Schularten von uns bekommen hat. Dazu gibt es eine Vergleichsgruppe in gleicher Größe, die das Programm nicht bekommen hat. Der Vergleich zeigte am Ende des Referendariats , dass die Intervention sich auf die Stimmbelastungsfähigkeit positiv ausgewirkt hat. Die Ergebnisse sind signifikant – bei der stimmlichen Leistungsfähigkeit wie auch Belastbarkeit. Außerdem profitieren die Teilnehmer auch in ihrem psychischen Befinden. Wer sich positiv mit seiner eigenen Stimme auseinandersetzt, mit der Stimme gut umgehen kann, sich damit wohlfühlt, gehört zum Typ Lehrer, der gute Chancen hat, auch psychisch gesund zu bleiben.
BZ: "Mens sana in voce sana" – gesunder Geist dank gesunder Stimme?
Richter: (lacht) Genau. Also – die Stimme ist definitiv ein wichtiger Ausbildungsinhalt.
BZ: Wie hat man sich die Inhalte dieses Programms vorzustellen?
Richter: Ganz einfach: Wenn man Stimmtraining für Lehrkräfte macht, muss man die Stimmen der Lehrkräfte trainieren. Da geht es um die Anforderungen Tragfähigkeit, Lautstärke, Dynamik, Modulationsfähigkeit. All diese Anforderungen flossen intensiv in die Vorbereitung unseres Programms ein. Jede Studieneinheit umfasst 90 Minuten – all das liegt in Handbuchform vor. Also ein Manual zur Durchführung des Stimmtrainings bei Lehrkräften.
Spahn: Entscheidend sind die Kurzübungen, die effektiv sind und die man in den Berufsalltag einbauen kann – in der Pause, auf dem Weg zur Arbeit, ja sogar während des Unterrichts.
BZ: Aber in den aktuellen Curricula zur Lehrerausbildung findet sich davon derzeit noch wenig?
Richter: So ist es. Es findet aber bei allen, die an den Ausbildungsplänen beteiligt sind, großen Anklang. Denn: In der einschlägigen Literatur steht, dass die Hälfte aller Lehrer Stimmprobleme hat. Wenn man davon ausgeht, dass das Land Baden-Württemberg auch nach den angekündigten Einsparungen noch über 100 000 Lehrkräfte haben wird und davon 50 Prozent Stimmprobleme haben, dann lassen sich durch eine Modellrechnung aufgrund bestimmter Parameter Kosten in einer Höhe von etwa 30 Millionen Euro beziffern: verursacht durch Vertretung, Ersatz, Krankenbehandlung. Durch eine präventive Maßnahme, vermuten wir, ließen sich mittelfristig zehn Prozent dieser Kosten einsparen.
BZ: Lassen sich die Übungen auch in Eigeninitiative machen?
Spahn: Müssen Sie sogar. Die Übungen tragen nur, wenn sie in den Alltag der Lehrer übergehen. Aber dazu bedarf es zwingend der Anleitung. Es müssen ja auch Korrekturen stattfinden.
BZ: Jeder zweite Lehrer hat Stimmprobleme, eine enorm hohe Zahl. Welche Krankheitssymptome tauchen denn am häufigsten auf?
Richter: Ähnlich wie bei den Musikern sind es vor allem Überlastungsprobleme. Die Belastung, die im Schulalltag entsteht, kann vom Individuum Lehrer nicht geleistet werden. Das Psychische verknüpft sich sicher damit.
Spahn: Untersuchungen belegen, dass Lehrer auch psychisch stark belastet sind, wenn sie über ihre Stimme nicht verfügen können.
Richter: Häufig ist es so, dass die Lehrer dies als Individualprobleme abtun. Viele Menschen haben kein gutes Stimmbewusstsein, weil es ihnen auch wenig antrainiert wird. Das berührt ein allgemeines gesellschaftliches Problem: Wir kommunizieren sehr viel über elektronische Medien und sind es nicht mehr gewohnt, mit unserer Stimme frei zu sprechen, wir haben immer häufiger elektronische Verstärkungsmöglichkeiten. Es fehlt auch das früher selbstverständliche Stimmtraining durch das tägliche Singen in der Schule.
BZ: Welche zentralen Themenkreise spricht das Stimmforum an?
Richter: Es geht uns vor allem darum, die Öffentlichkeit über unser Projekt und unsere Ergebnisse zur Halbzeit zu informieren. Wir wollen das zusammen mit Fachkollegen auch im internationalen Vergleich diskutieren.
Spahn: Sehr wichtig ist uns die Podiumsdiskussion, bei der die Relevanz des Themas erörtert werden soll und die Frage, wie es in Zukunft mittelfristig besser behandelt werden kann. Und dann gibt es Workshops zum Thema Diagnostik und Prävention – für Ärzte, Lehrer und Stimmtherapeuten.
BZ: Lassen sich Ihre Ergebnisse auch auf andere Sprechberufe übertragen?
Richter: Ich denke schon. Nur: Das Anforderungsprofil ist unterschiedlich. Zum Beispiel hat ein Dozent an der Uni neun Wochenstunden zu leisten, während ein Schullehrer ein Deputat von 24 Stunden hat. Das ist ein großer Unterschied.
Spahn: Ich glaube auch, dass sich der Aspekt Emotion und Stimme je nach Beruf unterscheidet. Man bekommt gerade auch dann stimmliche Probleme, wenn man emotional besonders beteiligt ist.
BZ: Wie soll’s nach dem Stimmforum weitergehen?
Richter: Es wird auf zwei Schienen weitergehen: Zum einen wollen wir natürlich erst einmal das Projekt zum Abschluss bringen. Und dann geht es darum, mit den Entscheidungsträgern für das Studium in Kontakt zu treten. Zum Teil ist das schon erfolgt. Es geht darum, dass möglichst viel von den von uns gewonnenen Erkenntnissen in der Praxis umgesetzt werden kann. Wünschenswert wäre sicher eine vernünftige Verankerung im Gesamtkontext. Wir können freilich keine Forderungen stellen, denn wir sind ja eine Art Berater für das Land Baden-Württemberg. Wir hoffen, auf offene Ohren zu stoßen...
Spahn: ...oder: Wir hoffen sehr, dass das Land diese Möglichkeit zu sparen nicht an sich vorbeigehen lässt.
TERMINTIPP: Lehrer und Stimme
– Am Freitag, 4. April, 14 – 18 Uhr, und am Samstag, 5. April, 9 –14 Uhr, veranstaltet das Freiburger Institut für Musikermedizin das 6. Freiburger Stimmforum "Lehrerstimme und Lehrergesundheit". Teilnahmegebühr: 30 Euro. Veranstaltungsort ist die Freiburger Hochschule für Musik in der Schwarzwaldstraße 141.– Ebenfalls am Freitag, 4. April, findet die Podiumsdiskussion "Wie sollten die Themen Lehrerstimme und Lehrergesundheit in Ausbildung und Berufstätigkeit zukünftig verankert werden?" statt. Teilnehmer: Rudolf Bosch ( Regierungspräsidium Freiburg), Prof. Ulrich Druwe (Rektor der PH Freiburg), Prof. Markus Frommhold (Direktor des Staatl. Seminars für Lehrerbildung Freiburg), Gabi Rolland (SPD), Moderation: Prof. Bernhard Richter, Prof. Claudia Spahn. 16.30 Uhr, Konzertsaal der Musikhochschule. Der Eintritt ist frei.
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